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Richard Connolly: Russia’s Response to Sanctions. How Western Economic Statecraft is Reshaping Political Economy in Russia

14.11.2019
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Autorenprofil
Wilhelm Johann Siemers, Dipl.-Politologe
Cambridge University Press 2018

Im Juni 2019 verlängerte der Rat der Europäischen Union die seit 2014 geltenden Sanktionen gegen Russland bis Ende Januar 2020 beziehungsweise Juni 2020. Sie umfassen unter anderem Handelsverbote für bestimmte Waren und Dienstleistungen, ein Waffenembargo und Visabeschränkungen. Ziel dieser von der EU und den USA verhängten Sanktionen ist es, die russische Außenpolitik in Zusammenhang mit der Annexion der Krim und dem Krieg im Osten der Ukraine zur Anerkennung des Völkerrechts zu drängen. Es besteht die Hoffnung, dass der ökonomische Schmerz ein Umdenken der russischen Regierung auslöst.

 

Russlands wirtschaftliche und außenpolitische Neuausrichtung

Bisher haben die Sanktionen ihr Ziel verfehlt, so lautet ein Ergebnis der Fallstudien des Autors, der an der Universität Birmingham lehrt. Er untersucht, wie Russland die Sanktionen ohne großen ökonomischen Schaden überstehen konnte und wie sich dadurch die politische Ökonomie des Landes verändert hat. Richard Connollys Fazit lautet, dass Russland nach anfänglichen Problemen 2014/15 eine Neuausrichtung der nationalen Ökonomie und der Außenwirtschaftsbeziehungen vollzog. Einerseits setzte die russische Regierung auf die Stärkung der nationalen Produktion durch eine Subventionierung der Industrie und andererseits wurden die Wirtschaftsbeziehungen mit nicht-westlichen Ländern wie China, Indien oder Vietnam intensiviert. „My thesis is that sanctions and the Russian response resulted in a clear shift toward greater reliance on domestic resources – or Russification – on the one hand, and toward a more pluridirectional foreign economic policy that emphasizes closer relations with non-Western countries on the other.“ (4) Der russischen Regierung ging es also nicht um eine Rückkehr zur Autarkie der ehemaligen Sowjetunion, sondern um eine Reintegration in den Weltmarkt.

 

Dominierende Rolle des Staates in Russlands Wirtschaft

Diese Neuausrichtung funktionierte, weil der russische Staat, an dessen Spitze Präsident Wladimir Putin steht, schon vor den Sanktionen eine beherrschende Rolle in der Wirtschaft spielte. Die Sanktionen, so Connolly, haben die Position Russlands nochmals gestärkt. Seine Einschätzung lautet: „Thus, the state´s position at the apex of Russia`s system of political economy, which often considered by observers to be the biggest source of economic weakness in Russia during normal times, became a source of durability during a period of conflict.“ (193)

 

Besondere politische Ökonomie Russlands

Dass Russland die Sanktionen bisher gut verkraften konnte, liegt an der engen Verflechtung zwischen Wirtschaft und Staat. Für den Energiebereich, die Rüstungsindustrie und den Finanzsektor zeigt Connolly, wie die russische Regierung die Wirkungen der Sanktionen aufweichen konnte. Die Gründe dafür liegen in der wirtschaftlichen Stärke des Landes und in der staatlich kontrollierten Ökonomie.

 

Wirtschaftsstarke Nation

Die Wirkungslosigkeit der Sanktionen liege, so Connolly, auch an der Wirtschaftskraft Russlands. Gemessen an der Kaufkraftparität von 2014 war Russland die sechsgrößte Wirtschaftsnation weltweit, die größte Exportnation von Öl und Gas und der zweitgrößte Exporteur von Rüstungsgütern. Die Sanktionen haben an dieser Exportstruktur kaum etwas geändert. Connolly schreibt dazu: „However, after the first year, most of the neccessary adjustment had taken place and Russian energy firms were able to invest in future production and produce oil and gas at levels close to post-Soviet peaks.“ (107)

 

Motor Rohstoffsektor

Der Motor der russischen Wirtschaft ist der Rohstoffsektor. Vom Export der Rohstoffe Öl, Gas und Metalle leben alle anderen Wirtschaftsbranchen und auch der Staat erzielt durch ihn die meisten Steuereinnahmen. Laut Weltbankbericht machte der Export von Energieprodukten und Metallen 2017 fast 70 Prozent des russischen Exportes aus. Vereinfacht gesagt: Der staatliche Energiesektor holt das Geld nach Russland und die Regierung verteilt es wieder an die strategisch bedeutsamen Sektoren Energie, Rüstung und Finanzen. Das System der Alimentierung beruht allein auf den Einnahmen aus dem Rohstoffexport.

 

Langfristige Folgen der Sanktionen

Obwohl der russische Staat die Sanktionen gut abfedern konnte, bleibt die Frage, ob sie nicht langfristig schaden. Diese lässt auch der Autor offen: „The long-term impact of the Russian strategic response to sanctions – for better or worse – remains to be seen.“ (191) Trotz der Neuausrichtung der nationalen Wirtschaft und der Außenwirtschaftsbeziehungen sieht Connolly strukturelle Schwächen in den drei oben genannten Bereichen, die durch die Sanktionen auf lange Sicht leiden werden.

