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Michael Paul: Kriegsgefahr im Pazifik? Die maritime Bedeutung der sino-amerikanischen Rivalität

06.08.2018
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Autorenprofil
Sven Morgen, M. A.
Baden-Baden, Nomos Verlag 2017

Das 21. Jahrhundert wird von der Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik China geprägt sein. Wir befinden uns gerade an einer Weggabelung dieser Rivalität, an der noch nichts ist, aber alles werden kann. In diesem Kontext geht Michael Paul in seinem Werk der Frage nach, wie sich die sino-amerikanische Rivalität insbesondere im Pazifik entwickeln könnte. Dabei schaut er aus einer maritimen Perspektive auf die Akteure, deren Ziele und die geopolitischen Gegebenheiten. Pauls Buch ist dabei ein fundierter Beitrag zur Debatte, ob die Rivalität zwischen China und den USA mit einer „Thukydides-Falle“ vergleichbar und somit ein Krieg zwischen den beiden Großmächten zwangsläufig unausweichlich ist (vgl. hierfür Graham Allison, 2017, Destined for War: Can America and China Escape Thucydides’s Trap?).

Paul bereitet das Thema systematisch und profund auf und gibt dem Leser eine gut zugängliche Einführung in die maritime Dimension der sino-amerikanischen Rivalität. Die Fülle der Fußnoten ermöglicht aber auch eine intensive Vertiefung, sodass das Buch das Potenzial hat, zum deutschsprachigen Grundlagenwerk für dieses Thema zu werden. Ein weiteres positives Merkmal von „Kriegsgefahr im Pazifik?“ ist, dass Paul sowohl die lokale, regionale als auch globale Perspektive einnimmt und so den Konflikt aus verschiedensten Blickwinkeln zugänglich macht.

Einführend erläutert Paul zunächst die maritimen Aspekte des geopolitischen Wandels, indem er die Bedeutung maritimer Macht herausarbeitet. Dabei ist besonders das Verhältnis von Seemacht und Landmacht von Interesse, da eine Landmacht „ohne eine adäquate maritime Komponente ihre Macht weder zu sichern noch zu erweitern imstande ist“ (31). So wird nachvollziehbar, warum China nach maritimer Machterweiterung strebt, da nur so der zukünftige wirtschaftliche Aufstieg und die eigene Sicherheit in den küstennahen Gewässern (Gelbes Meer, Ostchinesisches Meer und Südchinesisches Meer) garantiert werden kann. Problematisch ist dabei jedoch, dass China ein strikteres Verständnis der „Freiheit der See“ als die USA hat. Damit gerät es in Konflikt mit diesen, die die Nutzung der See als globales öffentliches Gut und die „Navigationsfreiheit“ (39) garantieren wollen. Somit soll der weltweite Ferngüterverkehr, der zu 95 Prozent über den Seeweg abgewickelt wird und von dem auch Deutschland massiv profitiert, abgesichert werden. Die „Freiheit der See“ ist aber auch notwendig, damit die USA ihre Schutzrolle für verschiedene Staaten in der Region glaubhaft umsetzen können.

Die chinesische Großstrategie

Im ersten Teil des Buches beschäftigt Paul sich mit der VR China und erläutert deren Großstrategie, die einzelnen Akteure ihrer Sicherheitspolitik und deren Instrumente sowie Abschreckungsstrategien. Bereits hier wird deutlich, dass China derzeit noch nicht in der Lage ist, die pazifische Vormachtstellung der USA substanziell herauszufordern. Es entwickelt aber ambitioniert militärische Fähigkeiten, die es zukünftig erlauben werden, seine Interessen und Ziele mittelfristig im regionalen und langfristig im globalen Kontext auch militärisch durchzusetzen.

Bemerkenswert ist dabei die konsequente Entwicklung der chinesischen A2-AD-Fähigkeiten (Anti-Access Area Denial). Diese sorgen dafür, dass der See- und Luftraum im Südchinesischen sowie Ostchinesischen Meer nicht mehr unumstritten ist. Damit wird der bislang weitgehend ungehinderte Zugriff der USA auf diese Region eingeschränkt. Dieser Zuwachs an zunächst genuinen Defensivfähigkeiten Chinas beeinträchtigt das politische und militärische Handlungsspektrum der USA, die dort nicht nur nationale, sondern auch globale Interessen vertreten. Dies wird eine Neubewertung der geopolitisch-strategischen Situation zur Folge haben. Für die Verbündeten der USA (insbesondere Südkorea und Japan) wird sich die Frage stellen, wie stark und verlässlich die Sicherheitsgarantie der USA zukünftig noch sein kann.

Die Frage, ob die Volksrepublik die neuen militärischen Machtmittel in Zukunft in aggressiver und offensiver Weise nutzen wird, wird von Paul bewusst nicht abschließend beantwortet, da jede Aussage zum derzeitigen Zeitpunkt spekulativ wäre. Hier hält sich der Autor in angenehmer Weise zurück und lässt seine wissenschaftlich-objektive Bestandsaufnahme für sich sprechen.

USA verlagern ihren Schwerpunkt

Im zweiten Teil des Buches widmet sich Paul dann der Politik der USA im asiatisch-pazifischen Kontext und zeichnet dabei die US-amerikanische Schwerpunktverlagerung in Richtung Asien nach. Besonders in den Fokus rückt dabei die maritime Strategie der USA für das 21. Jahrhundert und die sich daraus ableitenden militärischen Einsatzszenarien und -mittel. Dabei wird mit Paul deutlich, dass die Schwerpunktverlagerung nur „mangelhaft“ umgesetzt wurde. Insbesondere die militärische Dimension war häufig von symbolischer Natur, da die eingesetzten Mittel militärische Macht nur darstellen, aber keinen militärischen Konflikt überstehen würden. „Zahlreiche Waffensysteme müssen erst neu entwickelt werden, um neue operative Konzepte im Konfliktfall realisieren zu können.“ (vgl. 190 f.)

Maritime Konflikte

Im dritten Teil stellt Paul die maritimen Konflikte im asiatisch-pazifischen Raum vor. Dabei wird deutlich, dass China sehr vorsichtig unterhalb der Gewalt- und damit unter der Schwelle zur Konflikteskalation seine territorialen und sicherheitspolitischen Interessen durchzusetzen versucht. Chinas Ziel ist es, die „erste Kette“ zu durchzubrechen und so die maritime Vormachtstellung der USA im Südchinesischen Meer zunehmend zu schwächen. Dies stellt den von der USA dominierten Status quo infrage und erhöht so die Spannungen. In der Region besteht deswegen ein beträchtliches Konfliktpotenzial zwischen allen beteiligten Akteuren. Eine Eskalation bis hin zur militärischen Auseinandersetzung, zum Beispiel aufgrund von Fehlperzeptionen oder Überreaktionen, ist jederzeit möglich und sollte unbedingt vermieden werden. Hierfür macht Paul Vorschläge, indem er zum Schluss Vertrauensbildung, Krisenmanagement, Konfliktprävention und Rüstungskontrolle thematisiert und so einen Ausweg aus der „Thukydides-Falle“ aufzeigt.

„Kriegsgefahr im Pazifik?“ verdeutlicht, welche enormen strategischen Herausforderungen das Handeln Chinas für die USA hat. Dies kann über den regionalen Kontext auch langfristige Auswirkungen auf die globale Vormachtstellung der USA haben. Auch deswegen wünschen sich die USA mehr strategische Eigenständigkeit von Europa, damit sie im Rahmen ihrer grand strategy die als größer empfundenen Herausforderungen in Asien angehen können.

Das Werk weist auch für Leser*innen eine hohe Zugänglichkeit auf, die nicht tief im Thema stecken. Es gibt nur wenige deutschsprachige Werke, die es so wie „Kriegsgefahr im Pazifik?“ schaffen, die globalen und regionalen Herausforderungen und Entwicklungen sowie die konkreten Handlungen und militärischen Fähigkeiten miteinander in Verbindung zu setzen, sodass das immerwährende Wechselspiel zwischen der taktischen, operativen und strategischen Ebene deutlich wird. Dies kann den Diskurs bereichern, da mit der Lektüre die mittel- und langfristigen Herausforderungen der sino-amerikanischen Rivalität strategisch und politisch greifbar werden. Paul liefert eine analytische Bestandsaufnahme, die das politische Nachdenken über diese Region ordnen und anleiten kann. Einzig der stärkere Einsatz von Kartenmaterial wäre wünschenswert gewesen, da so die geopolitische Dimension der Ausführungen noch stärker zur Geltung gekommen wäre.

 

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