
Ursula Münch / Heinrich Oberreuter / Jörg Siegmund (Hrsg.): Komplexe Farbenlehre. Perspektiven des deutschen Parteiensystems im Kontext der Bundestagswahl 2017
Dieser Tagungsband liefere Anstöße für eine Diskussion über die Zukunftsperspektiven des deutschen Parteiensystems nach den Bundestagswahlen 2017, schreibt Rezensent Oscar Gabriel. So werde unter anderem das Wahlergebnis analysiert, etwa die Tatsache, dass die Parteien der Mitte geschwächt, die Flügelparteien hingegen und der Ost-West-Gegensatz im Wählerverhalten gestärkt worden seien. Gefragt werde nach den Gründen des langwierigen Regierungsbildungsprozesses. Gabriel moniert die Heterogenität der Beiträge, es fehle eine schlüssige Konzeption, die alle Autor*innen hätten umsetzen können.
Große Koalitionen als Motoren der Polarisierung
Hat die Große Koalition zu einer politischen Radikalisierung beigetragen? Oscar Gabriel untersucht diesen oft geäußerten Verdacht. Hierfür stützt er sich auf die Daten des European Social Survey und der German Longitudinal Election Study für die Jahre 2004 bis 2018. So können u.a. Veränderungen bei der Selbsteinstufung der Wähler und bei ihrer Teilnahme an außerparlamentarischen Protesten berücksichtigt werden. Gabriel unterstreicht, dass sich zwar Radikalisierungsprozesse zeigen ließen, eine „systematische Beziehung zwischen dem Amtieren einer Großen Koalition“ und einer Polarisierung der Bevölkerung aber nicht feststellbar sei.
Ende gut – alles gut? Regierungsbildung als Geduldsprobe
Nach 117 Tagen ging mit der Kanzlerwahl am 14. März 2018 die längste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik zu Ende. Am Ende zäher Verhandlungen kam ein weder von der Union noch von den Sozialdemokraten angestrebtes Regierungsbündnis zustande. Oscar W. Gabriel skizziert die Etappen der Regierungsbildung und zeigt auf, was von der neuen großen Koalition zu erwarten ist. Er sieht gute Voraussetzungen dafür gegeben, dass die Koalition nicht an den Erwartungen der Wähler scheitern wird. Zu rechnen sei eher mit parteiinternen Spannungen. Zudem beleuchtet er die Chancen eines Erneuerungsprozesses der Regierungsparteien, insbesondere der SPD.
Das Ende von Jamaika: Große Koalition – nein danke! Regierungsoptionen und die Selbstwahrnehmung der SPD
Erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik scheiterte der erste Anlauf zur Bildung einer Bundesregierung – die FDP brach die Sondierungsgespräche über die Bildung einer Jamaika-Koalition ab. Umgehend breitete sich in der Öffentlichkeit eine alarmistische Grundstimmung aus. Aber kam das Scheitern der Gespräche tatsächlich überraschend? Oscar W. Gabriel analysiert die Interessenlagen der Parteien und kommentiert Vorzüge wie Probleme möglicher Regierungskonstellationen. Vordergründig scheine die erneute Bildung einer Großen Koalition jetzt der leichteste Weg zu sein, schreibt er, es wäre aber auch eine mutlose Lösung um den Preis, die AfD in die Position der stärksten Oppositionspartei zu heben. Daher rückt er eine schwarz-grüne Minderheitenregierung, toleriert von der FDP, in den Fokus.
Anmerkungen zu einem paradoxen Wahlergebnis. Erste wahlsoziologische Betrachtungen
Keine der im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 veröffentlichten Umfragen deutete an, was sich am Wahltag abspielte: Trotz einer guten Bewertung der Wirtschaftslage, ungeachtet der vorherrschenden Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit und unabhängig von hohen Sympathiewerten der führenden Regierungsmitglieder erlebten die beiden Regierungsparteien CDU/CSU und SPD mit einem Stimmenverlust von fast 14 Prozentpunkten den tiefsten Absturz in der bisherigen Wahlgeschichte der Bundesrepublik. Oscar W. Gabriel bietet erste Erklärungen zu diesem Phänomen und erklärt im Kontrast dazu die Motive der AfD-Wähler.