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Reinhard Urschel

Gerhard Schröder. Eine Biografie

Stuttgart/München: Deutsche Verlags-Anstalt 2002; 400 S.; geb., 22,, €; ISBN 3-421-05508-4
Urschel ist seit 1979 Politischer Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und seit 1989 in deren Hauptstadtbüro tätig. Laut Klappentext hat er Schröders Aufstieg in Niedersachsen und im Bund "stets eng begleitet." Gleichwohl handelt es sich nicht um eine offiziell autorisierte Biografie. Eigentlich ist der überwiegende Teil des sehr detailreichen Bandes auch gar nicht biografisch im herkömmlichen Sinne, sondern erinnert bisweilen eher an eine Aneinanderreihung von Artikeln und Notizen aus dem Redaktionscomputer. Erzählt wird keineswegs nur über Schröder, sondern über weite Strecken die politische Geschichte der SPD in den Neunzigerjahren (z. B. 141-214), die Machtkämpfe der "Enkelgeneration", der Wahlkampf 1998 (223-253) beziehungsweise die politische Geschichte der rot-grünen Koalition im Bund. Bei den Schilderungen wechseln sich (teilweise sehr interessante und amüsante) Anekdoten aus der SPD-Führung, detaillierte und an Metaphorik reiche atmosphärische Szenenbeschreibungen und gelegentlich langatmige zeitgeschichtliche Darstellungen ab. In alledem findet sich für Politikwissenschaftler interessantes Quellenmaterial zur Zeitgeschichte, das zwar naturgemäß unbelegt ist, aber insgesamt relativ glaubwürdig erscheint - zumal die Darstellung keinen parteipolitischen Bias erkennen lässt. Nur ein Teil - insbesondere der erste Teil des Bandes und das knappe Fazit - ist von unmittelbarer Relevanz für das Thema "Schröder". Gleichwohl entsteht beim Leser auch zwischen den Zeilen eine insgesamt klare, ausgewogene Vorstellung vom Werdegang und Charakter Schröders. Ohne dass Urschel selbst offen wertend auftritt, ergibt sich das Bild eines einerseits mit überragendem Machtinstinkt und persönlichem Charisma ausgestatteten demokratischen Politikers, der aber andererseits seine politischen Inhalte regelmäßig nach persönlicher Opportunität ausrichtet, mühelos heute dies und morgen das Gegenteil vertritt sowie entsprechend zweckdienlich seine politischen Verbündeten je nach Interessenlage auswählt und sich auch wieder von ihnen trennt. An vielen Beispielen macht Urschel (explizit: 102, 389 ff.) deutlich, dass Schröders politisches Grundprinzip "Versuch und Irrtum" heißt: Der Instinktpolitiker kommt weitgehend ohne programmatische Agenda aus, besitzt aber ein gutes situatives Gespür dafür, was dem Medien-, Partei- und Wahlvolk gefällt. Dies wird dann in der Regel versprochen (mitunter sogar umgesetzt) und die Reaktion sorgfältig auf Zustimmung oder Ablehnung überprüft. Erweist sich der "Versuch" ausnahmsweise als "Irrtum", wird sofort umgesteuert und ein populärer erscheinender alternativer Pfad eingeschlagen. In seiner Partei, deren andere (ehemalige) Führungspersönlichkeiten (Lafontaine, Scharping etc.) in den Schilderungen Urschels im Vergleich zu Schröder häufig wie Dilettanten erscheinen, war Schröder immer nur aufgrund seiner so erzielten Wahlerfolge gelitten, nie aber beliebt - auch dieser rote Faden wird erkennbar. Das Buch ist gut lesbar und bietet neben über 30, meist kleineren Bildern auch ein Namensregister. Inhalt: 1. "Kanzler wird der nie"; 2. Kleine Verhältnisse; 3. Von einem, der auszog; 4. Schröder und die Frauen; 5. Lehrjahre in Bonn; 6. Erster Anlauf in Hannover; 7. Die Mühen der Ebene; 8. Schröder und die deutsche Frage; 9. Etappenziel Niedersachsen; 10. Schröder und die Autos; 11. Vom Duo zur Troika; 12. Wenn zwei sich streiten; 13. Niederlagen und Läuterungen; 14. Annäherungen an die Macht; 15. Schröder und die Seinen; 16. 1998: Der doppelte Triumph; 17. Schröder und die Medien; 18. Kanzler - und wie weiter?; 19. Schröder und die Außenpolitik; 20. Politik der schnellen Eingriffe; 21. Die uneingeschränkte Solidarität; 22. Schröder und Stoiber; 23. Das Prinzip von Versuch und Irrtum.
Andreas Beckmann (AB)
M. A., Doktorand, Institut für Sozialwissenschaften, Bereich Politikwissenschaft, Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.3 Empfohlene Zitierweise: Andreas Beckmann, Rezension zu: Reinhard Urschel: Gerhard Schröder. Stuttgart/München: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/16999-gerhard-schroeder_19525, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 19525 Rezension drucken