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Oliver Mohr

Hinter dem 38. Breitengrad. Mit Cap Anamur in Nordkorea

Göttingen: Lamuv 2000; 255 S.; pb., 29,80 DM; ISBN 3-88977-586-1
Weniger die politikwissenschaftliche Analyse denn empirische Beschreibung prägen dieses Buch. Seit über 50 Jahren verharrt der Norden Koreas in einer durch ideologische Autarkiebestrebungen und ausländische Sanktionen verursachten internationalen Isolation. Belegbare Informationen über die tatsächlichen Verhältnisse im Land sind in dieser Zeit Spekulationen und wilden Gerüchten gewichen. Neben der Vermutung von Produktionsanlagen zur Herstellung von Atomwaffen mehren sich in den letzten Jahren vor allem Meldungen über Hungeropfer, deren Zahl weit in die Hunderttausende gehen soll. Seit 1994, als das Land zum ersten Mal um Hilfe aus dem Ausland bat, macht sich das Regime in Pjöngjang diese Situation zunutze und beschafft sich mit "einer Melange aus martialischen Drohgebärden, diplomatischem Geschick und wohldosierten Informationen über miserable Ernten aufgrund von Naturkatastrophen" (172) dringend benötigte Hilfsgüter. Der Autor hat mehrere Monate als Arzt für die Hilfsorganisation Cap Anamur im Land gearbeitet und seine persönlichen Erfahrungen zu einem anschaulichen Reise- und Arbeitsprotokoll verarbeitet. Angesichts der eingeschränkten Informationslage haben gerade die wenigen Mitarbeiter der kleinen humanitären Hilfsorganisationen einen vergleichsweise guten Einblick in die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort. Dies gilt insbesondere, wenn wie hier versucht wird, nicht der ständigen nordkoreanischen Propaganda und Vertuschung aufzusitzen. Die Grenzen, an die dabei jeder ausländische Besucher zwangsläufig stoßen muss, werden recht schnell deutlich. Die Ausmaße der ökonomischen und gesellschaftlichen Krise des Landes, aber auch die angestrengten Bemühungen der Gesichtswahrung der nordkoreanischen Partner können derzeit aber wohl nur in Einzelberichten über Besuche in Krankenhäusern, die stellenweise nichtexistente Versorgung mit Nahrungsmitteln und Brennstoffen sowie dem täglichen Umgang mit verantwortlichen Funktionären dargestellt werden. Darüber hinausgehende Fragen, z. B. nach der Funktionsweise des gegenwärtigen politischen Systems, zur Existenz einer möglichen Opposition oder dem Fehlen jeglicher erkennbarer Auswege abseits externer Hilfe kann und will das Buch nicht beantworten.
Thomas Henzschel (TH)
Dr., Auswärtiges Amt, Arbeitsstab Iran.
Rubrizierung: 2.68 | 4.44 Empfohlene Zitierweise: Thomas Henzschel, Rezension zu: Oliver Mohr: Hinter dem 38. Breitengrad. Göttingen: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/13202-hinter-dem-38-breitengrad_15819, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 15819 Rezension drucken