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Geschichte der Gewalt. Dissidenz, Repression und offene Gewalt in der Volksrepublik

06.03.2017
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Natalie Wohlleben, Dipl.-Politologin

Spaziergnger mit VgelnSttraßenszene in einem Hutong in Beijing. Foto: Natalie Wohlleben

 

Das Bild der kommunistischen Revolution in China war lange durch „Red Star over China“ geprägt, das 1938 erstmals erschien – der Journalist Edgar Snow erzählte darin ihre Geschichte als Heldensaga, gestützt auf die Informationen, die er unmittelbar von Mao Zedong erhalten hatte. Wie tief durchdrungen die Geschichte des Kommunismus in China aber von Gewalt ist, erhellt sich erst in jüngeren Veröffentlichungen – auch, aber nicht nur von chinesischen Autorinnen und Autoren, die mit dem System gebrochen haben. Sun Shuyun zeigt in „Maos Langer Marsch“ (1934-1395), dass sich die Gewalt der Revolutionäre von Anfang an nicht nur gegen ihre Opponenten, sondern auch gegen die einfache Bevölkerung und sogar gegen sie selbst richtete. Ende der 1950er-Jahre verursachte Mao Zedong durch seine sozial- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen eine schwerwiegende Hungersnot, von ihren Schrecken erzählt Yang Jisheng in „Grabstein – Mùbēi“. Wer aufbegehrte oder auch nur willkürlich von dem Regime als Oppositioneller gebrandmarkt wurde, wurde in die chinesische Gulag-Variante deportiert. Yang Xianhui legt davon in „Die Rechtsabweichler von Jiabiangou. Berichte aus einem Umerziehungslager“ Zeugnis ab, weitere Informationen finden sich in dem Band „LAOGAI. The Machinery of Repression in China“. Herausgegeben wurde er von der Laogai Research Foundation, die 1992 von dem inzwischen verstorbenen Dissidenten Harry Wu in den USA gegründet wurde. Ihre Fortsetzung hat diese Repressionsgeschichte mit der Niederschlagung der Proteste auf dem Tian'anmen am 4. Juni 1989 gefunden, Andrew J. Nathan und Perry Link haben dazu „Die Tiananmen-Akte“ veröffentlicht. In neueren Veröffentlichungen erzählten Liao Yiwu, Gao Zhisheng und Ai Weiwei von fortgesetzter Willkür und Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Anzeichen für eine Mäßigung des kommunistischen Regimes gibt es nicht, wie die andauernde Inhaftierung des Literaturnobelpreisträgers Liu Xiaobo zeigt – er hatte die Demokratisierung des Landes gefordert. Wie vielfältig die Meinungen dennoch sind, zeigt Ian Buruma in „Chinas Rebellen. Die Dissidenten und der Aufbruch in eine neue Gesellschaft“. 

 

Ai Weiwei

Macht euch keine Illusionen über mich. Der verbotene Blog. Hrsg. von Lee Ambrozy

Berlin: Galiani 2011; 478 S.; 19,99 €; ISBN 978-3-86971-049-5
Der Chinese Ai Weiwei ist schon längst nicht nur ein Künstler, sondern gilt als Ikone des Kampfes für Meinungsfreiheit, Menschenwürde und das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung. Seine öffentlichen Meinungsäußerungen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen sowie – nicht zuletzt – sein Projekt, mit dem er an die Schülerinnen und Schüler erinnert, die 2008 bei dem Erdbeben in Sichuan starben, haben ihn zum Staats‑ und Parteifeind der chinesischen Führung avancieren lass...weiterlesen



Ian Buruma

Chinas Rebellen. Die Dissidenten und der Aufbruch in eine neue Gesellschaft. Aus dem Englischen von Hans-Günter Holl

München/Wien: Carl Hanser Verlag 2004; 446 S.; 25,90 €; ISBN 3-446-20545-4
„China“ sei etwas Orthodoxes, schreibt der Publizist und in London lehrende Sinologe Buruma, „ein Dogma, das Politik als Kultur und Nation als Rasse ausgibt“ (21). Doch der damit einhergehende Mythos von der Einheit des „Chinesischen“ entpuppt sich im Laufe der Reisen, die Buruma seit 1996 durch die chinesischsprachige Welt unternommen hat, als wirklichkeitsfern und sinnentleert. Unter dem Eindruck dieses Mythos, der bei Regierenden wie Oppositionellen lebendig ist, erscheint die Rettung Chinas ...weiterlesen



