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Karl-Werner Brand (Hrsg.): Die sozial-ökologische Transformation der Welt. Ein Handbuch

18.04.2018
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Autorenprofil
Dipl.-Journ. Wolfgang Denzler, B.A., M. Sc.
Frankfurt am Main, Campus 2017

Welt im Wandel

Die im Buchtitel genannte sozial-ökologische Transformation hat sich inzwischen zu einem gebräuchlichen Begriff in der Nachhaltigkeitsdebatte entwickelt. Er impliziert eine normative Haltung, die sich insofern vom Mainstream-Nachhaltigkeitsdiskurs abgrenzt, als sie in ihrer Bestimmtheit dort nicht selbstverständlich ist: Eine nachhaltige Entwicklung kann kein Kontinuum bedeutenden. Klimawandel, Biodiversitätsverluste und allgemein das anhaltende Überstrapazieren ökologischer Systeme erlauben keine nachhaltige Entwicklung, die vor allem ein optisch modernisiertes ‚Weiter so wie bisher‘ bedeutet. Damit die bestehenden Systeme dauerhaft bestehen können, müssen sie grundlegend transformiert werden. So augenfällig normativ formuliert der Herausgeber den Begriff indes nicht, dazu später mehr.

Versuch der Bilanzierung

Nicht weniger als eine „global angelegte Bilanzierung […] der sozial-ökologischen Transformation der modernen Welt“ (21) wollte der deutsche Umweltsoziologe Karl-Werner Brand im Alleingang vorlegen. Im Vorwort reflektiert er die Entstehungsgeschichte seines Werkes und räumt erfreulich offen ein, dass er sich jedoch innerhalb von zwei Jahren „in den ausufernden gesellschaftstheoretischen Debatten, historischen Analysen und internationalen Vergleichen zur Entwicklung und Veränderung gesellschaftlicher Umweltbeziehungen […] etwas verloren hatte“ (9). Zeit- und Machbarkeitsdruck bewegten ihn dann dazu, weitere Co-Autoren hinzuzuziehen, die sein theoretisches Interpretationsgerüst um eigene Beiträge und damit Einblicke in bestimmte Transformationsfelder beziehungsweise die Perspektiven anderer Länder ergänzen. Bereits im Inhaltverzeichnis weist das Handbuch ein gewisses Ungleichgewicht auf: Die Hälfte der Kapitel und beinahe auch der Seiten stammen von Brand; den restlichen Raum teilen sich die zehn anderen Autor*innen. Der Herausgeber und Hauptautor weist zudem daraufhin, dass seine Kolleg*innen unterschiedlichen Disziplinen und Denkschulen entstammen und seinen Theoriezugang „nicht unbedingt“ (10) teilen. Vielleicht beziehen sich deshalb die Beiträge zum Teil auch nur lose aufeinander beziehungsweise auf die Leitgedanken des Buches.

Aus pragmatischen Gründen werden in dieser Buchvorstellung daher nur die zentralen Inhaltskapitel des Hauptautors besprochen. Brand ist, soviel sei vorweggenommen, trotz oder vielleicht gerade wegen des mühevollen Entstehungsprozesses des Werkes ein, wie von ihm eingangs erhofft, „informatives, theoretisch herausforderndes Handbuch“ (10) gelungen: In ungewohntem Umfang und mit kenntnisreicher Tiefe beschreibt und analysiert er, wie die Menschheit in den vergangenen hundert Jahren versucht hat, die für Mensch und Umwelt negativen Folgen beschleunigter und wachsender Modernisierung und Industrialisierung systematisch „in den Griff“ (10) zu bekommen.

Der gesellschaftliche Kontext ist entscheidend

Das Phänomen der Umweltübernutzung hat eine lange Geschichte und nicht wenige historische Hochkulturen sind untergangen, weil sie daran gescheitert sind, ihre „Formen der Naturnutzung in eine umweltverträgliche Richtung zu lenken“ (19). Brand sucht in seiner Forschung bezogen auf die jüngsten Jahrzehnte nach erkennbaren Mustern, Lerneffekten oder Paradigmenwechseln im Umgang mit Umweltproblemen. Er hinterfragt die apokalyptischen Krisendiskurse in den Medien: Ohne den Druck der Umweltbewegung wären wahrscheinlich auch die kleinen umweltpolitischen Teilerfolge ausgeblieben und die ökologischen Folgen der Industrialisierung hätten möglicherweise noch weitaus schlimmer ausfallen können. Trotzdem gilt es zu konstatieren, dass die politische „Regulierung von Umweltproblemen […] auf grundsätzliche Probleme“ (16) stößt – wie etwa, dass die Fixierung moderner Politik auf wirtschaftliches Wachstum und kurzfristiges Problemmanagement grundlegend inkompatibel „mit den grenzüberschreitenden, ressortübergreifenden, sehr viel längerfristige Zeitrhythmen folgenden ökologischen Problemlagen“ (16) scheint. Ganz allgemein gilt, so formuliert der Autor seine Grundthese, „dass die Entstehung von und der Umgang mit Umweltproblemen untrennbar mit den jeweils dominanten gesellschaftlichen Organisationsmustern, Problem- und Konfliktlagen verknüpft ist.“ (20) Die Dynamiken der sozial-ökologischen Transformation müssten daher immer aus ihrem gesellschaftlichen Kontext heraus rekonstruiert werden. Dies gelingt Brand in den folgenden Kapiteln dann auch anschaulich.

