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Iran ist das Hauptproblem – nicht Trump. Die westliche Politik sollte ihre Spielräume nutzen

17.05.2018
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Prof. Dr. Joachim Krause

Derzeit sind sich die meisten Beobachter in Medien, Politik und Thinktanks einig in ihrer Kritik am Austritt der Vereinigten Staaten aus dem 2015 vereinbarten Arrangement zur Beilegung der Krise um das iranische Nuklearprogramm (Joint Comprehensive Plan of Action – JCPOA). Diese Kritik ist nachvollziehbar, insbesondere was den Ton der Ansprache des amerikanischen Präsidenten betrifft. Teilweise ist sie aber überzogen und malt die Zukunft der transatlantischen Beziehungen in einem zu dunklen Licht. Tatsächlich gibt es Spielräume für westliche Politik – und endloses Lamentieren hilft nicht weiter.

Protests 2 after US decision to withdraw from JCPOA around former US embassy Tehran 8 May 2018 26Nach der Ankündigung Trumps, dass sich die USA aus dem Atomabkommen zurückziehen, kam es in Teheran zu anti-amerikanischen Protesten. Foto: Hossein Mersadi (https://bit.ly/2SFANL8 / Creative Commons Attribution 4.0 International License) Der JCPOA wurde 2015 vom damaligen Außenminister Frank Walter Steinmeier als „historischer Erfolg der Diplomatie'' und als Beginn einer Verbesserung der Beziehungen zu Iran gefeiert. Damit schien die Bundesregierung den Satz bewiesen zu haben, wonach man mit militärischen Mitteln keine politischen Probleme lösen könne. Leider blieb der erhoffte Wandel in der Politik Irans aus. Die Revolutionswächter, die das Kernwaffenprogramm betrieben hatten, fanden in Syrien, im Irak und im Jemen neue Betätigungsfelder. Und sie führten ein Raketenprogramm fort, welches nur Sinn ergibt, wenn beabsichtigt ist, später doch Kernwaffen zu beschaffen. Insbesondere verfolgt die iranische Führung weiterhin mit großer Konsequenz das Ziel, Israel auszulöschen. Iran hat seit 2015 Zehntausende von Flugkörpern im Libanon im Herrschaftsbereich der Hizbullah stationiert und baut eine militärische Präsenz im Süden Syriens auf, die gegen Israel gerichtet ist. Der Bundesregierung sind diese Tatsachen bekannt, vor allem nachdem der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei seinem Teheran-Besuch im Oktober 2016 mit dem heroischen Versuch gescheitert war, die Führung Irans zur Anerkennung des Existenzrechts von Israel zu bewegen. Spätestens da hätte es zu einer Neubewertung der Politik gegenüber Iran und auch zu einer Relativierung des JCPOA kommen müssen. Das ist nicht geschehen, während gleichzeitig die Präsidenten- und Kongresswahlen im November 2016 jene Kräfte in den Vereinigten Staaten stärkten, die dem JCPOA kritisch gegenüberstanden.

Für sich genommen ist der JCPOA ein solide verhandeltes Paket von Maßnahmen, die das nukleare Waffenprogramm derzeit relativ effektiv einhegen. Es ist alles andere als „närrisch" (wie Präsident Trump äußerte), aber es wird nur dauerhaft Wirkung haben können, wenn es gelingt, die aggressive Politik Irans gegenüber seinen arabischen Nachbarn und vor allem gegenüber Israel zu beenden. Ansonsten wird der JCPOA das gleiche Schicksal erfahren wie der deutsch-britische Flottenvertrag vom Juni 1935, der als Meilenstein zur Verhinderung eines Krieges gefeiert worden war. Mit Rüstungskontrollabkommen lassen sich politische Probleme nicht lösen, wenn man es mit einer Macht zu tun hat, die den politischen Status quo mit militärischer Gewalt zu verändern sucht.

In erster Linie kommt es für die deutsche Politik nun darauf an, trotz aller Entrüstung über Donald Trump das eigentliche politische Problem nicht aus den Augen zu verlieren. Nicht der amerikanische Präsident ist das Hauptproblem, sondern die Führung in Teheran, in der immer noch die revolutionären Kräfte in der Außenpolitik das Sagen haben und eine mit militärischen Mitteln unterstützte expansive Politik verfolgen. Es sind nicht Präsident Hassan Rohani und Außenminister Mohammed Sarif, die die Linien der iranischen Außen­ und Sicherheitspolitik bestimmen, sondern der große Führer Ali Chamenei, der Chef der Pasdaran, Generalmajor Mohammad Ali Dschafari, und vor allem der charismatische Führer der Al­Quds-Brigaden, Brigadegeneral Qassem Soleimani. Die Hoffnung, dass das JCPOA an dieser Machtverteilung et­was ändern könnte, hat sich nicht erfüllt.

Wenn die Bundesregierung nach einer Verhandlungslösung sucht, dann darf sie sich nicht auf Verhandlungen einlassen, deren Ziel es ist, die Vereinigten Staaten zu isolieren. Vielmehr muss sie die Herausforderung durch Iran in ihrer ganzen Breite berücksichtigen. Das kann nur in einem Format geschehen, bei dem eine kritische Masse westlicher Staaten in einen strukturierten Dialog mit denjenigen Kräften in Iran eintritt, die tatsächlich die Außen- und Sicherheitspolitik bestimmen. Sollte sich das als nicht möglich erweisen und sollte Teheran mit der Wiederankurbelung des Nuklearwaffenprogramms drohen, dann wäre es Zeit, wieder die effektiven Sanktionen in Kraft zu setzen, die 2015 Iran zum Nachgeben gezwungen haben. Solange Iran nicht aus dem JCPOA aussteigt, bleibt Zeit für derartige Sondierungen, die von Deutschland und Frankreich ausgehen sollten. Ansonsten werden wir bald Gedanken darüber anstellen müssen, wie die Aussage der Bundeskanzlerin zu verwirklichen ist, wonach „Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson ist". Das könnte nicht nur die Bitte um Waffenlieferungen bedeuten, sondern eines Tages auch die Entsendung von Bundeswehreinheiten.

Dieser Kommentar ist zuerst in der Franfurter Allgemeinen Zeitung, 15. Mai 2018, erschienen.

 

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