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Diplomatische Pflicht ohne politische Kür. Eine erste Bewertung der Klimakonferenz COP23 in Bonn

04.12.2017
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Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH

2017 COP 23 demo in Bonn. Spielvogel 5Zu Beginn der Klimakonferenz fand am 4. November 2017 in Bonn eine Demonstration von Bürgerinnen und Bürgern statt, die die Politik zu einem entschlossenen Handeln im Sinne des Klimaschutzes aufriefen. Foto: Spielvogel (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2017_COP_23_demo_in_Bonn._Spielvogel_5.jpg: CC BY-SA 3.0).

 

1. Einleitung
2. Schwacher Rückenwind beim Regelwerk
3. Im Windschatten: Wenig Solidarität mit dem Globalen Süden
4. Unter Dampf: Verstärkung der Klimaschutz-Anstrengungen
5. Gut am Wind: Vorreiterstaaten sowie nicht-staatliche und sub-nationale Akteure
6. Verortungen: Klimaschutz in breiterem Kontext
7. Mehr Wind vor Katowice?

 

1. Einleitung

Vom 6. bis 17. November 2017 fand in Bonn unter der Präsidentschaft von Fidschi die 23. Konferenz der Vertragsparteien (Conference of the Parties, kurz COP23) zur Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) statt. Zentrale Themen der Konferenz waren die Entwicklung der Durchführungsbestimmungen zum Pariser Klimaabkommen und die Verstärkung der Anstrengungen zum Klimaschutz (raising ambition). Da dies die erste ‚ozeanische’ COP war, fand auch die Unterstützung der Länder des Globalen Südens bei der Senkung der Emissionen, bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Umgang mit den nicht vermeidbaren Folgen des Klimawandels große Aufmerksamkeit.

Das Jahr 2017 war von extremen Wetterkatastrophen geprägt. Diese reichten von einer Serie verheerender Wirbelstürme in der Karibik und im Golf von Mexiko, über schwere Überschwemmungen in Südasien bis zur katastrophalen Dürre und flächendeckenden Waldbränden in Portugal. Davon war in den Verhandlungen – jenseits der Warnungen von Fidschi und anderen verwundbaren Staaten – jedoch wenig zu spüren. Niemand nahm das Heft des Handelns in die Hand, das die USA nach dem Regierungswechsel fallen gelassen haben. Zwar haben sich die Befürchtungen1, die USA könnten unter der neuen Administration zum Saboteur werden, nicht bewahrheitet: Die US-Delegation war extrem klein und verhielt sich zurückhaltend.

Dennoch hinterlässt der US-Regierungswechsel ein Führungsvakuum, das weder von der Europäischen Union (EU) noch von China gefüllt wurde. Die EU war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, Deutschland orientierungslos und Frankreich fehlte trotz eines beeindruckenden Auftritts von Präsident Macron die Kraft zur Führung. Und die Volksrepublik China zeigte zwar Führungswillen im Rahmen der Staaten mit mittleren Einkommen, nutzte diesen jedoch im Wesentlichen zur Durchsetzung eigener Interessen ohne Blick für das große Ganze.

Als Folge dieser mangelnden politischen Führung wurde auf der COP23 gewissermaßen lediglich das „Pflichtprogramm“ erfüllt. Zwar wurden einige Fortschritte bei technischen Details erzielt, die Arbeit der Diplomatinnen und Diplomaten für die Vorbereitung der entscheidenden Klimakonferenz COP24 kommendes Jahr in Polen wurde jedoch nicht wie erhofft erleichtert. Ein Lichtblick ist der sogenannte Talanoa-Dialog, den die fidschianische Präsidentschaft auf den Weg gebracht hat. Dies ist ein das ganze Jahr währender Verhandlungsprozess unter ihrer sowie Polens Führung.

Die wichtigsten Ereignisse der COP23 fanden jedoch jenseits des diplomatischen Parketts statt: ein beeindruckender Auftritt des ‚anderen Amerika’, einer US-amerikanischen Allianz aus Bundesstaaten, Städten, Unternehmen und Initiativen, die den von Donald Trump angekündigten Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen mit eigenen Klimaschutzmaßnahmen kompensieren will. Und die Gründung einer Allianz für den Kohleausstieg, zu der sich rund 20 Staaten (und einige Bundesstaaten aus den USA und Kanada) zusammengeschlossen haben.

Die folgende Kurzanalyse fasst die wesentlichen Entwicklungen und Ergebnisse der Konferenz zusammen. Eine ausführlichere Analyse des Wuppertal Instituts folgt im Dezember 2017.


