Sozialpolitik in globaler Perspektive. Asien, Afrika und Lateinamerika
„Der Grund, das Merkmal und die Norm aller Sozialpolitik ist der immerwährende Versuch, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Menschen eines natürlichen Todes sterben“ (39), konstatiert der Berliner Sozialwissenschaftler Friedbert W. Rüb als Leitbild der Sozialpolitik in einer globalisierten Welt. Die bisherige Sozialstaatsforschung sei bislang auf etwa zwanzig Staaten Europas und Nordamerikas beschränkt geblieben. So seien seit Gøsta Esping‑Andersen vor allem eurozentristische Modelle entwickelt worden, die dann „universelle Gültigkeit“ (13) beansprucht hätten. Dieser Tatsache versuchen die Autorinnen und Autoren des Sammelbandes entgegenzusteuern, indem sie sich der Sozialpolitik in Nicht‑OECD‑Ländern, den „Staaten des globalen Südens“ (10) widmen. Dabei werden die bisherigen europäischen Erkenntnisse der westlichen Sozialpolitik‑Forschung versuchsweise auf Afrika, Asien und Lateinamerika ausgeweitet. Als Ergebnis zeigen sich unerwartete Entwicklungen. So existiert in Bolivien die nach dem Beveridge‑Modell konzipierte universelle Grundrente „Bonosol“ beziehungsweise „Renta Dignidad“ (221), die ohne Bedürftigkeitsprüfung allen alten Menschen ein Grundeinkommen garantiert. Auch die Analyse der russischen Steuerpolitik zeigt überraschende Ergebnisse. So sei es unter Wladimir Putin gelungen, die Steuereinnahmen massiv zu erhöhen und fast alle Schlupflöcher zu stopfen. Auch wenn dabei die Steuergerechtigkeit dank eines degressiven Fiskalsystems kaum eine Rolle spiele, so habe sich doch im Verlauf der Implementierung gezeigt, dass der Staat auf Druck aus der Bevölkerung Korrekturen am System vorgenommen habe. Insgesamt eröffnen die Herausgeber mit dem Sammelband ein Forschungsgebiet, das bisher in den Sozialwissenschaften nur wenig Aufmerksamkeit fand, aber durchaus Potenzial für eine tiefere Beschäftigung bietet.