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Dirk Laabs: Staatsfeinde in Uniform. Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern

26.03.2021
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Autorenprofil
Prof. Dr. Eckhard Jesse
Berlin, Econ 2021

Die Kernthese des von Dirk Laabs verfassten Buches lautet, so Rezensent Eckhard Jesse, dass bundesdeutsche Sicherheitsbehörden von Rechtsextremisten teilweise unterwandert sind: „die Bundeswehr mit dem ‚Kommando Spezialkräfte‘, der Militärische Abschirmdienst, die Polizei, der Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst“. Im Behördenapparat gebe es ein „‚großes Unterstützerumfeld‘“, die Rede sei von einer Gruppe von „‚2000 Gleichgesinnten‘“. Jesse vermisst eine angemessene Einordnung der beschriebenen Probleme, die auf Skandalisierung verzichtet und kritisiert, dass wenig über die Ursachen für rechtsextremistische Umtriebe zu erfahren sei.

Eine Rezension von Eckhard Jesse

Im März 2021 wurde der Soldat Philipp S. aus dem 1996 gegründeten Kommando Spezialkräfte (KSK 9), einer Eliteeinheit der Bundeswahr, wegen des Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Damit ist die Entlassung aus der Bundeswehr verbunden. Der Soldat hatte in seinem Garten eine große Menge Munition und Sprengstoff versteckt, ebenso eine Kalaschnikow. Seine Begründung, damit mögliche Engpässe zu überbrücken, galt als unglaubwürdig. Anhaltspunkte für terroristische Aktionen ergaben sich allerdings nicht. Und im Haus fand sich u. a. ein SS-Liederbuch. Dieser Fall kommt ausführlich auch im Buch „Staatsfeinde in Uniform“ (238-242) vor.

Dirk Laabs hat sich mit seinen Werken über die Geheimdienste im Umfeld des 11. September 2001, die „wahre Geschichte der Treuhand“, den „Aufstieg und Fall der Deutschen Bank“ sowie über den Nationalsozialistischen Untergrund einen Namen als investigativer Journalist gemacht. Was in diesen Schriften bereits anklang, tritt im neuesten Werk stärker hervor: ein an Verschwörungsmythen grenzender Duktus, der die komplexe Realität unangemessen widerspiegelt. Dies geschieht wohl im Bestreben, Neues zu enthüllen und Sensationelles aufzutischen. Die 21 Kapitel lauten etwas geheimnisvoll wie folgt: Die Gleichgesinnten, „An die Gewehre!“, Der Abschirmdienst, Das Kommando, Afghanistan, Im Schatten, Feindesland, Die Loge, Echokammer, Die Reserve, Westkreuz, „Das Merkel abknallen“, Viribus Unitis, Im Bunker, Derin devlet – Tiefer Staat, Dienststelle 61, Feuerball NSU 2.0, Staatswohl, Terrorabwehr. Bereits hier wird die Vielzahl der angeschnittenen Aspekte deutlich. Selbst der eingeweihte Leser hat Mühe, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen, springt der Verfasser doch von Thema zu Thema.

