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Wolfgang Schroeder / Bernhard Weßels (Hrsg.): Smarte Spalter. Die AfD zwischen Bewegung und Parlament

11.12.2019
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Autorenprofil
Oliver Kannenberg, M.A.
Bonn, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. 2019

Wer hat noch nicht? Wer will nochmal? Die Alternative für Deutschland (AfD) ist aktuell ein beliebtes Untersuchungsthema der deutschen Politikwissenschaft. Dies ist nicht ganz unbegründet, konnte sich doch erstmals nach der Linken eine neue Partei im gesamtdeutschen Parteiensystem etablieren, die in ihren regelmäßigen Metamorphosen ein wiederkehrend interessantes Betätigungsfeld bietet. Dass trotz mannigfaltiger Veröffentlichungen nach wie vor sehr empfehlenswerte Schriften zur AfD erscheinen und neue Erkenntnisse bieten können, zeigt der Sammelband von Wolfgang Schroeder und Bernhard Weßels. Darin schreiben 14 Autoren in zehn thematischen Kapiteln zu Wählerschaft, Kandidaten, Programmatik und parlamentarischer Arbeit der AfD.

Zum Auftakt geben die beiden Herausgeber eine umfassende Einführung in die Entwicklung der AfD von 2013 bis zum Veröffentlichungsjahr 2019. Dies erweist sich im Fortgang des Sammelwerkes als äußerst hilfreich, dienen doch die beiden Wahljahre 2013 und 2017 in den allermeisten Beiträgen als Vergleichswerte. Die übrigen Autoren werden dadurch von einer (sich zwangsläufig wiederholenden) Kontextualisierung befreit. Darüber hinaus reißen Schroeder und Weßels verschiedene Themenbereiche rund um die rechtspopulistische Alternative an und wecken so Interesse an den folgenden Beiträgen.

Wieso wählen Bürger eine Partei, die zunehmend die Abgrenzung zu rechtsextremen Akteuren vermissen lässt? Virulent ist die These der rechtspopulistischen Wähler als Modernisierungsverlierer. Dieser geht Reinhold Mechler in seinem Beitrag nach. Auf die vergangenen Bundestagswahlen 2013 und 2017 bezogen, untersucht er einen möglichen Zusammenhang zwischen den regionalen Erfolgen der Rechtspopulisten und verschiedenen Indikatoren wie Arbeitslosigkeit oder Steuereinnahmekraft. Deutlich stellt Mechler den Wandel der Wählerschaft heraus. So habe die AfD 2017 sowohl von einem Zulauf „objektiver“ Modernisierungsverlierer als auch vermehrt von Wählerstimmen derjenigen, „die sich als solche fühlen“, profitieren können (61). Zudem stellt er Unterschiede zwischen den „kommunalen AfD-Hochburgen“ fest. Seien diese in Westdeutschland vorwiegend urban geprägt, punkte die AfD in Ostdeutschland eher in ländlichen Gegenden. Soziodemografisch könne zwischen Ost- und Westdeutschland hingegen kein Unterschied festgestellt werden.

Die Verschiedenartigkeit der AfD-Elektorate 2013 und 2017 ist in der Politikwissenschaft mittlerweile Konsens. So kommt auch Aiko Wagner im zweiten Kapitel zu dem Ergebnis, dass sich die Wählerschaft „transformiert“ habe und dabei in ökonomischer Hinsicht sogar stärker nach links gewandert sei. In Gänze werde dies jedoch durch die „kulturelle Rechtsverschiebung“ (79) kompensiert, die der dominante Erklärungsfaktor für die wahrgenommene Radikalisierung von Wählerschaft und Partei sei. Unterstrichen wird dies durch die Analyse der Wahlprogrammatik, die Pola Lehmann, Theresa Matthieß und Sven Regel im fünften Kapitel vornehmen. Das wichtigste Wahlkampfthema der AfD sei die Zuwanderungsbeschränkung gewesen, danach folgte bereits die „Sicherung (oder gar Wiederherstellung) einer traditionsbewussten, kulturell homogenen Gesellschaft“ (142). Beide Themen hätten 2017 in der Programmatik der anderen Parteien nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Im Vergleich zur Wahl 2013 habe sich das Themenspektrum der AfD erweitert, was nicht zuletzt eine direkte Folge der Professionalisierung der Partei sei.

Die Notwendigkeit der Professionalisierung ergibt sich aus dem Verlust des gesellschaftlichen Rückhalts der Kandidaten. Die im parteipolitischen Spektrum weiter rechts zu verortenden Kandidaten besaßen eine wesentlich geringere Rückbindung in die Zivilgesellschaft als vier Jahre zuvor, wie Bernhard Weßels in seinem Beitrag zum Profil der Kandidaten aufzeigt. Diese Entkopplung „von den Strukturen, die die pluralistische Gesellschaft der Bundesrepublik auszeichnen“ (169), habe sich ebenfalls in einer deutlichen Zunahme des Negative Campaigning geäußert. Gaben 2013 noch 61 Prozent der AfD-Kandidaten an, diese Form der Wahlkampfführung zu nutzen, waren es vier Jahre später bereits 83 Prozent. Zum Vergleich: Bei den übrigen Parteien nutzen dies 2017 nur knapp mehr als die Hälfte der Kandidaten (53 Prozent). Die Taktik, die eigene Wahlchance stark darauf auszurichten, den politischen Gegner zu kritisieren, besitzt gewisse Synergieeffekte mit der zunehmenden Emotionalisierung in sozialen Netzwerken, die gegenwärtig zu beobachten ist. Passend dazu analysiert Reinhold Mechler im neunten Kapitel den Social-Media-Wahlkampf der Parteien und Kandidaten. So waren die Posts und Tweets der AfD vor der Wahl von allen Parteien die negativsten, wenn auch dicht gefolgt von denen der Linken. Vor allem bei Twitter erreichten die Rechtspopulisten eine (verhältnismäßig) große Menge digitaler Zustimmung, die nicht zuletzt den Verdacht technischer Zuhilfenahme nährt. Inhaltlich drehte sich die Online-Kommunikation der AfD-Kandidaten im Wesentlichen um die Flüchtlingsthematik, die sie auf ihre eigene Art und Weise für die Nutzer kontextualisierten. Die drei am häufigsten verwendeten Wörter der AfD bei Twitter waren: Flüchtlinge, Terror und Gewalt.

Unbestritten kann die Parteiführung der Rechtspopulisten mit den Monaten nach der letzten Bundestagswahl zufrieden sein. Nicht nur die Wahlen in Europa und Ostdeutschland wurden, zum Teil sehr, erfolgreich gemeistert, auch in die Bremische Bürgerschaft ist die AfD im Mai 2019 erneut eingezogen. Wie sich dies auf Bundesebene zukünftig entwickeln könnte, haben sich Aiko Wagner und Josephine Lichteblau in ihrem gemeinsamen Beitrag gefragt. Sie gestehen der AfD lediglich einen geringen Spielraum für weitere elektorale Zugewinne ein. Gleichsam gibt das Autorenduo zu bedenken, dass die Rückgewinnung von AfD-Wähler*innen durch die anderen Parteien ein schwieriges Unterfangen zu werden droht. Die AfD-Wählerschaft schlichtweg zu verteufeln, wird dabei nicht hilfreich sein, wie auch Heiko Giebler in seinem Beitrag notiert. Vielmehr müsse klar adressiert werden, dass die Partei keine ernsthaften Bestrebungen zeige, Problemlösungen anzubieten. Ihre Präsenz in der deutschen Parteienlandschaft sei ein Indikator für „kollektive Probleme mit kollektiven Folgen“ (104).

Bis zum 10. Kapitel nur am Rande thematisiert, greifen die Herausgeber schlussendlich gemeinsam mit Philippe Joly das titelgebende Narrativ der spaltenden und gespaltenen Partei auf. Zwischen dem Selbstverständnis als nationalgesinnte Bewegung und parlamentarischer Oppositionspartei verharrend, wären Prognosen über die zukünftige Entwicklung der Kräfteverhältnisse äußert schwierig anzustellen. Korrekt merken die Autoren an, dass die bisherigen Metamorphosen nur den Weg nach rechts kannten, woraus sich jedoch kein Naturgesetz ableiten ließe. Der Blick auf die parlamentarische Arbeit bestärkt die weithin verbreitete Vermutung, dass der elektorale Erfolg der AfD nur wenig mit der tatsächlichen politischen Arbeit der Partei zusammenhängt. Schließlich falle diese bei „fast allen Kontroll- und Initiativaktivitäten unterdurchschnittlich“ aus (255).

Beschlossen wird der Sammelband durch sieben Thesen der Herausgeber, die sehr gelungen an den entsprechenden Stellen auf die dazugehörigen Beiträge des Bandes verweisen. Schroeder und Weßels machen Wohl und Wehe der Partei davon abhängig, wie sich das Kräfteverhältnis zwischen den „Bewegungs- und Parlamentsorientierten“ (263) entwickelt und scheuen nicht davor zurück, im Fall der Fälle notwendiges Handeln vonseiten der „Sicherheitskräfte der Bundesrepublik“ (265) einzufordern, sollte die Partei sich von den extremen Kräften kapern lassen. Auch eine Spaltung der AfD sei angesichts der schwelenden, wortwörtlichen, Flügelkämpfe denkbar.

In Gänze kann „der Band sehr empfohlen werden. Der offensichtliche Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Disziplin hinaus in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen, ist definitiv gelungen. Die zahlreichen verwendeten Methoden wurden dafür zugänglich erläutert und mit Verweisen auf zusätzliche Online-Quellen versehen. Dies lässt das Werk auch zu einer erhellenden Lektüre für jene werden, die sich bereits intensiver mit der AfD beschäftigt haben. Von der Wählerschaft über die Programmatik und Kandidatenprofile bis hin zur Arbeit der Abgeordneten wird (fast) die gesamte Bandbreite an Themen abgedeckt. Somit bietet der Sammelband vielseitige Erkenntnisse über jene Partei, die aus demokratischer Sicht ebenso bedenklich geworden ist, wie sie aus politikwissenschaftlicher Sicht schon immer interessant war.

 

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