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Ute Frevert

Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland

München: C. H. Beck 2001; 458 S.; geb., 34,90 €; ISBN 3-406-47979-0
Wie geht der Staatsbürger, der Zivilist, mit der ihm vom Staat seit den Befreiungskriegen auferlegten Wehrpflicht um, wie versuchen die führenden politischen und militärischen Eliten diese staatsbürgerliche Pflicht durchzusetzen? Von nationalpathetischer Pflichterfüllung waren die Bürger just des preußischen Militärstaates weit entfernt, und dass die Neu-Preußen mehr noch als die Bewohner des preußisch-brandenburgischen Kernlandes nach Mitteln und Wegen suchten, dieser Verpflichtung zu entgehen, ist nicht überraschend. Der Staat lockt mit Vergünstigungen für die Freiwilligen, privilegiert das Bildungsbürgertum mit dem Institut des Einjährigfreiwilligen, lässt Schlupflöcher offen, sich vor dem Dienst zu drücken. Frevert räumt in ihrer lesenswerten sozialhistorischen Studie u. a. mit dem Mythos auf, die Wehrpflicht sei demokratischen Ursprungs oder befördere sie: den preußischen Militärreformern um Scharnhorst und Gneisenau mag es noch um die Erneuerung des Militärs gegangen sein, die sie nur durch das Einbeziehen aller, vor allem der bürgerlichen Gesellschaftsschichten zu erreichen gedachten. Ihre Nachfolger hatten anderes im Sinn: Die Wehrpflicht brachte das notwendige Personal für die Armee, aber mehr noch gelang es so dem Staat, den Bürger auf sich einzuschwören, ihn zu kontrollieren, auch nach seiner Wehrdienstzeit. Die gesellschaftliche Attraktivität der Armee nahm zwar im Kaiserreich zu, als der Status eines Reserveoffiziers den persönlichen Aufstieg in der wilhelminischen Gesellschaft direkt oder indirekt beförderte. Aber der Wehrdienst blieb politisch immer umstritten. Allerdings war die Uniform bis 1945 ein elitäres, staatstragendes Kleidungsstück, wenn auch nicht zum politischen Vorteil der Bürger. Die Katastrophen hat die Wehrpflicht nicht verhindert, im Gegenteil, sie hat sie begünstigt. Denn: Die Wehrpflicht ist nicht "'das legitime Kind der Demokratie'" (Theodor Heuss), sie hat "im Gegenteil [...] bis weit ins 20. Jahrhundert hinein demokratisches Handeln eher behindert als befördert" (352). Eine zweite wichtige Feststellung Freverts lautet: "Die Wehrpflicht hat in Deutschland [...] nicht nur die Entwicklung gesellschaftsbezogenen Bürgersinns blockiert; sie hat darüber hinaus Geschlechterverhältnisse festgeschrieben, die sich den sozialen, ökonomischen und kulturellen Dynamisierungstendenzen der Moderne konsequent widersetzten." (352) Inhaltsübersicht: I. Krieg, Nation, Geschlechterbilder: Leitmotive der Wehrpflicht im frühen 19. Jahrhundert; II. "Bürger und Soldat zugleich"? Preußen im Vormärz; III. Militärische Sonderwege des 'Dritten Deutschland'; IV. Krieg und Frieden: Das Kaiserreich in der preußischen Kaserne; V. Reichswehr, Wehrmacht, NVA, Bundeswehr.
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 2.324 | 2.31 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: Ute Frevert: Die kasernierte Nation. München: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/15669-die-kasernierte-nation_17868, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 17868 Rezension drucken