Die Kernthese lautet: Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland sind von Rechtsextremisten teilweise unterwandert: die Bundeswehr mit dem „Kommando Spezialkräfte“, der Militärische Abschirmdienst, die Polizei, der Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst. Wer rechtsextremistische Kreise, die mit Waffen hantieren, namhaft macht, verdient prinzipiell Anerkennung. Doch der Tenor fällt geradezu alarmistisch aus. Und die Parallelen zur Weimarer Republik, die immer wieder auftauchen, sind stark überzogen. Laabs will seine These nicht zuletzt mit Aussagen aus der „Szene“ belegen, nimmt diese aufschneiderisch-prahlerischen Angaben oft für bare Münze, ohne den Wahrheitsgehalt hinreichend zu überprüfen. Auf mindestens 25 Seiten ist vom „Tag X“ die Rede. An diesem Tag wolle das rechtsextremistische Milieu mit den Gegnern abrechnen und die Macht übernehmen. Laabs zitiert dabei aus Chats und aus E-Mails. Nur: Welche Realität wohnt solchen Phantastereien inne? Gleiches gilt für die These von den „2000 Gleichgesinnten“. Darauf geht der Autor viel zu wenig ein. Stattdessen heißt es: „Extremisten haben eine Schwäche, die ihnen oft in den Weg kommt. Sie können ihre radikalen Absichten, ihren Extremismus, nicht lange vor ihren Mitmenschen verbergen. Denn im Herzen sind sie Missionare. Sie wollen der Welt mitteilen, dass sie recht haben, dass sie die einzig relevante Elite sind, die dem Rest sagen darf und sagen muss, wie die eigene Region, das Land, die Welt zu retten ist“ (158). Hier verallgemeinert Laabs, denn gerade Extremisten, die gewalttätig vorgehen, halten im Allgemeinen „dicht“, schon aus Angst davor, entdeckt zu werden. Und viele, die plaudern und protzen, sind verbale Aufschneider, ohne dass sie zu Taten schreiten.

Wer Ursachen für rechtsextremistische Umtriebe sucht, findet sie in diesem Werk kaum. Polizisten, in ihrem Alltag oft beschimpft, machen zuweilen ebenso unliebsame Erfahrungen wie Bundeswehrangehörige. Und wessen Herz links schlägt, meidet die Arbeit in den Sicherheitsbehörden, die dafür sorgen, dass das Gewaltmonopol des Staates, das eine wichtige Errungenschaft der Demokratie ist, unversehrt bleibt. Das entschuldigt rechtsextremistische Gewaltexzesse keineswegs, erklärt sie freilich zum Teil. Diese müssen aufgeklärt und verfolgt werden. Wenn manche Aufklärungsversuche nicht den nötigen Erfolg bringen, mag das u. a. mit der von Laabs kritisierten Fixierung der Sicherheitsbehörden auf Organisationen zu tun haben. „Doch entscheidend sind am Ende oft nicht die Gruppen, sondern die handelnden Personen, die Menschen und ihre Ziele, die – auch und gerade in der rechtsextremistischen Szene – eine große Kontinuität aufweisen“ (215) Sollte das stimmen, kommt Netzwerken wohl kein so starkes Gewicht zu, wie suggeriert.

Laabs bezieht sich öfter auf „2000 Gleichgesinnte“, von denen in der rechtsextremistischen Szene bisweilen die Rede ist. Es gebe deutliche Hinweise, „dass diese Gruppe – bestehend aus Polizisten, Soldaten, Zivilisten – nur die Spitze des Eisberges ist und es ein großes Unterstützerumfeld im Behördenapparat gibt, also in Verfassungsschutzbehörden, in Landeskriminalämtern und gewöhnlichen Polizeistationen“ (425). Für diesen Generalverdacht liefert Laabs keine Belege. Zwar seien diese „Gleichgesinnten“ keine organisierte Schattenarmee, sondern erst eine „entstehende Terrorbewegung, deren Schlagkraft noch nicht abzusehen ist“ (425). Den Verfasser erinnert sie an die linksextremen „Revolutionären Zellen“ aus den 1970er- bis 1990er-Jahren, deren Mitglieder nicht in den Untergrund abgetaucht waren. Das ist eine steile These. Und man muss kein Anhänger der AfD sein, um das folgende Verdikt zurückzuweisen: „Ein Teil der rechten militanten Bewegung, die im Entstehen ist, wird also von Mitgliedern der AfD unterstützt, ohne dass die Parteiführung diese Unterstützung unterbindet“ (429).

