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Sebastian Bukow / Uwe Jun (Hrsg.): Parteien unter Wettbewerbsdruck. Aktuelle Forschung in Zeiten des politischen Wandels

22.03.2018
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Autorenprofil
PD Dr. Stephan Klecha
Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2017

Der von Sebastian Bukow und Uwe Jun herausgegebene Sammelband zur Lage des Parteiensystems gliedert sich in drei Schwerpunkte. Den ersten setzen die Herausgeber selbst mit ihrer Einleitung, die man ohne Weiteres als Einleitungstext in einem Seminar zum Parteiensystem einsetzen kann, derart komprimiert führen sie in die Fragestellung ein. So skizzieren Bukow und Jun die analytischen Instrumente, um das Parteiensystem zu vermessen. Dabei stellen sie fest, dass auf der einen Seite ein erhöhter Wettbewerbsdruck zu verzeichnen ist, dass die Parteien diesem aber auf der anderen Seite nicht schutzlos ausgeliefert sind. Vielmehr reagieren sie darauf. Diese beiden Komponenten, veränderte Rahmenbedingungen und Adaption der Lage, sind jedoch nicht die wesentlichen Elemente der beiden folgenden Abschnitte. Vielmehr arbeiten sich die Autor*innen dann eher an den Kontexten ab und verharren überwiegend auf der Makroebene, anstatt sich der mühseligen Untersuchung des Binnenlebens der Parteien hinzugeben. Gleichwohl, ein Mangel ist dieses nicht unbedingt.

Das gilt besonders für den zweiten Abschnitt. Dieser ist den Programmen und Positionen der Parteien gewidmet. So lässt „sich entgegen anders lautender Annahmen“ (53) zunächst festhalten, dass es unverändert Differenzen zwischen den Parteien gibt, auch und gerade in wirtschaftspolitischen Fragen. Julia Kiesow fokussiert für diesen Befund auf die wirtschaftlichen Krisen seit den 1960er-Jahren und stellt fest, dass SPD und FDP bei deren Bewältigung deutliche Unterschiede an den Tag gelegt haben, wohingegen die Unionsparteien „selbst wenig eigene Akzente“ (53) gesetzt haben. Was Kiesow qualitativ entwickelt, belegt auch Thomas Däubler, der – in der bewährten Mannheimer Schule stehend – anhand der Wahlprogramme eine wirtschaftspolitische Konvergenz der beiden altbundesrepublikanischen Lager verneint.

Wenn also die populäre These von der mangelnden Unterscheidbarkeit der Parteien im Lichte der Empirie keine Bestätigung findet, stellt sich die Frage, warum dann die etablierten Parteien gegenwärtig in einer tiefen Sinnkrise stecken. Hierzu liefert der Beitrag von Johannes Schmitt und Simon T. Franzmann eine interessante Erkenntnis. Dabei ist das theoretische Rüstzeug der beiden Düsseldorfer Forscher keineswegs sonderlich originell. Sie referieren die gemeinhin bekannten Vorbehalte gegen die Großen Koalitionen in Bezug auf die Stärkung der politischen Ränder, was dann mit wachsender Polarisierung einhergeht, jedoch die Parteien der Mitte letztlich schwächt. Im Zuge dessen landen sie bei einer These von Giovanni Sartori aus der Mitte der 1970er-Jahre: Koalitionen, in denen Parteien der Mitte zusammenarbeiten, bringen es mit sich, dass eine vollständige Ablösung der Regierung durch die Opposition nicht möglich ist, weil die Parteien auf den unterschiedlichen Flügeln eben miteinander nicht kooperationsfähig sind. Die Parteien auf den Flügeln sehen sich dadurch aber erst recht bemüßigt, sich von der Mitte abzusetzen, wodurch eine alternative Mehrheit erst recht unwahrscheinlich wird. Demnach ist nicht die Größe der Regierungsmehrheit das Problem, sondern die Positionierung der beteiligten Parteien im Zentrum des Parteienspektrums führt zu einer Stärkung der Ränder. Dass diese These in den Debatten der vergangenen Jahre keine Rolle gespielt hat und jetzt für die Bundesrepublik aktuell ist, liegt in erster Linie daran, dass einige Kontextbedingungen eben erst heute erfüllt sind. Der eigentliche Clou des Beitrags ist dann die empirische Fundierung anhand einer quantitativen Analyse auf Basis des Manifesto-Datensatzes. Daran wird aufgezeigt, dass im internationalen Vergleich sich die These durchaus verifizieren lässt. Mithin legen die Ergebnisse nahe, „dass ‚Große Koalitionen‘ aufgrund ihrer ideologischen Zentrumslage tatsächlich langfristig schädlich wirken“ (113). Einem bedingten Ausweg können Minderheitsregierungen liefern, jedoch eine Garantie gegen ein Anwachsen der Ränder geben auch diese nicht.

