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Peter Birle / Klaus Bodemer / Andrea Pagni (Hrsg.)

Argentinien heute. Politik, Wirtschaft, Kultur

Frankfurt a. M.: Vervuert Verlag 2010 (Bibliotheca Ibero-Americana 136); 498 S.; 2., vollst. neu bearb. Aufl.; 36,- €; ISBN 978-3-86527-594-3
Mit der neoliberalen Öffnung der Wirtschaft sei ein neuer Modernisierungszyklus eingeleitet worden, „für den die Konzentration von Privatkapital, der Rückzug des Staates und die soziale Segmentierung kein Problem darstellten” (316). Adrián Gorelik und Graciela Silvestri definieren damit den Faktor, der die gesamte jüngere Entwicklung Argentiniens bestimmte. In ihrer kompakten Analyse konzentrieren sich die beiden Autoren zwar auf Buenos Aires, verdeutlichen dabei aber auch wesentliche Grundzüge der staatlichen Steuerung – beziehungsweise ihr Fehlen. Gorelik und Silvestri erläutern, wie mit dem Ende der Militärdiktatur 1983 auch deren Modernisierungsleitbild von einer sauberen und funktionellen Stadt als diskreditiert angesehen wurde. Da die Kultur in der Stadt aufblühte und der öffentliche Raum wieder allgemein genutzt werden konnte, sah man sich auf einem neuen und richtigen Weg. Dennoch schlugen sämtliche „Versuche, die Stadt nach der Diktatur neu zu denken“ (313) fehl. Stattdessen etablierte sich ein neuartiges Stadtmodell, gefördert wurden private, exklusive Enklaven, für die mittleren und hohen Einkommensgruppen wuchs das Angebot an privaten Dienstleistungen, zugleich verfielen die öffentlichen Versorgungsnetze. Die Armen wurden und werden immer stärker auf ihr eigenes Viertel als alleinigen Lebensraum eingeschränkt. Die Stadt wird nicht mehr als Ganzes gedacht. Ähnliche Befunde über die Fragmentierung der Gesellschaft bei Auflösung des Mittelstandes und zunehmender Arbeitslosigkeit und Armut in den Unterschichten finden sich auch in den anderen, insgesamt sehr informativen Beiträgen in diesem Länderprofil. Die Autoren nehmen dabei aber nicht mehr nur auf das Ende der Militärdiktatur als Zäsur Bezug, sondern auch auf die Krise 2001/02, bei der nach sozialen Unruhen der gewählte Präsident zurücktreten musste. Diese Krise wird zwar als bestandene demokratische Bewährungsprobe gesehen, eine Vertiefung der Demokratie lässt sich allerdings aus den Beiträgen nicht herauslesen. So stellt Jonas Wolff fest, dass die politischen Prozesse nach wie vor stark von einzelnen Personen abhängen, auch unter Nestor Kirchner und Cristina Fernandez de Kirchner habe sich das nicht geändert. Die Herausgeber sehen ebenfalls den immer noch grassierenden populistischen Anti-Institutionalismus als Manko der politischen Kultur Argentiniens an und damit als Entwicklungshemmnis.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.65 | 2.21 | 2.22 | 4.22 | 4.21 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Peter Birle / Klaus Bodemer / Andrea Pagni (Hrsg.): Argentinien heute. Frankfurt a. M.: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33203-argentinien-heute_39696, veröffentlicht am 01.03.2011. Buch-Nr.: 39696 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken