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Hendrik Wallat

Das Bewusstsein der Krise. Marx, Nietzsche und die Emanzipation des Nichtidentischen in der politischen Theorie

Bielefeld: transcript Verlag 2009 (Edition Moderne Postmoderne); 594 S.; kart., 44,80 €; ISBN 978-3-8376-1218-9
Diss. Hannover; Gutachter: G. Schäfer, M. Buckmiller. – „Marx und Nietzsche sind die wirkmächtigsten Denker des 19. Jahrhunderts“ (4), schreibt der Autor und lotet ihr denkerisches „Potential für eine kritische Theorie der Gegenwart und Geschichte der modernen Gesellschaft“ (519) aus. Dabei thematisiert er das Leiden an der Wirklichkeit des Bestehenden und macht darin den tieferen Grund der radikalen Kritik aus – bei Marx wie bei Nietzsche. Ausgehend von der jeweiligen Krisendiagnose erörtert er die Kerngehalte ihrer Theorien. Während Marx „die nicht eingelösten Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft“ (255) untersucht und deren Freiheitsrhetorik, die die Herrschaftsverhältnisse kaschiert, entlarvt habe, gerate Nietzsche als Denker einer neuen Aufklärung in den Blick. Als radikaler Kritiker der Metaphysik, die „von einheitlicher Substanz, Wahrheit und Freiheit […] spricht“ (236), thematisiert er den tragischen Gedanken der Unerkennbarkeit des Seins. Hinter dieses Wissen der Unwissenheit führt für ihn kein Schleichweg zurück. Im nachmetaphysischen Zeitalter gehöre diese Tragik, wo sich der ambivalente Charakter der Aufklärung „als Schrecken der Ankunft des Nihilismus zu erkennen gibt“ (258), unabwendbar zum lebenslangen Kampf um Selbstaufklärung, die allerdings nur von starken Menschen, die das Freie des Nichtidentischen aushalten, vollzogen werden könne. Vor diesem Hintergrund plädiert Wallat für die Emanzipation des Nichtidentischen, mit dem wir Modernen einen nachmetaphysischen Umgang finden müssen. Schließlich rückt er mit Adorno „immer wieder die aus den heiligen Bezirken des Geistes ausgesperrten Tiere ins Zentrum der Reflexion“ (563). Nicht dass es Wallat darum ginge, Forderungen nach aktiver Selbstbestimmung von Tieren zu erheben. Aber er schreibt: „Die ins Maximale gesteigerte mörderische Ausbeutung der Tiere ist verschwistert mit der Herrschaft von Menschen über Menschen. Sie ist der hässlichste Ausdruck missglückender Zivilisation.“ (565) Zivilisierung in nachmetaphysischen Zeiten zeigt sich für Wallat in der ernsthaften Anerkennung des Nichtidentischen.
Karl-Heinz Breier (KHB)
Prof. Dr., Institut für Sozialwissenschaften und Philosophie, Universität Vechta.
Rubrizierung: 5.33 Empfohlene Zitierweise: Karl-Heinz Breier, Rezension zu: Hendrik Wallat: Das Bewusstsein der Krise. Bielefeld: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/14454-das-bewusstsein-der-krise_37842, veröffentlicht am 23.03.2010. Buch-Nr.: 37842 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken