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Kerstin von Lingen (Hrsg.)

Kriegserfahrung und nationale Identität in Europa nach 1945. Erinnerung, Säuberungsprozesse und nationales Gedächtnis

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2009 (Krieg in der Geschichte 49); 479 S.; 39,90 €; ISBN 978-3-506-76743-1
Das Thema Krieg wird in einer für die Reihe typischen methodologischen Offenheit behandelt. Das umfasst sowohl die Vorbereitung als auch die Aufarbeitung von Kriegen. Das Spektrum der Beiträge dieses Bandes, der auf eine Tübinger Tagung im Dezember 2008 zurückgeht und von Mitarbeitern des Sonderforschungsbereichs 437 initiiert wurde, reicht hierbei von der Mentalitäts- und Kulturgeschichte militärischer Gewaltanwendung bis hin zur Alltagsgeschichte von Soldaten und Zivilpersonen. Zunächst wird ein theoretischer und methodischer Zugang zur Verbindung zwischen Kriegserfahrung und nationaler Identität erarbeitet. Aleida Assmann entwickelt hier ein Modell für den Umgang mit einer traumatischen Vergangenheit. Wolfgang Form gibt einen Überblick über die alliierten Kriegsverbecherprozesse nach 1945 in Europa. Dabei zeigt er auf, dass sich die Siegermächte schon frühzeitig auf völkerstrafrechtliche Grundlagen für die Kriegsverbrecherprozesse geeinigt hatten. Diese Tatsache habe auf den negativen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg beruht, als deutsche Kriegsverbrechen und der Mord an den Armeniern ungesühnt geblieben seien. Unterschiede in der Säuberungspolitik nach 1945 können demnach nicht alliierten Einflüssen zugeschrieben werden. Für Andreas Hilgers verdeutlicht die Tatsache, dass aus Deutschland heimkehrende sowjetische Zwangsarbeiter von Stalin generell der Kollaboration verdächtigt wurden, wie aus den Problemen der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart nachwirkende gesellschaftliche Spannungen entstehen konnten. In diesem Band finden sich überwiegend Länderstudien, eine Ausnahme bildet jedoch der Beitrag von Oliver von Wrochem über die identitätsrelevante Lobby der ehemaligen Wehrmachtssoldaten. In ihren transeuropäischen Netzwerken komme es zu einer Umdeutung der Kriegsopfergemeinschaft, in der die Soldaten ein von der Besatzungsrealität abgekoppeltes Bild des tapferen Frontsoldaten entwickelten und auf diese Weise ein positiv konnotiertes Bild als subalterne Gegenerinnerung etablierten.
Marinke Gindullis (MG)
Politikwissenschaftlerin.
Rubrizierung: 2.23 | 4.1 | 2.313 | 2.314 | 2.35 | 2.4 | 2.5 | 2.61 | 2.62 | 2.64 Empfohlene Zitierweise: Marinke Gindullis, Rezension zu: Kerstin von Lingen (Hrsg.): Kriegserfahrung und nationale Identität in Europa nach 1945. Paderborn u. a.: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/14429-kriegserfahrung-und-nationale-identitaet-in-europa-nach-1945_36089, veröffentlicht am 13.04.2010. Buch-Nr.: 36089 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken