Weiterleben als sei nichts gewesen? Deutsche Schicksale zwischen Hakenkreuz und Bundesadler
Mit der „Beinahebewusstlosigkeit des geschlagenen Boxers“ (29) vergleicht ein ehemaliger Nazieliteschüler seine Ratlosigkeit 1945 in einer Welt ohne NSDAP. Er fand sich in einem anderen Deutschland wieder. In diesem Land musste auch eine Frau zurechtkommen, die ins Konzentrationslager gekommen war, weil sie sich in einen polnischen Zwangsarbeiter verliebt und von ihm ein Kind bekommen hatte. Die Autorin hat diese und andere, voneinander sehr unterschiedlichen Schicksale in einem Buch zusammengestellt. Diese Biografien repräsentieren die unterschiedlichsten Erfahrungen und Einstellungen, die mit Kriegsende in Deutschland zu finden waren. Es zeigt sich, dass Erlittenes oder fanatisch Vertretenes nicht mit einer „Stunde Null“ abgestreift wurde, sondern den Lebensweg der Menschen weiterhin bestimmte – sei es wie im Fall der ehemaligen KZ-Inhaftierten, die jahrelang darum kämpfen musste, ihre deutsche Staatsangehörigkeit zurückzuerhalten, wie im Fall eines ehemaligen SS-Mannes, der die Versöhnung mit den Opfern zu suchen begann oder des unbelehrbaren ehemaligen Soldaten. So ist Lorenz ein insgesamt aufschlussreiches Bild der Mentalitäten, aber auch der persönlichen Schwierigkeiten gelungen, von denen die Menschen in Deutschland nach 1945 geprägt waren und mit denen sie leben mussten.