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Margrit Schiller

"Es war ein harter Kampf um meine Erinnerung" Ein Lebensbericht aus der RAF. Mit einem Nachwort von Osvaldo Bayer. Hrsg. von Jens Mecklenburg

Hamburg: Konkret Literatur Verlag 1999; 272 S.; 39,- DM; ISBN 3-89458-181-6
In seinem Geleitwort zu Schillers Buch schreibt der Herausgeber Mecklenburg: "Margrit Schillers Leben ist durchaus typisch für die Generation der 68er" (7). Es steht zu befürchten, daß er recht hat. Wahrscheinlich ist es tatsächlich oft so gewesen, wie es an diesem Lebensbericht der Ex-Terroristin Schiller exemplarisch deutlich wird: In den Terrorismus führte ein als Leiden an der Welt mißverstandenes Leiden an sich selbst; dem tatsächlichen oder vermeintlichen Unrecht der Eltern in der Nazi-Zeit begegnet man mit einer Selbstgerechtigkeit, die das eigene Unrecht als Wirken im Sinne des Heilsgeschehens umzudeuten ermöglicht; in der Rebellion gegen die Eltern wiederholt man - in grotesk verzerrter Form - Verhaltensweisen und Strukturen, gegen die man anzutreten vorgibt: Der Realitätsblindheit der Eltern gegenüber der erlebten Diktatur, die zur Verharmlosung führte, entspricht die Realitätsblindheit der Kinder gegenüber der sich konstituierenden Demokratie, die zur Dämonisierung führte - Deutschland als kapitalistische, imperialistische Unterdrückungsmaschinerie, der nur mit Methoden beizukommen ist, wie sie im lateinamerikanischen Befreiungskampf angewandt werden. Schiller beschreibt ihren Weg von der als unglücklich erlebten Kindheit in den fünfziger Jahren über eine von Orientierungslosigkeit gekennzeichnete Adoleszenz bis zum eher zufälligen Kontakt mit einer sich radikalisierenden linken Szene. Was sie damit an Selbstoffenbarung betreibt, wird ihr überhaupt nicht bewußt: Ihr Lebensweg hat mit Politik nicht das geringste zu tun. Es ist vielmehr ihr Leiden an dem Gefängnis ihrer Einsamkeit, das sie auf die Suche nach einer Gemeinschaft treibt, die ihr verhängnisvollerweise die RAF zu bieten scheint. "Ich war von ihrer Nähe, ihrer Energie ausgeschlossen, aber ihr starkes Miteinander zog mich ungeheuer an." (42) Was "politisch" in der RAF verhandelt wurde - auch bei der RAF verbietet sich das Wort "politisch" eigentlich angesichts ihrer ideologisch motivierten Realitätsverweigerung - verstand Schiller nach eigenem Bekunden nicht (siehe 48, 53). Aber sie erfaßt wohl intuitiv, daß ihr hier eine sehr einfache Lösung für ihre Probleme mit sich selbst geboten wird. Sie beschließt, den "Stein meiner Einsamkeit und Verzweiflung am Leben aufzuheben und ihn gegen seine Ursache zu werfen. Die Ursache war die kapitalistische Gesellschaftsordnung." (55) Erst im Gefängnis, in das sie wegen ihrer Unterstützung der RAF kommt, besorgt sie sich durch Lektüre einschlägiger Literatur das ideologische Unterfutter für ihren Haß auf die Gesellschaft. Vorher aber, bei der RAF, fügt sie sich klaglos in eben die autoritären Strukturen, die sie bei ihren Eltern als so unerträglich empfunden hatte. "Ich fühlte mich von ihnen in meiner Freiheit eingeschränkt. Aber ich sah die Notwendigkeit ein und beachtete diese Regeln." (56) Der freiwilligen Knechtschaft in der menschlichen Hölle der RAF folgte dann die unfreiwillige im Gefängnis, deren harte Haftbedingungen Schiller beklagt, ohne deren Ursache zu nennen: Daß der Staat sich mit rigiden, manchmal sicherlich zu rigiden Mitteln gegen den Terrorismus wehrte, hing damit zusammen, daß das Sympathisantennetz bis in die Zellen hineinreichte. Noch während der Isolationshaft funktionierte, wie Schiller eben nebenbei berichtet, ein reger Informationsaustausch via Verteidiger. Solche Lebensberichte führen vor Augen, wovon sich ein ganzes Land in Bann schlagen ließ: von Angehörigen einer Generation, die die Schuld der Eltern in einen Freibrief für sich selbst umzumünzen verstanden, unter dem Deckmantel einer überlegenen Moral de facto jeden moralischen Maßstab über Bord zu werfen. Für die allerpersönlichsten Probleme wird die ganze Gesellschaft in Sippenhaftung genommen. Mordeten die Eltern die jüdische Elite, so bemühten sich die Kinder, dies in bezug auf die kapitalistische Elite zu besorgen, wobei der Feind, wie Schiller zugibt (121), durchaus auch in Israel geortet wurde. Wozu man aber das eigene Leben ruinierte, Menschen umbrachte, eine ganze Gesellschaft in Schrecken versetzte, das bleibt, wie bei allen derartigen Lebensberichten, völlig im Dunkeln. Die RAF jedenfalls erklärte, es sei "unmöglich, heute konkrete Modelle einer zukünftigen, neuen, gerechten Gesellschaft zu entwerfen, weil der Weg dahin so lang und schwer sei ..." (144). Wohin der Weg führt, weiß man nicht, wohl aber, daß es der richtige Weg ist. Wer sich mit dieser Logik zufrieden gibt, der ist allzu schnell zufrieden. Hoffentlich werden Schillers Kinder ihre Mutter einmal so zur Rechenschaft ziehen, wie die Mutter es mit der Generation ihrer Eltern tat - mit anderen Konsequenzen allerdings.
Barbara Zehnpfennnig (BZ)
Prof. Dr., Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 2.331 Empfohlene Zitierweise: Barbara Zehnpfennnig, Rezension zu: Margrit Schiller: "Es war ein harter Kampf um meine Erinnerung" Hamburg: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/10330-es-war-ein-harter-kampf-um-meine-erinnerung_12216, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 12216 Rezension drucken