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Susanne Schröter: Politischer Islam. Stresstest für Deutschland

11.08.2020
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Autorenprofil
Dr. rer. pol. Wahied Wahdat-Hagh
Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus 2019

Susanne Schröter gilt als scharfe Kritikerin des politischen Islam in Deutschland. Dessen gegenwärtige Spielart stellt sie als eine Reaktion auf den Kollaps des osmanischen Kalifats und der globalen Dominanz des Westens dar.

Schröter geht auf den globalen Siegeszug des politischen Islam ein und möchte mit diesem Buch Hintergrundwissen zur Einordnung von muslimischen Vereinigungen vermitteln. Unter anderem zeigt sie, wie sich in vielen Ländern aus der Muslimbruderschaft Wohltätigkeitsvereinigungen herausgebildet und sich zu Interessenvertretungen entwickelt haben. Die großen Vereinigungen verzweigen sich auf nationaler und lokaler Ebene und würden vorgeben, autonom zu handeln. Formal seien sie unabhängig, das einigende Band zwischen ihnen sei die islamistische Ideologie, die das Ziel einer weltweiten Verbreitung einer islamistischen Ordnung verfolge.

Islamisten würden die „Errichtung eines religiös fundierten Herrschaftssystems als finales Ziel anstreben“ (73), spielen jedoch diese Idee meist herunter und seien genötigt, sich pragmatisch zu verhalten. Schröter geht davon aus, dass in Deutschland islamistische Netzwerkstrukturen existieren, die ein Teil einer globalen Organisationsstruktur sind. Es handele sich weniger um eine globale einheitliche Organisation. Sie vergleicht die Netzwerke mit einem Geflecht, in dem es „eine Reihe von Führungskadern“ (111) gibt, die sich über die fernen Ziele einig sind.

Schröter kritisiert türkeinahe muslimische Gemeinden, deren Anbindung an die türkische Regierung enger geworden sei und man daher von einer „weitgehenden Instrumentalisierung der religiösen Vereinigungen sprechen“ (113) könne. Beispielsweise seien die Ziele der Zweigstellen des Präsidiums für Religionsangelegenheiten der Türkei, auch als Diyanat-Auslandsorganisation bekannt, die religiöse Betreuung von türkischstämmigen Muslimen in Deutschland. Seit der türkische Präsident Tayyip Erdogan die Türkei sukzessive in eine islamistische Diktatur umwandele und die Auslandsorganisationen der Diyanet für die politischen Zwecke des türkischen Staates instrumentalisiere, seien „bei deutschen Politikern und Akteuren der Zivilgesellschaft Zweifel“ (125) an den Zielen dieser Organisationsstrukturen entstanden. Der größte muslimische Verband in Deutschland DITIB wird indessen wegen dessen Loyalität gegenüber der Türkei kritisiert. Alle Imame der DITIB werden von Diyanet ausgebildet. Es existiere eine „strukturelle Abhängigkeit“ (127), da das DITIB-Personal gehalten sei, sich an Weisungen aus Ankara zu halten.

Dies kann direkte Folgen auf das Leben in der deutschen Gesellschaft haben. Schröter verweist auf Übersetzungen von türkischsprachigen Internetseiten der DITIB, wo Jugendgruppen gegen Deutschland hetzen oder das Weihnachtsfest von der DITIB-Gemeinde Möllen als eine „nach Blasphemie stinkende Tradition der Christen“ (129) denunziert werde. Auch markige Reden eines türkischen Generals seien auf eine Homepage von DITIB Ichenhausen bekannt, in denen es um „Blut, Boden und die Bereitschaft ging, als Märtyrer zu sterben.“ (133)

Schröter geht auf den Besuch von Präsident Erdogan im September 2018 in der Moschee in Köln ein, eine Moschee, die für 30 Millionen Euro gebaut worden sei. Erdogan, „Patron einer türkischen Parallelgesellschaft“, (134) habe dort die Auslieferung der Opposition gefordert. Die Moschee sei „eine Bastion der Türkei auf deutschem Boden“ (135).

Die Autorin kritisiert ferner, dass Hamburg „mit der Schura einen Staatsvertrag abgeschlossen“ (174) habe. In der Hamburger Schura ist das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) beteiligt, das von Repräsentanten des iranischen Regimes vertreten und „aus dem Iran finanziert“ (149) wird.

