Das Reich der Mitte. Deutschlands langer Weg nach Europa
Die Monografie des langjährigen Abgeordneten des Europäischen Parlaments Hans-Joachim Seeler gleicht einem Husarenritt durch die deutsche Geschichte, vom Westfälischen Frieden bis zur Wiedervereinigung. Dies mag zugleich ein Grund sein,warum es dem Buch an Tiefgang fehlt, worauf noch zurückzukommen ist. Laut Verlagsangaben hat der Autor den Anspruch, den Weg Deutschlands nach Europa nachzuzeichnen. Das wird durch die Lektüre des Buches aber nicht wirklich klar. Zum einen enthält es keinerlei Einleitung, die deutlich machen könnte, welches Ziel mit dem Text verbunden ist und was ihn von anderen historischen Werken über die Geschichte Deutschlands unterscheidet. Es mangelt also in gewisser Hinsicht an einer Begründung durch Abgrenzung. Zum anderen vermisst man den roten Faden, der die einzelnen Ereignisse miteinander verbindet, sodass das Lesen stückweise zu einer quälenden Angelegenheit wird. Es handelt sich nämlich besonders zu Beginn um eine ereignisgeschichtliche Ansammlung von Kriegen, Friedensschlüssen, Thronbesteigungen und den Toden verschiedener Monarchen. Verbindungen zu wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Geschehnissen werden nur selten gezogen, weswegen Seeler an der Oberfläche verharrt, indem er sich von Jahreszahl zu Jahreszahl hangelt. Neue Einsichten in die politische Geschichte Deutschlands werden nicht vermittelt. Problematisch erscheint auch der in weiten Teilen anzutreffende moralinsaure Ton, als ob sich Geschichte nach Kriterien der Gerechtigkeit bewerten ließe. Zudem scheint Seeler einem geschichtsphilosophischen Ansatz nicht ganz abgeneigt, empfindet er doch den Weg Deutschlands nach Europa als Entfaltung aufklärerischer Vernunft. Hierdurch werden aber geschichtliche Ereignisse, die der Orientierung nach Westen entgegenstehen, als Unreife gedeutet. So erscheint der Untergang der Weimarer Republik in Seelers Augen geradezu zwangsläufig aufgrund der geistigen Unreife des Volkes, das die Demokratie nicht wollte. Das verkennt freilich die Offenheit der Geschichte und die Autonomie der Handelnden in ihr.