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Thomas Gutschker

Aristotelische Diskurse. Aristoteles in der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts

Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler 2002; XIV, 518 S.; geb., 49,90 €; ISBN 3-476-01905-5
Politikwiss. Diss. Augsburg; Gutachter: T. Stammen, S. Müller. - Die aristotelische Philosophie hatte seit dem von Machiavelli, Bodin und Hobbes eingeleiteten Paradigmenwechsel in der politischen Theorie an Einfluss eingebüßt: Vorherrschend ist seither das Verständnis des Staates als ein künstliches Vertragsgebilde statt als natürliche Gemeinschaft; sein Zweck wird nicht mehr im guten Leben, sondern in der Sicherung des Überlebens und des Eigentums gesehen (2). In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts kam es jedoch als Reaktion auf die Erfahrung des Totalitarismus in Europa zu einer regelrechten Aristoteles-Renaissance. Diese Renaissance ist Gegenstand von Gutschkers vorzüglich geschriebener und außerordentlich anregender Studie. Mit Bedacht spricht der Autor von "aristotelischen Diskursen", um den Begriff "Neoaristotelismus" zu vermeiden, den Habermas als ideologiekritischen Kampfbegriff gegen einen von ihm diagnostizierten Neokonservatismus geprägt hat: "Man kann mit Recht fragen, ob sich die Ideologiekritik an dieser Stelle nicht selbst in eine Ideologie höherer Stufe verwandelt. Der Begriff des aristotelischen Diskurses soll dagegen den Weg zu einer hermeneutisch orientierten Rezeptionsforschung ebnen, welche auf die ertragreiche Diskussion innerhalb der philosophisch-literarischen Hermeneutik zurückgreift." (8) Die aristotelischen Diskurse ordnet Gutschker in drei Gruppen, die die Hauptteile der Arbeit bilden: deutsche Emigranten in den USA (Voegelin, Strauss, Arendt), die politische Philosophie in der Bundesrepublik in den Fünfzigerjahren (Gadamer, Ritter, Sternberger) und die Kommunitaristen in der amerikanischen Kommunitarismus-Liberalismus-Debatte (MacIntyre, Nussbaum). Allen genannten Autoren widmet der Autor jeweils ein Kapitel, in dem er ausführlich und kenntnisreich ihre Rezeption der politischen Philosophie von Aristoteles nachzeichnet und die Unterschiede ihrer Rückgriffe auf Aristoteles herausarbeitet. Da die deutschen Autoren maßgeblich von Heideggers Aristoteles-Rezeption aus den Zwanzigerjahren beeinflusst wurden, wird diese Rezeption im einleitenden Kapitel dargestellt; abgerundet wird die Untersuchung mit einer "Synopsis" der "aristotelische[n] Denkfiguren des 20. Jahrhunderts" (467). Insgesamt liegt hier ein bedeutender Beitrag zur jüngsten Geschichte der politischen Ideen vor, weil es die erste - und zudem eine ausgesprochen fundierte und durchdachte - Darstellung der aristotelischen Einflüsse auf das politische Denken der Nachkriegszeit ist. Es ist zu wünschen, dass das Buch dazu beiträgt, die aristotelischen Diskurse wieder zu entdecken, die in der aktuellen Politikwissenschaft leider zunehmend in Vergessenheit geraten.
Hendrik Hansen (HH)
Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 5.42 | 5.31 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Hansen, Rezension zu: Thomas Gutschker: Aristotelische Diskurse. Stuttgart/Weimar: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/17524-aristotelische-diskurse_20178, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 20178 Rezension drucken