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Steven Levitsky / Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können

17.10.2018
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Autorenprofil
Dr. Sven Leunig
München, Deutsche Verlagsanstalt 2018 (DVA Sachbuch)

„Obwohl im 21. Jahrhundert die internationale Lage für die Demokratie ungünstiger geworden ist, haben sich die bestehenden Demokratien als erstaunlich robust erwiesen. Die Zahl der Demokratien auf der Welt ist nicht gesunken.“ (240) Angesichts des einigermaßen besorgniserregenden, ja fast alarmistischen Titels des Buches – im Übrigen eine wörtliche Übersetzung des englischen Originals – ist man schon ein wenig überrascht, nach gut drei Vierteln des Buches diese eher positive Einschätzung zu lesen, zumal die vorangehenden 240 Seiten eine solche auch nicht unbedingt erwarten lassen. Insgesamt zeichnen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, beide Professoren für Regierungslehre in Harvard, wie wohl auch vom Leser erwartet, in der Tat ein eher düsteres Bild des Zustands der weltweiten Demokratien.

Durchaus positiv überraschend ist, dass das Buch mit einer erfreulich weiten Perspektive beginnt und über das erste Kapitel „Verhängnisvolle Bündnisse“ hinaus mit einer reichen Zahl von Negativ- wie Positivbeispielen gescheiterter wie stabiler Demokratien aufwartet und sich nicht allein auf den Zustand der Demokratie in den Vereinigten Staaten befasst. Nach dem ersten Kapitel gehen die Autoren allerdings tatsächlich in eine US-zentrierte Nabelschau über, die erst wieder im letzten Kapitel etwas abgeschwächt wird. Immerhin – auch in diesem Großteil des Buches bemühen sie immer wieder außer(nord-)amerikanische Beispiele: von der Zerstörung und Wiedererrichtung der Demokratie in Chile bis hin zur deutschen CDU, die am Ende des Bandes als nachahmenswertes Beispiel für die US-Republikaner präsentiert wird (263 ff.). Freilich birgt auch die Analyse des „(un)aufhaltsamen Aufstieges des Donald T.“ den am Weltgeschehen interessierten Leser*innen, zumal Politikwissenschaftler*innen, nicht viel Neues. Darin liegt also nicht der Wert dieses Buches, ebenso wenig in den Antworten, die es auf die auf dem Klappentext als indirekte Frage formulierte Fortsetzung des Titels – „und was wir dagegen tun können“ – gibt. „Verhalte Dich ruhig, bleibe Demokrat, beachte die Regeln des demokratischen Anstands“ – die „Leitplanken der Demokratie“ – und mache ansonsten gute sozialdemokratische Politik für den „kleinen Mann“: Dann wird sich das Gespenst der Autokratie schon bald wieder verziehen. So in etwa könnte man die Quintessenz des Buches, präsentiert insbesondere im letzten Kapitel, zusammenfassen. Sicherlich keine schlechten, aber auch keine besonders revolutionären Tipps.

Kann man die Lektüre des Buches dennoch empfehlen? Durchaus. Vor allem dem mit den USA und ihrer Geschichte nicht so vertrauten Leser*innen bietet es einen wirklich gut geschriebenen und leicht verständlichen Überblick über eben diese – unter der Perspektive, wie sich eine Demokratie stabilisieren und auch wieder destabilisieren kann. Interessant zu lesen ist dabei zum Beispiel, dass auch die politische Gründergeneration der USA so ihre Probleme damit hat, im politischen Gegner nur einen legitimen Konkurrenten um die Macht auf Zeit zu sehen anstelle eines „Feindes“, den es mit allen Mitteln von eben jener Macht, am besten für immer, zu verbannen gelte. Dies machen die Autoren auch als Grundmalaise der US-Politik(er*innen) seit den frühen 1990er-Jahren aus, in Fachkreisen bereits als der Beginn der „Polarisierten Staaten von Amerika“ bekannt.

Informelle Regeln sind es, so Levitsky und Ziblatt, die neben den formellen Normen (Verfassung, Gesetze, Gewaltentrennung) die Demokratie am Leben erhalten, überall auf der Welt: Respekt vor dem Andersdenkenden, Zurückhaltung im Ton und in den Mitteln des Strebens nach staatlicher Macht. An der Beachtung dieser Regeln habe es aber in den USA mehr und mehr gehapert, und Donald Trump ist nur das Ergebnis eines Versagens der politischen Kaste, diese Regeln einzuhalten. Dies ist vor allem an die Adresse der Republikaner geschrieben, aber auch die Demokratische Partei hätte sich auf dieses Spiel mehr und mehr eingelassen, zum Schaden der Demokratie.

Interessant ist auch eine weitere These der Autoren: Die Demokratie der USA sei nur deshalb bis in die 1960/70er-Jahre hinein so stabil geblieben, weil sie zentrale Grundsatzfragen der Demokratie „ausgeblendet“ habe, vor allem das Thema race. Das einzige Mal, dass sie das nicht getan habe, habe zum Sezessionskrieg geführt. Und dass es überhaupt möglich war, dass sich Demokraten und Republikaner geradezu zu einander feindlich gegenüberstehenden „Stämmen“ entwickelt haben, liege nur darin, dass sich konservative, letztlich rassistische Südstaatler angesichts der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren auf die Seite der Republikaner geschlagen hätten. Damit seien die zuvor politisch „gemischten“ Großparteien zu rein liberal beziehungsweise rein konservativen Interessenvertretungen geworden.

In den USA ist es mithin – ganz im Unterschied etwa zu Europa – eben nicht zu einer größeren Volatilität und zu einem Verlust der Stammwählerschaft der Volksparteien gekommen, sondern zu einer Verfestigung der Wählerschaft, sodass es heute einem Demokraten bei Strafe des Verlusts seines Ansehens in seinem sozialen Umfeld kaum noch möglich ist, auch mal die Republikaner zu wählen (oder vice versa).

Um noch einmal zu dem oben erwähnten erstaunlich positiven Schluss zurückzukommen, den die Autoren hinsichtlich des Zustandes der Demokratie ziehen, so muss man konstatieren, dass sie die jüngsten Entwicklungen wie etwa in Österreich und Italien noch nicht mitberücksichtigt haben. Ob wir also tatsächlich noch so viel Hoffnung für die Demokratie haben dürfen, wie Levitsky und Ziblatt vermuten, muss wohl – bedauerlicherweise – mit einem großen Fragezeichen versehen bleiben.

 

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