Tatsächlich ist der Beitrag von Schmitt und Franzmann ein wirkliches Highlight für die Verknüpfung von Theorie, qualitativer Beobachtung und quantitativer Empirie. Zugleich ist er allerdings leider auch ein Beleg dafür, dass die Parteienforschung gegenwärtig zu wenig in die politischen Debatten selbst intervenieren kann, denn derlei Stimmen aus der Wissenschaft hat man während der Regierungsbildung 2017/2018 vermisst.

Während der zweite Teil somit in Bezug auf Erkenntnisgewinnung und methodisches Repertoire der Forschung interessant und anregend ist, befasst sich der dritte Teil des Bandes dann mit ausgewählten Problemfeldern der Parteienforschung. Oliver d’Antonio versucht in seinem Beitrag anhand des hessischen Parteiensystems aufzuzeigen, ob es ein Cleavage zwischen Stadt und Land gibt, welches sich parteipolitisch auflädt. Tatsächlich macht d’Antonio andere Variablen als erklärende Elemente für den unterschiedlichen elektoralen Erfolg der Parteien aus. Niko Switek stößt bei der Betrachtung der koalitionspolitischen Flexibilität der Grünen auf eine ererbte elitenkritische Haltung der Parteibasis. Florian Glock nimmt schließlich die Einstellungsmuster der FDP-Parteitagsdelegierten in den Blick. Alle drei Beiträge liefern solide Befunde zur Lage der Parteien ab, ohne eine besonders originelle These darzulegen. Das gelingt dann schon wieder stärker Michael Angenendt und Johannes Schmitt, die der Frage nachgehen, wie sich vorgezogene Neuwahlen auf Parteien auswirken. Eine einvernehmlich herbeigeführte Neuwahl ist hierbei günstiger für die beteiligten Regierungsparteien als eine im Konflikt erzwungene. Freilich, in diesem Beitrag steckt das Problem, dass die quantitativen Befunde in den Kontexten und historischen Zeitläuften sehr unterschiedlich ausfallen können. Hier würde man gerne mehr an qualitativen Befunden hinzufügen, um die Stichhaltigkeit der empirisch ja durchaus gefestigten These zu bestimmen. Was im zweiten Teil des Bandes zu einer fruchtbaren Synthese der verschiedenen Forschungsansätze zusammengeführt worden ist, steht in diesem Abschnitt leider ein wenig unverbunden nebeneinander.

Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland erlebt eine enorme Veränderung. Alte Gewissheiten lösen sich auf. Neue Regeln und Strukturen haben sich indes noch nicht so herausgebildet, dass sich von neuer Stabilität sprechen ließe. Gefordert wie lange nicht mehr, ist die Parteienforschung, die Antworten geben müsste und die Trends herausarbeiten sollte. Doch es fällt ihr gegenwärtig schwer, diese ihr eigene Aufgabe erfolgreich zu meistern. Auch der hier rezensierte Sammelband kann dieses Defizit nicht wirklich schließen, dennoch kann eine Leseempfehlung ausgesprochen werden. Immerhin gelingt es über weite Teile, den Spannungsbogen zwischen qualitativer Beobachtung und quantitativer Analyse auszuhalten und vor allem produktiv zu nutzen. Die theoretische Fundierung einiger Beiträge zeigt zugleich auf, dass im Rahmen einer paradigmatischen Herangehensweise es durchaus möglich ist, mit tradierten, ja teilweise in den Hintergrund gerückten Ansätzen innovativ umzugehen. Dieses ist ohne Frage die Stärke des Bandes. Seine hinnehmbare Schwäche ist, dass er eben keine Idee vermitteln kann, wohin sich das Parteiensystem entwickeln könnte oder wie sich die Parteien im Wandel gesellschaftlicher Einstellungen verhalten könnten. Die Bereitschaft, in diesem Zusammenhang eine steile These zu formulieren, eine Prognose abzugeben oder die gesicherte Position der Empirie zu verlassen, signalisieren die Autor*innen nicht. Ausgehend vom Buchtitel hätte man sich das vielleicht ein wenig gewünscht, dennoch schmälert das nur bedingt den Gehalt der Beiträge.

 

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Wiesbaden: Springer VS 2013; 926 S.; 69,99 €; ISBN 978-3-531-17698-7
„Die Parteienforschung repräsentiert eine interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Disziplin im Schnittstellenbereich von Politikwissenschaft und Soziologie, die mit einem außergewöhnlich umfangreichen und breit aufgefächerten Erfahrungsgegenstand befasst ist“ (13), schreibt der prominente Parteienforscher Elmar Wiesendahl. Angesichts der Bedeutung dieses Untersuchungsschwerpunktes für die gesamte Politikwissenschaft verwundert es, dass es so lange Zeit kein umfangreiches Kompendium...weiterlesen


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