Gao Zhisheng

Chinas Hoffnung. Mein Leben und Kampf als Rechtsanwalt im größten kommunistischen Staat. Hrsg. von Thomas Kalmund

Münster: agenda Verlag 2008; 371 S.; 14,95 €; ISBN 978-3-89688-355-1
Gao ist einer der bekanntesten Anwälte für Menschenrechte in China, 2001 noch war er vom Justizministerium zu einem der zehn besten Anwälte des Landes gekürt worden. Nach offenen Briefen, in denen er vor allem gegen die Unterdrückung religiöser Gemeinschaften protestierte, nach seinem rechtlichen Beistand für Mitglieder der von der Regierung kriminalisierte Falun Gong-Gemeinschaft und nachdem er eine Hungerstreikkampagne organisierte hatte, wurde Gao verhaftet und gefoltert. Seit seiner erneuten...weiterlesen



Nicole Kempton / Nan Richardson (Hrsg.)

LAOGAI. The Machinery of Repression in China

Münster: agenda Verlag 2009; 160 S.; geb., 32,- €; ISBN 978-3-89688-390-2
„Laogai“ bedeutet „Reform durch Arbeit“ und steht für das chinesische Arbeitslagersystem, das mit sowjetischer Hilfe in den 50er-Jahren eingerichtet wurde und unter einem geänderten Namen noch heute existiert. Das Programm, das dem System zugrunde liegt, lautet „Zwangsarbeit ist das Mittel, Gedankenreform ist das Ziel“ und beschränkt sich nicht nur auf Kriminelle, sondern umfasst auch die Bestrafung von politisch Andersdenkenden. Die Laogai Research Foundation...weiterlesen



Liao Yiwu

Die Kugel und das Opium. Leben und Tod am Platz des Himmlischen Friedens. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann

Frankfurt a. M.: S. Fischer 2012; 430 S.; geb., 24,99 €; ISBN 978-3-10-044815-6
„Die Zahl der Toten von Tian’anmen wurde nie veröffentlicht und ist nicht bekannt“, schrieb jüngst Salman Rushdie („Joseph Anton“, 2012), „Erinnerung ist die einzige Verteidigung gegen brutale Schonungslosigkeit. Dass die Erinnerung ihr Feind ist, wusste auch die chinesische Führung. Es reichte nicht, die Protestierenden umzubringen. Man sollte sich ihrer fälschlich als Abweichler und Verbrecher erinnern, nicht als tapfere Studenten, die ihr Leben für die Frei...weiterlesen



Liao Yiwu

Gott ist rot. Geschichten aus dem Untergrund – Verfolgte Christen in China. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann

Frankfurt a. M.: S. Fischer 2014; 352 S.; geb., 21,99 €; ISBN 978-3-10-044814-9
Der chinesische Dissident Liao Yiwu, 2011 aus seinem Heimatland geflüchtet, verleiht als einer der wenigen der einfachen chinesischen Bevölkerung wenigstens im Ausland eine Stimme. Nachdem er aus der Haft, die er für das Gedicht „Massaker“ verbüßen musste (siehe auch Buch‑Nr. 43142), entlassen wurde, zog er durch das Land und interviewte Menschen, die die Härte der Diktatur besonders zu spüren bekommen hatten. Zwischen 2005 und 2009 befragte er in der südwestlichen Provinz Yunnan Christinnen und Christen nach ihrem Leben. Die Berichte der meist ...weiterlesen



Andrew J. Nathan / Perry Link

Die Tiananmen-Akte. Die Geheimdokumente der chinesischen Führung zum Massaker am Platz des Himmlischen Friedens

Berlin: Propyläen Verlag 2001; 765 S.; 36,- €; ISBN 3-549-07134-5
Von dem Massaker am Tiananmen-Platz, das am 4. Juni 1989 hunderte, wenn nicht gar tausende von Menschen das Leben kostete, existieren bereits viele Augenzeugenberichte. Die Schüsse der chinesischen Volksarmee auf das eigene Volk sind mittlerweile gut dokumentiert. Die Veröffentlichung von geheimen Protokollen, Berichten und handschriftlichen Aufzeichnungen aus dem engeren chinesischen Führungszirkel ist jedoch nicht mehr und nicht weniger als eine Sensation. Die Entscheidungsprozesse und Verantw...weiterlesen