Zudem werden dschihadistische Terrorbewegungen thematisiert. In Anlehnung an Gilles Kepel kritisiert Schröter jegliche Form der „Pathologisierung“ solcher Terrorbewegungen. Kepel betont, dass „soziale Marginalität für Extremismen anfällig macht (207), doch dürfe die gegenwärtige Radikalisierung des Islam nicht ausgeblendet werden. Es ließe sich außerdem nicht belegen, dass Salafismus allein ein Problem prekärer sozialer Verhältnisse sei.

Schröter macht darauf aufmerksam, dass in der deutschen Diaspora Welten aufeinanderprallen würden, wovon emanzipierte Frauen besonders betroffen sind. Sie geht auf die Argumente der Soziologin Necla Kelek ein, die anders als beispielsweise dem Pädagogen Werner Schiffauer davon ausgeht, dass Probleme wie Zwangsehen durchaus etwas mit dem Islam zu tun haben.

In Anlehnung an Ahmet Toprak schreibt sie, dass der Begriff Ehre, der das „Ansehen des Kollektivs“ (234) bestimmt, vollständig abhängig sei vom Verhalten der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft. Im Rahmen ihrer Forschungen hat Schröter selbst in einer afghanischen Moschee erfahren, dass „Mädchen ihre Rolle als tugendhafte Frau sehen“ (242). Sie argumentieren, dass eine Frau im Islam wie eine Perle sei, die beschützt werden müsse; außerdem bestimme die Angst vor der Hölle ihr Verhalten.

Zu den weiteren Konfliktzonen zählen Schulen, wo religiöses Mobbing und Gewalt den Alltag bestimmen. Die Gewalt von Schülern richte sich hauptsächlich gegen Klassenkameraden, und unter den vielfältigen Ursachen würden „Islamismus und Ethnizität als Distinktions- und Kampfmittel eine besondere Rolle“ (248) spielen. Schröter verschweigt nicht, dass es auch eine grassierende Deutschenfeindlichkeit in Klassen mit mehrheitlich muslimischen Schülern gebe. In diesem Zusammenhang kritisiert sie den Berliner Senat, der in einer Handreichung empfohlen habe, dass der Schwimm- und Sportunterricht geschlechtergetrennt durchgeführt werden sollte und auch das Lehrpersonal sollte gleichgeschlechtlich sein. Solche Anweisungen seien kontraproduktiv und würden den Kadern des politischen Islam in die Hände arbeiten. Zudem würden sie das Regel- und Wertesystem, das die Gleichheit aller Schüler und Schülerinnen im Sinn hat, untergraben und das „Entstehen identitärer Sondergruppen, die sich in selbst definiertem Gegensatz zur Gesellschaft befinden“ (260) erlauben.

Als weiteres Beispiel für die Ausbreitung des politischen Islam unter Jugendlichen verweist die Autorin auf eine niedersachenweite Studie aus dem Jahr 2015. Danach vertritt ein hoher Prozentsatz der Jugendlichen die Meinung,dass der Islam die einzig wahre Religion sei und sie selbst bereit seien, im Kampf für den Islam ihr eigenes Leben zu riskieren, Ungläubige zu bekämpfen und gegen die Feinde des Islam vorzugehen.

Die Autorin stellt fest, dass manche Geflüchtete in Deutschland den Anschluss an ethnische Parallelgesellschaften suchen, was eine Integration letztendlich erschwere. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass „Integrationsprojekte mit Moscheen und muslimischen Vereinigungen, deren Mitglieder selbst oft schlecht integriert sind, keine sinnvolle Maßnahme“ (273) darstellen.

Zum Problem Antisemitismus schreibt Schröter, dass es sich nicht leugnen lasse, dass dieser „unter Muslimen in Deutschland sehr viel ausgeprägter ist als unter Menschen anderer Glaubensvorstellungen“. (288)

Als Ergebnis ihrer Ausführungen, Beispiele und Schilderungen stellt die Autorin fest, dass der politische Islam eine totalitäre Ideologie ist. Sie ist der Überzeugung, dass man ihr insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit mit „Mitteln der Demokratieerziehung“ (341) entgegenwirken könne. Die Schule müsse wie alle staatlichen Einrichtungen ein säkularer Ort sein.

Das Buch der Hochschullehrerin für Ethnologie und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam ist äußerst informativ und bietet lohnenden Diskussionsstoff.

 

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