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Lars Rensmann

Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004; 541 S.; brosch., 42,90 €; ISBN 3-531-14006-X
Politikwiss. Diss. Berlin; Gutachter: H. Funke, M. Jay. - Etwa zwölf Millionen Deutsche seien relativ konstant antisemitisch orientiert. Rechnerisch kämen somit „auf einen in Deutschland lebenden Juden 300 Antisemiten" (224), schreibt Rensmann. Der Antisemitismus habe sich also trotz demokratisierender Gegentendenzen zwar nicht als offensive politische Ideologie, wohl aber als Alltagsdiskurs und im privaten und halböffentlichen Raum halten können, bei steigenden Zahlen antisemitischer Straftaten. Die Verarbeitung und Bekämpfung von Antisemitismus aber berühre „zweifellos zentrale Fragen des Selbstverständnisses der Bundesrepublik und ihrer demokratischen politischen Kultur" (15). Rensmann entwickelt zu der Frage, warum und in welcher Form der Antisemitismus immer noch existiert, einen theoretischen Zugang über eine an die Frankfurter Schule angelehnte politische Psychologie. Seine Deutung, dass eine „frühe, gesellschaftlich evozierte Anpassungsleistung" schon bei jungen Menschen zu einer „Schwächung der Selbstregulierungskompetenzen" und damit zu einer Anfälligkeit für „stereotype Wahrnehmungsmuster" (197) führe, will Rensmann ausdrücklich in „Kontextabhängigkeit" (200) verstanden wissen - natürlich werde z. B. nicht jeder Arbeitslose antisemitisch. Sozialisation, familiäre Erziehungserfahrungen und politisch-kulturelle Traditionen spielten u. a. eine wichtige Rolle in der Meinungsbildung. Aber auch in der (post)modernen Gesellschaft existiere weiterhin der Antisemitismus als aktualisierbares Welterklärungsangebot, über das sich bedrohlich erscheinende Entwicklungen destruktiv personifizieren ließen. Politische, soziale oder ökonomische Modernisierungsprozesse würden damit abgewehrt. Als auffälligste Beispiele nennt Rensmann neben einer teils antisemitisch besetzten Globalisierungspolitik auch einen entsprechenden Antiamerikanismus und Antiisraelismus. Für die politische Kultur in Deutschland selbst konstatiert der Autor einen sekundären Antisemitismus, der oftmals an eine nationale Verantwortungs- und Erinnerungsabwehr gegenüber den nationalsozialistischen Verbrechen gekoppelt sei. Er belegt dies empirisch und fragt schließlich, „wie viel Antisemitismus sich eine Demokratie erlaubt" (503).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.37 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Lars Rensmann: Demokratie und Judenbild. Wiesbaden: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/19963-demokratie-und-judenbild_23246, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 23246 Rezension drucken