Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt
Nach Hannah Arendt (1906-1975) haben Nationalsozialismus und Holocaust die Menschen in einer seltsamen Sprachlosigkeit zurückgelassen. Das Erhabene der totalitären Konstruktion ist einem Bild des Schreckens gewichen, aus dem die Begabung zum Sprechen erst neu gewonnen werden muss. Die Aufzählung vom Arbeiten, Herstellen und Handeln in Arendts Vita Activa schafft das Wesen des Menschen in seiner Fähigkeit zum Urteilen neu. Marie-Luise Knott schraffiert die Denkwege der Theoretikerin und Literatin Arendt mit vier Begriffen: Lachen, Übersetzen, Verzeihen und Dramatisieren. Ihr literarisch-ästhetischer Blick hat zunächst keine politische Fragestellung, sondern versucht unter der Überschrift des Verlernens neue Facetten bei Arendt zu erschließen. Knott verzurrt Arendts Sprachmächtigkeit als jüdische Emigrantin und politische Denkerin im Zwischenspiel von Distanz und Pflicht zur Einmischung. Ironie und Lachen als Möglichkeit, die Banalität eines Adolf Eichmann zu ertragen, interpretiert Knott als kurzes Atemholen zur eigenen Befreiung. Der Weg des Übersetzens zeigt die Last und Leichtigkeit ihrer neuen Ausdrucksmöglichkeiten als zweisprachige Autorin. Die menschliche Fähigkeit, sich gemeinsam mit anderen in Freiheit zu setzen, d. h. im Handeln sich politisch zu konstituieren, ist ein Merkmal von Arendts Rezeption der Amerikanischen Revolution. Der Akt des Verzeihens als politisches Mittel erhält die Fähigkeit zu diesem Handeln. Knott resümiert, dass Arendts Texte als Leinwände und Räume der Sprache erkannt werden können, deren Tiefe und Klarheit sich durch das wiederholte Lesen erschließen. Mit ihrer psychologisierenden Erzählung betont sie die Eigentümlichkeit und Dramatik des Arendt’schen Werkes unter neuen Überschriften.