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – heißt es bei Aristoteles. In diesem Fall fällt das Urteil umgekehrt aus. Der Journalist präsentiert einige in der Tat skandalöse Befunde. Für sich genommen beeindrucken sie zwar, aber so entsteht eine Art Flickenteppich. Die Recherchen kippen ins Unglaubwürdige um, wenn Laabs daraus den Schluss zieht, die Sicherheitsbehörden seien gefährlich unterwandert. Der Autor prangert immer wieder das Wirken von V-Leuten in der „Szene“ an – doch wo ist die Alternative? Wer schlimme Einzelfälle verallgemeinert und „Netzwerke“ (eine präzise Definition bleibt aus) wahrzunehmen meint, schadet seinem aufklärerischen Anliegen. Denn Missstände gibt es zuhauf – eine strukturelle Reform erscheint notwendig (und ist im Gange). Staatliche Vertuschungsversuche werden mehr behauptet als belegt.

Wie ein roter Faden durchzieht der spektakuläre Fall von Franco A. das Buch. Er hatte eine Offizierslaufbahn eingeschlagen und sich dann 2015 als Asylbewerber, der wegen seiner christlichen Konfession aus Syrien habe flüchten müssen, registrieren lassen. 2017 folgte in Wien die Festnahme, als er eine Pistole aus einem Versteck holen wollte. Das Verfahren gegen den Rechtsextremisten, dem Munitionsdiebstahl vorgeworfen wurde und der offenbar Anschläge plante, steht vor Gericht noch aus. Hier, beim systematischen Ausleuchten dieses spektakulären Skandals einschließlich des Umfeldes, hätte sich Laabs Meriten erwerben können. Diese unglaubliche Geschichte wäre für einen Investigativjournalisten ein „gefundenes Fressen“ gewesen. So bleibt es beim Ausbreiten weithin bekannter Sachverhalte. Vielleicht hat die schwer zugängliche Quellenlage tiefgründige Recherchen nicht als sonderlich aussichtsreich erscheinen lassen. Das muss Laabs zugutegehalten werden.

Besonders kritikwürdig: An den unterschiedlichsten Stellen tauchen Namen wie Thomas B., Pascal D., Dennis E., Dirk G., Maik F., Marko G., Haik J., Daniel K., Volker L., Nico M., Ringo M., Roque M., Tillee R., André S., Horst S., Jörg S., Frank T., Thomas T. und Peter W. auf, um bloß einige zu erwähnen, offenbar deshalb, damit die These vom weitverzweigten Netzwerk überzeugend wirkt. Keineswegs bloß der mit der Materie wenig vertraute Leser sieht mithin den Wald vor lauter Bäumen nicht. Gewiss, der suggestive Text ist schwungvoll geschrieben, doch schießt der Verfasser mit seinen Insinuationen übers Ziel hinaus. Es wäre besser gewesen, sich auf die teilweise erschreckenden Fakten zu beziehen und sie nachvollziehbar zu präsentieren. Wie aus einem Zwischenbericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zur Reform der KSK vom März 2021 hervorgeht, wurden bisher fünf Soldaten entlassen und 16 versetzt. Einige Fälle sind noch nicht abgeschlossen worden. Ein rechtsextremistisches Netzwerk habe nicht existiert, hingegen ein Geflecht von Personen, die miteinander in Kontakt standen.

Das Urteil zum Buch fällt ambivalent aus: Es ist zwar gut geschrieben, behandelt ein wichtiges Thema, und der Autor benennt aufgrund seiner Recherchen in der Tat einige Skandale, freilich in pointierter Form, aber die Art der Präsentation erfüllt keineswegs hohe Ansprüche, selbst wenn man mildernd berücksichtigt, dass ein großer Leserkreis angesprochen werden sollte. Der Verfasser, der sich gegen Verschwörungstheorien wendet und solchen gleichwohl selber Vorschub leistet, hat keine nüchterne wissenschaftliche Arbeit vorgelegt. Eine angemessene Einordnung, die auf Skandalisierung verzichtet, kommt zu kurz. Wer an die Thematik unbefangen herangeht, sieht viele Andeutungen und Behauptungen keineswegs als plausibel an.

 

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