Die dunkle Seite der Geschichte. Die Shoah in historischer Sicht. Interpretationen und Re-Interpretationen. Aus dem Englischen von Christian Wiese
Die Intention der Studie des an der Hebräischen Universität Jerusalem lehrenden Historikers kommt im Titel des englischen Originals "Rethinking the Holocaust" (2001) genauer zum Ausdruck als in der deutschen Ausgabe. Bauer geht es nicht um eine "weitere Geschichte der Shoah" (9), er möchte vielmehr in Auseinandersetzung mit jüngeren Gesamtdeutungen der Judenverfolgung (u. a. von Bauman oder Goldhagen) seine eigene Interpretation der Shoah präzisieren. Dabei legt der Autor auf zwei Aspekte besonderes Gewicht: Zum einen verlangt die Shoah - obschon eine Katastrophe mit präzedenzlosen Merkmalen - auch den Vergleich mit anderen Völkermorden. Gerade in der Berücksichtigung der universalen Dimension der Vergleichbarkeit (hier beispielhaft die Fälle Ruandas, Kambodschas und des früheren Jugoslawiens) fügt die Shoah - so Bauer - den Zehn Geboten drei weitere hinzu: "Du sollst kein Täter sein; Du sollst kein passives Opfer sein; und Du sollst gewiß kein Zuschauer sein." (94) Zum anderen befasst sich der Autor intensiv mit unterschiedlichen Facetten des jüdischen Widerstands gegen die Verfolgung und schreibt dabei dem bewaffneten Widerstand eine größere Bedeutung zu als dies etwa Hilberg in seinen Studien getan hat. Angesichts des Umstandes, dass auch israelische Politiker die Shoah für politische Zwecke instrumentalisieren, betont Bauer seine Perspektive als die eines "jüdische[n] Historiker[s], der in einem jüdischen Staat unter Juden lebt" (12). Vor diesem Erfahrungshintergrund einer "traumatisierten Gesellschaft" ist denn auch die politische Absicht des Buches zu lesen, durch die Re-Interpretation der Shoah für die Völkermorde zu sensibilisieren, die nach wie vor geschehen (14).