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Grit Jilek

Nation ohne Territorium. Über die Organisierung der jüdischen Diaspora bei Simon Dubnow

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013 (Schriftenreihe der Sektion Politische Theorien und Ideengeschichte in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft 24); 524 S.; 79,- €; ISBN 978-3-8329-7738-2
Diss. FU Berlin; Begutachtung: W.‑D. Narr, S. Bronner. – Der bedeutende jüdische Nationalhistoriker Simon Dubnow interpretierte zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende die jüdische Geschichte neu: Er betrachtete Juden nicht nur als weltweit verstreute religiöse Gruppe, sondern vor allem als Volk. Über die bis dahin vorherrschende Leidensgeschichte hinausgehend, entwickelte er eine säkulare und nationale jüdische Diasporageschichte. Grit Jilek würdigt Dubnows jahrzehntelanges politisches Engagement, die jüdische Diaspora zu organisieren, das mit der von ihm unterstützten Gründung des Jüdischen Weltkongresses 1936 seinen Höhepunkt fand. „Die jüdische Zukunft sah Dubnow ausdrücklich in der Diaspora“ (6) und nicht in einem eigenen territorialen Staat. Jilek ordnet diese Idee als radikal liberal ein und spricht von einer universalen Weltbürgerschaft, die hier anklinge. Mit den heute zunehmenden Migrationsbewegungen in der Globalisierung seien Dubnows Ansichten von ungeahnter Aktualität. Das Kernthema Dubnows und der Doktorarbeit Jileks ist der jüdische Autonomismus. „Dubnow erkannte zwei bisherige Vergesellschaftungsformen – die Isolation und die Assimilation“. Er verdeutlichte die Vor‑ und Nachteile der beiden Formen für das jüdische Volk, „um sie sodann zur Form des Autonomismus zu synthetisieren“ (167). Konkret strebte er die Schaffung von Parlamentsvertretungen in den Diasporaländern an, um langfristig eine national‑kulturelle Autonomie sowie eine Weltrepräsentanz zu erreichen. Ausgewertet hat Jilek Archivbestände und Originaldokumente von Dubnow und seinen Zeitgenossen. Erschwert wurde ihre Forschungsarbeit dadurch, dass die letzten persönlichen Aufzeichnungen Dubnows verloren gingen, als 1941 sein letzter Zufluchtsort Riga von den Deutschen eingenommen und er von den Nazis ermordet wurde. Jilek resümiert, dass die von Dubnow formulierten Ziele am Ende doch zu stark vom guten Willen der Diasporaländer abhingen und deshalb der Jüdische Weltkongress zwar „eine wichtige strukturgebende Vertretung der Juden“ (466) wurde, er aber nie die „formelle Gleichstellung mit staatsförmigen Nationen auf internationaler Politikebene“ erreichte. Dass eine „jüdische Weltbürgerschaft“ (467) nie zustande kam, hat nach Ansicht der Autorin schließlich auch an der Gründung des Staates Israel gelegen.
Wolfgang Denzler (WDE)
Diplom-Journalist, Student, Institut für Politikwissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 1.3 | 2.23 | 2.62 | 2.61 | 4.42 | 4.3 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Grit Jilek: Nation ohne Territorium. Baden-Baden: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/210-nation-ohne-territorium_43626, veröffentlicht am 23.05.2013. Buch-Nr.: 43626 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken