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Sarah Scholl-Schneider

Mittler zwischen Kulturen. Biographische Erfahrungen tschechischer Remigranten nach 1989

Münster u. a.: Waxmann Verlag 2011 (Schriftenreihe der Kommission für deutsche und osteuropäische Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e. V. 94); 279 S.; brosch., 29,90 €; ISBN 978-3-8309-2574-3
Diss. Regensburg; Begutachtung: D. Drascek, M. Krauss, W. Koschmal. – An der Schnittstelle von Kultur- und Literaturwissenschaft, Politologie und Soziologie fragt Scholl-Schneider nach dem Einfluss tschechischer Remigranten auf die Umgestaltung des politischen Systems nach der samtenen Revolution von 1989. Die Systemtransformation wird als Zusammenwirken von inneren Entwicklungen, äußeren Einflüssen und „transnationalen Wechselwirkungen“ (9 f.) aufgefasst, wobei die Remigranten als potenzielle Vermittler von Demokratieerfahrungen betrachtet werden. Bis zur Jahrtausendwende sind demnach etwa zehn Prozent der ins westliche Europa Emigrierten nach Tschechien zurückgekehrt, ca. 26.000 Personen. Sie schienen geeignet, als Angehörige einer überdurchschnittlich gebildeten Gruppe das Elitevakuum nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes mit zu füllen. Die Autorin stützt sich auf das vor allem in den Geschichtswissenschaften beheimatete Konzept des Kulturtransfers, um den Erfolg dieser angenommenen Prozesse zu untersuchen. Neben einer umfangreichen Auswertung deutscher und tschechischer Literatur sowie biografischer und literarischer Quellen zieht sie dazu auch mehr als 20 Interviews mit Remigranten heran, die sie selbst geführt hat. Diese Verbindung von Quellengattungen und Methoden aus unterschiedlichen Disziplinen erscheint im Hinblick auf die Transformationsforschung als recht innovativ, wenngleich der weitgehende Bezug auf vergleichsweise wenige Einzelfälle eine zu große Verallgemeinerung nur schwerlich zuzulassen scheint. Dennoch kommt Scholl-Schneider zu interessanten Befunden: Demnach sei die Weitergabe demokratischer Denkmuster durch die Remigranten zumindest „ein Teil des Motors, eines kulturellen Wandels“ (258) für die im Systemwechsel begriffene Tschechische Republik gewesen. Die persönliche Bilanz der Rückkehrer falle demgegenüber uneinheitlich, eher negativ aus: Zwar seien einige von ihnen in wichtige Positionen in der Exekutive gelangt, doch insgesamt seien sie im Vergleich zu den im Land verbliebenen Dissidenten eher im „Schatten“ (254) geblieben.
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.61 | 2.2 | 2.23 | 2.24 | 4.42 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Sarah Scholl-Schneider: Mittler zwischen Kulturen. Münster u. a.: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/14905-mittler-zwischen-kulturen_42443, veröffentlicht am 28.06.2012. Buch-Nr.: 42443 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken