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Zerrüttete Beziehungen. Moskauer Analysen zur Politik gegenüber dem Westen

06.07.2018
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Prof. Dr. Hannes Adomeit

OSCE UkraineDer Beginn der russischen Intervention in der Ukraine wird in den Analysen als Ausgangspunkt eines hybriden Kriegs gegen den Westen verstanden. Während dieser eine analytische Herausforderung darstellt, stehen die Menschen in der Ost-Ukraine buchstäblich vor den Trümmern ihres Lebens. Die „OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine“ versucht, die Kriegsfolgen zu dokumentieren.

 

Die Carnegie Endowment for International Peace und ihre Dependance in Russland, das Moscow Carnegie Center, haben Anfang 2018 mehrere Publikationen herausgebracht, die der internationalen Öffentlichkeit gemäßigte russische Analysen der Beziehungen des Landes zum Westen präsentieren. Es geht es vor allem um drei Themenschwerpunkte: erstens die Ursachen der Zerrüttung der Beziehungen, zweitens die Vermeidung einer weiteren Eskalation des Streites sowie drittens die Gefahr einer militärischen Eskalation.

Ursachen der Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen

Andrey Kortunov ist Direktor des Russischen Rates für Internationale Beziehungen (RIAC), einer Forschungsinstitution, die von verschiedenen Ministerien, der Russischen Akademie der Wissenschaften und der Union Industrieller und Unternehmer im Jahre 2010 ins Leben gerufen wurde. Sein Artikel befasst sich mit den folgenden Fragen: Warum lagen die Sympathien des Moskauer außen- und sicherheitspolitischen Establishments im US-Wahlkampf 2016 deutlich auf der Seite Donald Trumps mit der Folge, dass seine Wahl zum 45. Präsidenten der USA mit unverhohlener Freude und sogar mit Begeisterung begrüßt wurde? Welche Gründe haben dazu geführt, dass die Erwartungen an Trump so vollständig enttäuscht wurden und die russisch-amerikanischen Beziehungen derzeit völlig zerrüttet sind? Und was könnte getan werden, um das Verhältnis zumindest auf ein erträgliches Maß zurückzuführen?

Für die hochgesteckten Erwartungen in Moskau macht Kortunov die folgenden Faktoren verantwortlich:

Die russische Machtelite habe Hillary Clinton als die nachdrücklichste Befürworterin des Einsatzes von Gewalt im Nahen Osten und der Betonung der Menschenrechtskomponente in den russisch-amerikanischen Beziehungen betrachtet sowie als diejenige, die besonders deutlich Putin als Hauptgegner der westlichen Demokratien und liberaler Werte herausgestellt habe.

Aufgrund historischer Erfahrungen hätten russische Entscheidungsträger und Experten für internationale Beziehungen angenommen, dass es leichter sei, sich mit führenden Repräsentanten der Republikanischen Partei als mit den Demokraten zu arrangieren.

Die Wahlkampfrhetorik Trumps mit seiner wohlwollenden Einschätzung Putins und den unkonventionellen Erklärungen zu Russland, der Ukraine, Europa und der NATO hätten Anlass zu der Hoffnung auf substanzielle Veränderungen in der gesamten US-amerikanischen Außenpolitik gegeben.

Trump sei als Befürworter einer Transaktionspolitik angesehen worden: Er würde die Beziehungen der USA zu seinen Partnern und Gegnern als normales Business behandeln, bei dem jede Partei versuche, die günstigsten Bedingungen für sich selbst herauszuschlagen.

Trump habe immer wieder den Schutz der unmittelbaren Interessen seines Landes und dessen Souveränität betont. Dieser national-patriotische Ansatz habe sich voll und ganz im Einklang mit den Anschauungen der Moskauer Machtelite bezüglich der russischen Außenpolitik befunden.

Kortunov zeigt die „völlige Verwirrung“ auf, die jetzt unter russischen Analysten herrscht. Einige glaubten, dass der politische Neuling Trump mit seinem angesagten Kampf gegen die Staatsbürokratie und das politische Establishment Washingtons gescheitert sei. Andere seien der Meinung, er habe nie ernsthafte Anstrengungen unternommen, um die russisch-amerikanischen Beziehungen zu normalisieren. Seine demonstrativ „pro-russische“ Rhetorik sei nichts anderes als ein Trick gewesen, sich von Hillary Clinton, Barack Obama und anderen politischen Gegnern abzuheben. Und wiederum andere hielten daran fest, dass Trumps strategisches Ziel tatsächlich die Wiederherstellung der Zusammenarbeit mit Moskau sei und er nur auf die richtigen Bedingungen warte, um in diese Richtung zu gehen.

Hochinteressant ist Kortunovs Charakterisierung der spiegelbildlichen Perzeptionen in Moskau und in Washington. Konsens im russischen Establishment sei, dass die Vereinigten Staaten voll und ganz an der Zerrüttung des Verhältnisses schuld seien. Der Kreml habe dem Weißen Haus einen umfassenden Plan zur Wiederherstellung der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern gesandt. Der Plan habe Vorschläge zur Cybersicherheit, zu Handels- und Investitionsprojekten, der Beilegung von Konflikten in der Ukraine und auf der koreanischen Halbinsel sowie zu gemeinsamen Anstrengungen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus umfasst. Washington habe diese Vorschläge nicht einmal ernsthaft diskutiert. Russische Regierungsmitglieder und Diplomaten sagten infolgedessen, sie hätten „alles getan“, um das Verhältnis zu verbessern, aber „unsere Geduld ist nun zu Ende“. Es sei jetzt besser, eine Pause einzulegen, anstatt Washington mit neuen Vorschlägen zu bombardieren.

Der Autor zumindest sieht auch Fehler auf der russischen Seite, allerdings nur „taktische” (die vermutlich ihm zufolge vorhandene, richtige „strategische“ Ausrichtung beschreibt er nicht).

Russland habe sämtliche US-amerikanischen Vorwürfe der Einmischung in die US-Präsidentschaftswahl 2016 − unabhängig davon, ob diese tatsächlich stattgefunden hätten oder nicht − vehement zurückgewiesen. Statt zu leugnen, dass ein Problem existiere, hätte es besser sein Verständnis für die US-amerikanische Haltung demonstrieren und eine vollständige Kooperation bei der Untersuchung der Vorwürfe russischen Hackings anbieten sollen. Die Leugnung aber habe wesentlich dazu beigetragen, alle antirussischen politischen Kräfte in den Vereinigten Staaten zu mobilisieren.

Der Kreml kommuniziere ausschließlich mit der Trump-Regierung und ignoriere ihre politischen Gegner innerhalb und außerhalb des US-Kongresses. Es wäre aber eine vernünftigere Taktik gewesen, Signale an die US-amerikanische Gesellschaft einschließlich ihrer Vertreter auf dem Capitol Hill zu senden. Zum Beispiel hätte Russland die Bereitschaft zeigen können, das Dima-Jakovlev-Gesetz über das Adoptionsverbot russischer Waisen aufzuheben beziehungsweise zu suspendieren oder einige der russisch-amerikanischen Austauschprogramme, die in den letzten Jahren der Obama-Administration beendet worden seien, wiederaufzunehmen. Auch hätten US-amerikanische NGOs von der Liste der „unerwünschten Organisationen“ entfernt werden können.

Insgesamt enthielten die Vorschläge, die im März 2017 an die Trump-Regierung übermittelt wurden, keine Änderungen der Positionen zu Fragen von US-amerikanischem Interesse wie beispielsweise zur Ukraine, zu Syrien, Iran und der vermuteten russischen Einmischung bei den Wahlen 2016.

Die neuen Sanktionen, die Ende Juli 2017 fast einstimmig vom Repräsentantenhaus und vom Senat mit einem Gesetzentwurf verabschiedet und am 2. August von Trump trotz seines Missfallens unterzeichnet wurden, waren Kortunov zufolge „das bedeutendste Ereignis in den Beziehungen zwischen den USA und Russland im Jahr 2017“. Damit sei Russland in die gleiche Kategorie von Schurkenstaaten eingereiht worden wie Iran und Nordkorea.

In den beiden Ländern, so der Autor, habe das beiderseitige Verhältnis aufgehört, eine rein außenpolitische Angelegenheit zu sein. Es sei nunmehr, wie im Kalten Krieg, fest in der jeweiligen innenpolitischen Arena verankert. Moskau und Washington blieben auch dreißig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges bequeme Gegner füreinander. Ihre Konfrontation werde wieder als Instrument der politischen Mobilisierung genutzt und könne, was Russland betreffe, sogar als ein Element der nationalen Identität betrachtet werden.

Wie kommt man aus dieser fatalen Situation heraus? Kortunov setzt (für den Rezensenten überraschend) auf „die traditionelle Schlüsselrolle der strategischen Rüstungskontrolle für die bilateralen Beziehungen“. Sowohl Moskau als auch Washington hätten ernste Zweifel hinsichtlich der Zukunft des Abkommens über die Beseitigung von nuklearen Mittelstreckenwaffen und des neuen START-Vertrags. Aber wenn das Thema der strategischen Rüstungskontrolle ausgeklammert werde, könnten die russisch-amerikanischen Beziehungen einfach zerfallen. Aus diesem Grund seien die bilateralen Konsultationen zu Fragen der strategischen Stabilität, die im August 2017 in Gang gesetzt worden seien, so wichtig.
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Besprochene Literatur

Andrey Kortunov
Disillusionment and Missed Opportunities: Russian-U.S. Relations in 2017
Carnegie Endowment for International Peace, Washington, D.C., 23. Februar 2018

Dmitri Trenin
Avoiding U.S.-Russia Military Escalation During the Hybrid War
Carnegie Moscow Center, 25. Januar 2018

Dmitri Trenin
European Security: From Managing Adversity to a New Equilibrium
Carnegie Moscow Center, 22. Februar 2018

Aleksandr Khramchikhin
Rethinking the Danger of Escalation: The NATO-Russia Military Balance
Carnegie Endowment for International Peace, Washington, D.C., 25. Januar 2018


Der vollständige Beitrag ist erschienen in: SIRIUS - Zeitschrift für Strategische Analysen, Band 2, Heft 2, Seiten 182–189, ISSN (Online) 2510-2648, ISSN (Print) 2510-263X, DOI: https://doi.org/10.1515/sirius-2018-2009.

