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Daniel Stahl

Nazi-Jagd. Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen

Göttingen: Wallstein Verlag 2013 (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 15); 430 S.; geb., 34,90 €; ISBN 978-3-8353-1112-1
Geschichtswiss. Diss. Jena; Begutachtung: N. Frei. – Nach einigen Vorstudien (siehe etwa Buch‑Nr. 43025) liegt nun die Druckfassung der Dissertation des in Paraguay geborenen Historikers Stahl vor. Der Autor versucht erstmalig, die Verfolgung von nach Südamerika geflüchteten NS‑Verbrechern systematisch aufzubereiten. Auf einer breiten Basis vor allem aus europäischen und südamerikanischen Archivquellen entfaltet er politische Interessen, öffentliche Wahrnehmung und justizielle Praxis auf zwei Kontinenten. Die Geschichte der „Nazi‑Jagd“ erscheint als Paradebeispiel für den Nutzen einer transnationalen Geschichtsschreibung, da die Verfolgung und Ahndung von NS‑Verbrechen gerade im vorliegenden Fall nur in der Zusammenschau der Kontinente und Länder sinnvoll erklärbar scheint. Ein Schwerpunkt liegt auf Argentinien. Dort wurde in den 1940er‑ und 1950er‑Jahren von der linksgerichteten Opposition das Bedrohungsszenario eines „Vierten Reiches“ (16) gezeichnet, da man eine Kooperation der Regierung Perón mit den Achsenmächten bzw. geflüchteten NS‑Verbrechern befürchtete. Von großem Einfluss war weiterhin die Intensivierung der Bemühungen der bundesdeutschen Justiz seit den 1960er‑Jahren, diese Verbrecher aufzuspüren. Dazu trat seit den 1970er‑Jahren ein neu aufkommender Menschenrechtsaktivismus, der hauptsächlich von Nichtregierungsorganisationen getragen wurde. Die „Nazi‑Jagd“ wurde dabei in den Kontext der Kritik an den südamerikanischen Militärregimen gestellt. Stahl kann aufzeigen, dass die Art des Umgangs dieser Länder mit Auslieferungsersuchen „als Positionierungen in der Frage nach der Legitimität staatlich angeordneter Gewalt“ (11) verstanden wurden. Rein quantitativ erscheint das Ergebnis von alldem ernüchternd – lediglich sechs Justizflüchtlinge wurden verurteilt. Gleichwohl ist ein grundlegender Wandlungsprozess zu konstatieren: Staatliche Gewaltverbrechen sollten nicht länger ungesühnt bleiben und auch das Argument des Befehlsnotstandes verlor zunehmend „an gesellschaftlicher, politischer und schließlich auch juristischer Akzeptanz“ (364).
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.65 | 2.23 | 2.35 | 2.2 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Daniel Stahl: Nazi-Jagd. Göttingen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/198-nazi-jagd_43610, veröffentlicht am 28.03.2013. Buch-Nr.: 43610 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken