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Ines-Jacqueline Werkner: Gerechter Frieden. Das fortwährende Dilemma militärischer Gewalt

02.03.2018
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Prof. Dr. Volker Stümke
Bielefeld, transcript Verlag 2018

Seit fast dreißig Jahren verwenden christliche Kirchen den Begriff des gerechten Friedens, um den Ansatz und das besondere Profil ihres Friedensverständnisses auf den Punkt zu bringen. Dass ein pointiertes Friedenskonzept angesichts der erschreckenden und um sich greifenden Präsenz von Krieg und Gewalt notwendig wäre, dürfte unstrittig sein. Und dabei geht es nicht nur um das Verhältnis des Friedens zur (insbesondere militärischen) Gewalt, sondern auch grundlegend darum, welche Kontur der Frieden haben sollte. Die kirchliche Rede verspricht schon durch den Begriff des gerechten Friedens beides: eine Profilierung durch die Verbindung des Friedens mit Gerechtigkeit und eine Absetzung von der traditionellen Redeweise vom gerechten Krieg.

In der kurzen Einführung stellt die Sozialwissenschaftlerin Ines-Jacqueline Werkner, seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich „Frieden und Nachhaltige Entwicklung“ an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg (FEST), dieses Themenfeld klar und prägnant vor. Zunächst profiliert sie den Begriff des Friedens, indem sie, anknüpfend an die grundlegende Unterscheidung von negativem und positivem Frieden in der Friedensforschung, die Verbindung von Frieden und Gerechtigkeit als Spezifikum der kirchlichen Friedensethik herausstreicht. Gerechtigkeit sei dabei als normative Näherbestimmung des politischen Zustands Frieden zu verstehen (25 f.), sodass dieser nicht nur als politisches Konzept verstanden werde, sondern zuvor als eine das menschliche Vermögen übersteigende Gabe Gottes (29), die eine umfassende Wohlordnung enthalte.

Gerechter Frieden sei demzufolge ein christlicher Leitbegriff und nicht nur ein sozialethisches Konzept, wenngleich versucht worden sei, dieses Konzept sowohl christlich wie vernünftig zu plausibilieren. An dieser Stelle deutet Werkner einen theologischen Disput über die Reichweite und den Anspruch des kirchlichen Programms an. Denn eine dezidiert christliche Gedankenführung wäre zwar profiliert, jedoch kaum gesellschaftlich konsensfähig – im Gegensatz zu einer vernünftigen Entfaltung, die jedoch kein spezifisch christliches Profil mehr hätte. Allerdings nimmt Werkner nur indirekt Stellung, indem sie die zweite Position abschließend hinterfragt: Würden hier nicht zudem „wichtige religiöse Inhalte und Bezugspunkte verloren“ (33) gehen?

Nach der Begriffsklärung wird der gerechte Friede inhaltlich sowohl vom gerechten Krieg wie vom ungerechten Frieden abgegrenzt. Die klassische Lehre vom gerechten Krieg habe seit der Spätantike ethische Kriterien zur Legitimierung und Humanisierung von Kriegen entwickelt, um so die Anzahl und die Durchführung militärischer Gewaltakte zu begrenzen. Allerdings sei diese ethische Prüfung durch die Entwicklung des modernen Völkerrechts in den Hintergrund geraten, lediglich im angloamerikanischen Raum seien die Kriterien weiter tradiert und entwickelt worden, um auch das (Völker-)Recht nicht aus der ethischen Prüfung zu entlassen. In diesem Sinn hätten die aktuellen Veröffentlichungen der beiden großen Kirchen in Deutschland, das Hirtenwort „Gerechter Friede“ der katholischen Bischöfe aus dem Jahr 2000 und die Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ von 2007, die Kriterien der traditionellen Lehre aufgegriffen, sie aber nunmehr unter dem gerechten Frieden subsumiert – in der evangelischen Kirche als Kriterien rechtserhaltender Gewalt. Darüber hinaus hätten beide Kirchen den gerechten Frieden als einen Prozess hin zu mehr Gerechtigkeit und weniger Gewalt profiliert und stünden damit auch im Konsens mit dem ökumenischen Friedensverständnis.

Besonders spannend liest sich das Kapitel über die Abgrenzung des gerechten vom ungerechten Frieden. Hier stand die Einsicht von Cicero Pate, dass selbst ein ungerechter Friede nützlicher sei als selbst der gerechteste Krieg (51). Aber gilt diese Behauptung auch heute noch angesichts massiver Menschenrechtsverletzungen und militärischer Gräueltaten, die Cicero wohl nicht antizipieren konnte? Nachdem Werkner zunächst – politisch und wissenschaftlich korrekt – den Begriff der Gerechtigkeit ausdifferenziert hat, kommt sie im letzten Kapitel noch einmal auf dieses Dilemma zurück, indem sie den Bogen zur aktuellen Kontroverse über das Konzept einer internationalen Schutzverantwortung schlägt. Dieses Konzept („Responsibility to Protect“) habe nicht nur den Begriff der staatlichen Souveränität relativiert, indem es den Schutz der Bürger als politische Pflicht akzentuierte, es habe zudem die internationale Gemeinschaft eingebunden, Maßnahmen im Fall schlimmster Menschenrechtsverletzungen zu ergreifen.

Damit führt Werkner wieder zu dem Grunddilemma jeder Friedensethik, sich nämlich zu einer (militärischen) Gewaltanwendung zu positionieren, die Unrecht, Ungerechtigkeit oder massive Gewalt gegen die Zivilbevölkerung beenden will. Dreht man auch in solchen Fällen nur weiter an der Gewaltspirale oder ist militärische Gewalt das geringere Übel? Werkner stellt am Ende etwas ernüchtert fest, dass es in den Kirchen vier Positionen gebe, die das ganze Spektrum abzudecken scheinen: vom rigorosen Pazifismus (vor allem der Friedenskirchen) über den Verantwortungspazifismus (der beiden großen Konfessionen in Deutschland) bis hin zum Festhalten am gerechten Krieg (vor allem im nordamerikanischen Raum) und daneben noch die fromme Position, dass Friede primär die Versöhnung des Menschen mit Gott und hernach mit seiner eigenen Seele meine. (76 ff.) Mit Recht betont sie im Schlusswort, dass dieses Dilemma zwar nicht aufgelöst, wohl aber abgemildert werden könne, indem zivile und gewaltpräventive Ansätze gestärkt werden. Dem kann nur zugestimmt werden, wenngleich es bedauerlich ist, dass diese Ansätze auch nach dreißig Jahren Reden vom gerechten Frieden nur als Ausblick gewürdigt werden können.

 

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