 

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Information

OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine

Das Foto, das diesen Beitrag begleitet, ist einer Dokumentation der Arbeit der „OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine“ entnommen, die auf flickr veröffentlicht worden ist. Über diese Mission informiert die OSZE selbst und unter anderem das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze: „Am 21. März 2014 hatte der Ständige Rat der OSZE auf Anfrage der ukrainischen Regierung und mit Zustimmung aller 57 OSZE-Teilnehmerstaaten eine zivile Special Monitoring Mission für zunächst sechs Monate beschlossen. Mittlerweile ist das Mandat wiederholt verlängert worden. Derzeit sind rund 720 internationale Beobachter/innen und 90 weitere Zivilkräfte für die SMM im Einsatz; die mandatierte Personalobergrenze liegt bei 1.000 Missionsangehörigen. Die SMM soll einen Beitrag zum Abbau der Spannungen in der Ukraine leisten sowie Frieden, Stabilität und Sicherheit fördern. Dazu umfasst ihr Mandat die Beobachtung und Berichterstattung über die Sicherheitslage, die Verletzung der OSZE-Prinzipien und -Verpflichtungen sowie die Einhaltung von Menschenrechten und grundsätzlichen Freiheiten (einschließlich der Minderheitenrechte). Die SMM soll dazu auch Kontakte zu Behörden, Zivilgesellschaft, ethnischen und religiösen Gruppen herstellen und den Dialog zwischen ihnen befördern.“


Aus den Denkfabriken

Christian Schaller
Völkerrechtliche Argumentationslinien in der russischen Außen- und Sicherheitspolitik. Russland, der Westen und das „Nahe Ausland“
Stiftung Wissenschaft und Politik, 10. Juni 2018

„In der Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen spielt völkerrechtliche Rhetorik eine nicht zu unterschätzende Rolle, vor allem wenn es um Fragen von Souveränität, Intervention und militärischer Gewaltanwendung geht. Moskau wirft den USA und anderen westlichen Staaten seit vielen Jahren vor, eine Politik der Einmischung zu betreiben und in eigennütziger, missbräuchlicher Weise mit dem Völkerrecht umzugehen. Umgekehrt sieht sich Moskau von westlicher Seite ebenfalls immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, das Völkerrecht zu brechen. Zuletzt geriet Russland wegen der Annexion der Krim, der Beteiligung am Ukraine-Konflikt und seiner Rolle in Syrien in die Kritik. Eine tragfähige Strategie für die Beziehungen zu Russland setzt eine fundierte Kenntnis der völkerrechtlichen Standpunkte und Argumentationslinien von Moskaus Außen- und Sicherheitspolitik voraus.

In der vorliegenden Studie werden zum einen die Argumente analysiert, mit denen Russland westliche Politik angreift. Zum anderen richtet sich der Fokus auf die Art und Weise, wie das Land seine Interessen im postsowjetischen Raum völkerrechtlich-argumentativ geltend macht. Im Vordergrund steht die Frage, inwieweit sich in den Argumentationslinien Moskaus ein konsistentes Völkerrechtsverständnis spiegelt und wo gegebenenfalls Widersprüche auftreten. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der russischen Politik im postsowjetischen Raum eine Lesart völkerrechtlicher Normen und Prinzipien zugrunde liegt, die zum Teil erheblich von jener abweicht, mit der sich westliche Akteure regelmäßig konfrontiert sehen, wenn sie von Russland kritisiert werden.“ (Kurzfassung)


Analyse

Altes Denken statt Neues Russland. Innenpolitische Bestimmungsfaktoren der Außenpolitik

Was ist in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen falsch gelaufen und wer hat daran Schuld? Ausgehend von der Annahme, dass vor allem innere Faktoren das Außenverhalten bestimmen, rekapituliert Hannes Adomeit entlang von fünf Büchern die innere Entwicklung Russlands und verknüpft diese mit dessen Außenpolitik. Die Autoren der besprochenen Werke sind sich einig, dass Putin einen autokratischen und autoritären Staat ausgeformt hat, der mit der Russisch-Orthodoxen Kirche zusammenarbeitet und im postsowjetischen Raum „eurasisch“, imperialistisch orientiert ist. Die Außenpolitik zeigt sich entsprechend als eine anti-westliche, militärisch unterfütterte Großmachtpolitik.
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