Sun Shuyun

Maos Langer Marsch. Mythos und Wahrheit. Aus dem Englischen von Henning Thies

Berlin: List Taschenbuch 2009; 383 S.; kart., 9,95 €; ISBN 978-3-548-60892-1
Der „lange Marsch“ gilt als Gründungsmythos der Volksrepublik, Anfang der 30er-Jahre zogen rund 200.000 Menschen unter der Führung von Mao quer durch China und wurden damit das Vorbild für alle nachfolgenden Generationen. „Man hat uns eingebläut, dass wir jedes von der Partei vorgegebene Ziel erreichen können, weil nichts je wieder so schwer sein könne wie das, was die kommunistischen Veteranen geleistet hätten“ (12), schreibt die Schriftstellerin Sun. Und tatsächlich ist...weiterlesen



Yang Jisheng

Grabstein – Mùbēi. Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann

Frankfurt a. M.: S. Fischer 2012; 792 S.; geb., 28,- €; ISBN 978-3-10-080023-7
„Es war nicht erlaubt zu weinen“ (296) – in einigen Regionen wurde dies angeordnet, unausgesprochen galt es im ganzen Land. Die 36 Millionen Chinesinnen und Chinesen, Kinder wie Erwachsene, die bei der großen Hungerkatastrophe starben, sind bis heute in der Volksrepublik nicht betrauert worden. Der Journalist Yang, dessen Vater 1959 verhungerte und der dennoch lange der Propaganda glaubte, wonach einzelne Menschen infolge von Naturkatastrophen gestorben seien, hat seit den früh...weiterlesen



Yang Xianhui

Die Rechtsabweichler von Jiabiangou. Berichte aus einem Umerziehungslager. Aus dem Chinesischen von Katrin Buchta

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009 (edition suhrkamp 2591); 251 S.; 16,- €; ISBN 978-3-518-12591-5
Das Buch ist eine Art chinesische Variation von Solschenizyns „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ – so wie dieser 1962 den grausamen Alltag eines Lagerinsassen im Archipel Gulag schilderte und dies auch veröffentlichen konnte, nimmt sich der Schriftsteller Yang der früher in einem chinesischen Speziallager Inhaftierten an. Sein Bericht erschien 2003 in China etwas verschleiert als „fiktionale Literatur“ (14), der Autor gewann damit sogar den Preis „Beste...weiterlesen

 

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Nachruf

Der chinesische Friedensnobelpreisträger und Dissident Liu Xiaobo ist am 13. Juli 2017 verstorben. Erst kurz zuvor war er aufgrund einer Krebserkrankung nach fast zehn Jahren aus der Haft entlassen worden. Liu Xiaobo hatte im Juni 1989 zusammen mit Zehntausenden Menschen auf dem Tiananmen für die Demokratisierung der Volksrepublik demonstriert und war Mitinitiator der 2008 veröffentlichten „Charta 08“, die nach dem Vorbild der Charta 77 gestaltet war, in der tschechoslowakische Bürgerrechtler um Vaclav Havel Reformen gefordert hatten. Liu wurde wegen dieser „Sprechverbrechen“ verurteilt. Ausführlich gewürdigt wird er in:

Liu Xiaobo, 1955-2017
A ChinaFile Conversation, 14. Juli 2017

Zum Tod von Liu Xiaobo - Der Standhafte
Süddeutsche Zeitung, 13. Juli 2017


Aus den Denkfabriken

Ted Piccone
China’s long game on human rights
Brookings Institution, 24. September 2018


Aus der Annotierten Bibliografie


Jung Chang / Jon Halliday

Mao. Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer, Heike Schlatterer, Werner Roller

München: Karl Blessing Verlag 2005; 975 S.; geb., 34,- €; ISBN 3-89667-200-2
Mao „war verantwortlich für über 70 Millionen Tote in Friedenszeiten“ (17). In dieser Aussage konzentriert sich die Leistung der Autoren Chang und Halliday. Sie verknüpfen in ihrer akribisch recherchierten und geradezu minuziösen Biografie die Grausamkeiten, die jahrzehntelang an der chinesischen Bevölkerung begangen wurden, mit der Person Maos. Vom gelobten „großen Steuermann“, vom idealisierten Revolutionär und Poeten bleibt am Ende ein nach der Macht süchtiger Diktator...weiterlesen


 

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