Transformationen und ihre Dynamiken

Der Begriff der Transformation erlebe Konjunktur, seitdem das Leitbild nachhaltiger Entwicklung immer weniger als „adäquate Antwort“ (24) auf den als zunehmend bedrohlich empfundenen Klimawandel sowie eine in Teilen immer noch andauernde Wirtschafts-, Finanz- und Staatschuldenkrise gesehen werde. Auch die Sustainable Development Goals, die im Rahmen des UN-Programms „Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development“ 2015 beschlossen wurden, atmeten diesen „Transformationsgeist“ (25). Im englischen Sprachraum werde für solch einen gezielt gestalteten und normativ erwünschten Übergang jedoch vor allem das Etikett „Sustainability Transition“ (25) verwendet. Brand stellt klar, dass es in seinem Buch nicht darum gehe, wie ein bestimmtes Transformationsprojekt, eine bestimmte normative Vision durchzusetzen seien, „sondern um die Analyse der empirisch beobachtbaren Transformationsdynamiken“ (28). Der Begriff sozial-ökologische Transformation ist mehrdeutig (und muss nicht, wie in der Einleitung geschehen, zwangsläufig normativ gelesen werden). Der Verfasser unterscheidet zwischen drei Bedeutungen:

  1. Die durch Landwirtschaft, Urbanisierung, Motorisierung usw. „immer schon bewirkte Transformation gesellschaftlicher Naturverhältnisse“ (28);
  2. die sozial-ökologischen Veränderungsdynamiken, die ausgelöst wurden durch die gesellschaftliche Problematisierung und Bearbeitung von Umweltproblemen (hierin sieht er den wesentlichen Untersuchungsgegenstand seiner Arbeit);
  3. und schließlich sozial-ökologische Transformation verstanden als auf die Lösung globaler Umweltprobleme „zielende normative Veränderungsstrategien“ (28).

Konflikte sind unvermeidbar

Der Schutz der Umwelt gilt heutzutage als weitgehend einhelliges Anliegen. Geht es aber an die konkrete Umsetzung, an erforderliche „tiefer greifende Veränderungen im Gefüge“ (45), die auch „immer bestehende Interessen- und Machtstrukturen“ (45) tangieren, kommt es unvermeidbar zum Konflikt. In „Fragen, die einen stärkeren Bruch mit etablierten Praktiken und institutionellen Formen der Problembearbeitung erfordern“ (46), könne kaum ein Konsens hergestellt werden. Auch die Umweltbewegung an sich skizziert Brand heterogen: Sie vereine unter dem unscharfen Label Umwelt/Ökologie eine breite und oft widersprüchliche Vielfalt an Positionen, Kritikmustern und Visionen. So fänden sich hier „neben reformistischen und radikalen immer auch (wert)konservative und traditionalistische [… sowie] neo-malthusianische Diskurse“ (93). Der letztgenannte Begriff bezieht sich auf Thomas Malthus. Der britische Ökonom sah die Überbevölkerung als das zentrale globale Wachstumsproblem.

Neoliberale Nachhaltigkeit

Seit den Neunzigern nahmen „marktorientierte Steuerungsinstrumente“ (101) eine dominante Position in der Umweltpolitik ein. Dies erfolgte primär, weil sie nicht dem dominierenden Wachstumsparadigma widersprachen. Nachhaltige Entwicklung sollte vor allem mithilfe der sogenannten Ökologischen Modernisierung vorangetrieben werden; „wirtschaftsliberale Lösungsperspektiven“ (104), die auf Effizienztechnologien, Deregulierung und Marktöffnung sowie eine vorgeblich starke (eigenverantwortliche) Rolle des privaten Konsumenten setzten, standen im Zentrum der Überlegungen. Der Autor zeigt sich hierzu deutlich skeptisch, da diese Strategien wenig Wirkung zeigten. Die Dominanz der Ökologischen Modernisierung sieht er im direkten Zusammenhang mit der Blüte des Neoliberalismus.

Die eine große Transformation wird es nicht geben

Brand zeigt sich grundsätzlich pessimistisch, was die Erfolgsaussichten abgestimmter internationaler Umweltpolitik angeht. Liberale Industrieländer mit einer relativ gut gebildeten und wohlhabenden Mittelschicht im Norden und zum Beispiel kleinbäuerliche indigene Bevölkerungen in autoritären Ländern des Südens haben sehr unterschiedliche Transformationsperspektiven und Handlungsoptionen. Die eine große „staatlich aktiv gestaltete und international synchronisierte post-fossile Transformation wird es nicht geben“ (452). Die historische Paradigmenabfolge von „Naturschutz, Umweltschutz und Nachhaltiger Entwicklung“ (124) sei zwar eng mit der wachsenden Bedeutung globaler Umweltprobleme verbunden. Das „globale, szientistisch-technokratische“ Erdsystem-Management-Modell, das die menschliche Entwicklung innerhalb eines Sicherheitskorridors planetarischer Grenzen lenken soll, kritisiert der Herausgeber aber als „sozialwissenschaftlich hochgradig unterkomplex“ (436). Er gibt zu bedenken, dass etwa in der vorgeblich objektiven (natur-)wissenschaftlichen Festlegung solcher Grenzen „immer auch politische und ökonomische Interessen, kulturelle Deutungen und Wertsetzungen“ (437) einfließen. Als weiteres Beispiel könnte man hier auch auf das 2-Grad-Ziel oder die Sustainable Development Goals verweisen, die jeweils auch politisch ausgehandelte Kompromisse darstellen, aber oft technokratisch als allgemein gültige wissenschaftliche Definitionen gedeutet werden. Zudem sei der Bezug auf die Menschheit immer vereinfachend: „Zu heterogen, zu ungleich, zu widersprüchlich sind die Betroffenheiten, Erfahrungs- und Interessenlagen“ (452). Die menschliche Gattung könne nicht als handlungsfähiger Akteur adressiert werden, „der die Regulierung des Erdsystems übernehmen könnte“ (438).

 

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