 

Schwächen des russischen Energiesektors

Der Weltmarkt für fossile Brennstoffe (Öl, Gas, Flüssiggas) ist durch zwei Trends geprägt: Einerseits gibt es ein Überangebot an fossilen Brennstoffen, weil Länder wie die USA oder zentralasiatische Staaten ihre Produktion ausweiten. Andererseits verpflichtet das Pariser Klimaabkommen von 2015 die Staaten, eine Dekarbonisierung der Wirtschaft und Gesellschaft zu forcieren. Das heißt, dass der Markt für fossile Brennstoffe kleiner und kompetitiver wird. Unter dieser Situation hat Russland zu leiden, weil die geologischen Bedingungen der Rohstoffförderung auf russischem Territorium technisch und logistisch anspruchsvoll sind. Deshalb wird der russische Staat zukünftig weniger am Energiesektor verdienen. Connolly stellt fest: „Regardless of how sanctions affect Russian production, it is highly likely that the value of rents that the state will be able to extract from oil firms will decline“ (83). Außerdem ist der Energiesektor im Bereich der Fördertechnik und Ausrüstung weiter von westlichen Technologien abhängig, insbesondere bei Bohrinseln in der Arktis oder bei der Fördertechnik bei Öl- und Gasfeldern in großer Tiefe. „One of the most important gaps in Russian domestic equipment manufactoring exists in the area of offshore platforms and extraction equipment.“ (98)

 

Russische Rüstungsindustrie

Auch die russische Rüstungsindustrie konnte sich schnell von den Sanktionen erholen. Die Umorientierung – weg von den Importen aus der EU, den USA und der Ukraine – hatte schon nach den militärischen Erfahrungen im Georgienkrieg 2008 begonnen. So betrug der Import für die russische Rüstungsindustrie 2001 noch 75 Prozent und fiel 2013 auf 43 Prozent, um nach den Sanktionen weiter abzusinken. Die schnelle Entscheidung, militärische Vorprodukte aus China und Indien zu nutzen, war möglich, weil russische Rüstungsfirmen größtenteils staatlich sind. Obwohl der Export an Waffen nur drei bis vier Prozent des russischen Exports ausmacht, arbeiten 2,5 Millionen Russen in der Branche. Der Autor fügt hinzu: „With total employment of around 2,5 million, defensive industry emplyoment stood at around 20 percent of total manufactoring employment.“ (123 f.) Insofern hat die Rüstungsindustrie einen hohen politischen Stellenwert. Allerdings hat die Branche eine Achillesferse: Russland ist weiterhin abhängig von Investitionsgütern (Maschinen, Anlagen, Werkzeuge) aus dem Westen, um hochwertige Rüstungsprodukte herzustellen. Die nationale Produktion von Investitionsgütern und der Ankauf dieser aus nicht-westlichen Ländern können den Bedarf der russischen Wirtschaft nicht decken.

 

Der russische Finanzsektor

Im internationalen Vergleich war der russische Finanzsektor klein, aber gut in die Weltwirtschaft integriert. Allerdings steigt und fällt die Attraktivität Russlands für ausländische Investitionen mit dem Ölpreis. Die Sanktionen haben den Kapitalfluss nach Russland anfänglich zum Erliegen gebracht, sodass der russische Staat die Liquiditätsprobleme seiner Wirtschaft auffangen musste. Dabei versuchte dieser auch, Kapital aus nicht-westlichen Staaten zu bekommen. Die strukturelle Schwäche des russischen Finanzsektors bleibt aber seine Abhängigkeit vom Ölpreis. Dazu merkt Connolly an: „It is no accident that all three of the major post-Soviet financial crises were preceded by a sharp decline in the price of oil.“ (154)

 

Wirkung der Sanktionen

Die Sanktionen der EU und der USA haben die russische Führung in den vergangenen fünf Jahren nicht zu einer Änderung ihrer Außenpolitik bewogen. Der russische Staat konnte die Sanktionen durch eine Umstrukturierung der nationalen Wirtschaft und eine Neuorientierung der Außenwirtschaftsbeziehungen mit nicht-westlichen Staaten abmildern. Zudem, so Connolly, hat er seine beherrschende Rolle in der politischen Ökonomie des Landes weiter gestärkt. Durch die Sanktionen wurde Russland gezwungen, eine neue Rolle in der Weltwirtschaft zu finden, die Connolly „reglobalization“ (100) nennt. Wie lange sich dieses System, das ausschließlich vom Energiesektor lebt, aufrechterhalten lässt, wird sich zeigen. Eine andere Frage geht in Richtung der EU und der USA. Bleibt man bei den Sanktionen, in der Hoffnung, dass sie irgendwann Wirkung zeigen? Bisher bewirkten sie das Gegenteil. Die russische Regierung hat nach der Überwindung der Krise ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Putin kann in der russischen Bevölkerung, aber auch bei vielen Russophilen im Ausland, weiter den Mythos verbreiten, dass Russland zu groß und zu stark ist, um umzufallen.

 

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Digirama


Jarrett Blanc / Andrew S. Weiss
U.S. Sanctions on Russia: Congress Should Go Back to Fundamentals
Carnegie Endowment for International Peace, 03.04.2019

 

Alexandra Prokopenko
Putin’s Courtiers: How Sanctions Have Changed Russia’s Economic Policy
Carnegie Moscow Center, 20.12.2018

 

Stefan Meister
Kein Ende der Sanktionen ohne russische Gegenleistung
DGAP, 23. November 2016

 

Vladislav Inozemtsev
Sanktionen gegen Russland? Weiter so. Wie die westlichen Sanktionen Russland treffen.
IPG-Journal, 19.01.2015

 

Carla Robbins
Wann funktionieren Sanktionen?
IPG-Journal, 17.03.2014

 

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