Als Vorsitzender der Begnadigungskommission, welche von 1991 bis zu ihrer Einstellung im Jahre 2001 im Dienste der russischen Präsidenten Jelzin und Putin arbeitete, legt Pristawkin Zeugnis über die Tätigkeit der Kommission ab. Ausführliche Einzelfallbeschreibungen eröffnen dem Leser den Blick für den sozialistischen und postsozialistischen russischen Alltag. Pristawkin gelingt nicht nur eine beeindruckende Schilderung des russischen Bestrafungssystems, sondern zugleich ein Gemälde der russischen Mentalität. In nicht sehr schmeichelhaften Worten konstatiert er, dass „Haß, Intoleranz gegenüber anderen und Feindschaft gegeneinander" (64) zu den beherrschenden Eigenschaften des russischen Volkes geworden seien. Alkoholismus, mangelnde Arbeitsmoral aber auch widrige Lebensumstände, wie z. B. die weit verbreitete Form des Zusammenlebens in Mehrfamilienwohnungen, sind die häufigsten Ursachen für die sehr hohe Kriminalität. Pristawkin spricht von der Gefängnishaft als einer wesentlichen Daseinsform in Russland, da ca. 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung Hafterfahrung haben (30). Pristawkins unermüdliches Engagement für die Abschaffung der Todesstrafe lässt ihn nicht die Realitäten in russischen Gefängnissen vergessen, in denen aufgrund von Mangel, permanenter Überbelegung und Korruption menschenunwürdige Bedingungen herrschen. Auch wenn aufgrund der derzeitigen Bedingungen begnadigte Häftlinge, deren Strafe in lebenslange Haft umgewandelt worden ist, nach kurzer Zeit um Hinrichtung bitten, hält Pristawkin überzeugt an der Begnadigung als humanitärem Akt fest. Es geht ihm neben dem Anstoß zu einer Entwicklung eines aufgeklärten Moral- und Personenverständnisses in Russland auch um die Vermittlung der Einsicht, dass Verbrecher nicht bestraft, sondern geheilt werden sollten.