2. Schwacher Rückenwind beim Regelwerk

Es war ein wesentliches Ziel der Bonner Konferenz, die Verhandlungen über das „Regelwerk“ zum Übereinkommen von Paris soweit voranzubringen, dass es auf der nächsten Klimakonferenz im Dezember 2018 in Katowice (Polen) verabschiedet werden kann. Das Übereinkommen von Paris legt nur die Ziele und grundsätzlichen Mechanismen der Klimapolitik fest, es fehlen jedoch die konkreten Durchführungsbestimmungen, zum Beispiel darüber, wie die Staaten über die tatsächliche Umsetzung ihrer Beiträge berichten sollen, um eine Vergleichbarkeit der jeweiligen Anstrengungen sicherzustellen.2 Die Anforderung an die Bonner Konferenz war, einen ersten Verhandlungstext dieses Regelwerks (rule book) als Grundlage für die weiteren Verhandlungen im nächsten Jahr zu vereinbaren. Diese Anforderung wurde nur teilweise erfüllt.

Leitlinien für die nationalen Beiträge

Im Vorfeld von Paris war es nicht gelungen, sich auf stringente Leitlinien für den Inhalt der nationalen Klimaschutzbeiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs) zu einigen. Die NDCs unterscheiden sich daher sehr stark in ihrer Herangehensweise und sind kaum vergleichbar. Teil der Verhandlungen zum Regelwerk ist daher, sich für zukünftige NDCs auf engere Leitlinien zu einigen. Hierzu konnten die Positionen nur wenig angenähert werden, das Endergebnis der Konferenz war ein Text von 180 Seiten mit vielen alternativen Optionen, Dopplungen und Redundanzen.

Der Transparenzrahmen

Die Verhandlungen zum Transparenzrahmen zum Beispiel waren geprägt von der Frage, ob und in welchem Maße Entwicklungsländern mehr Flexibilität bei der Berichterstattung und der internationalen Begutachtung der eingereichten Informationen zugestanden werden sollte als den Industriestaaten. Trotz politischer Kontroversen rund um diese Frage gelang es, sich auf ein relativ übersichtliches Dokument zu einigen, das im weiteren Verhandlungsverlauf als Diskussionsgrundlage genutzt werden wird. Allerdings ist es in Bonn aufgrund der fehlenden politischen Führung noch nicht gelungen, die Menge der möglichen Formulierungen und Optionen für den zukünftigen Transparenzrahmen signifikant zu verringern. Es wird erwartet, dass die Ausgestaltung der Transparenzregeln im Vorfeld der kommenden Verhandlungen in Katowice noch für reichlich Diskussionsstoff sorgen wird.

Kooperationsmechanismen

Wesentlich für die Wahrung der ökologischen Integrität ist auch eine robuste Ausgestaltung der neuen Mechanismen unter Artikel 6 des Pariser Abkommens, die den Staaten die Möglichkeiten bieten, Emissionsminderungen untereinander zu transferieren und auf ihre Minderungsbeiträge anrechnen zu lassen. Die Verhandlungen hierzu waren besonders schwierig, da vor Bonn nicht einmal geklärt werden konnte, welche Überschriften das zukünftige Regelwerk haben soll.3 Obwohl in der Sache noch viele Kontroversen fortbestehen, liegen nun alle Vorschläge in schriftlicher, strukturierter Form zumindest auf Überschriftenebene vor, was als Fortschritt angesehen werden kann. Auf dieser Grundlage sollen die Diskussionsleiter dieser Teilverhandlungen nun bis zum Frühling einen Vorschlag für einen konsolidierten Text erarbeiten, der durch Zusammenfassen und Ordnen des Textes die Verhandlungen einen deutlichen Schritt weiterbringen könnte.

Globale Bestandsaufnahme (Global Stocktake)

Die bisher angekündigten Emissionsminderungsbeiträge der Staaten sind deutlich zu schwach, um die Temperaturerhöhung unter 2 Grad Celsius zu halten: Falls tatsächlich alle Staaten ihre Versprechungen wahr machen, würde die globale Mitteltemperatur voraussichtlich auf über 3 Grad Celsius steigen. Deshalb soll in fünfjährigem Rhythmus diskutiert werden, wie weit die globalen Anstrengungen gediehen sind und wie sie verstärkt werden können. Nach der Bestandsaufnahme sollen die Staaten neue, verstärkte Beiträge ankündigen. Im Rahmen des Regelwerks ist zu klären, wie diese Bestandsaufnahme konkret durchgeführt werden sollte. In Bonn diskutierten die Delegierten „Bausteine“ des Diskussionsprozesses. Angedacht sind eine vorbereitende, eine technische und eine politische Phase.

Ausblick

Insgesamt hat Bonn keine Steilvorlage für COP24 in Katowice geliefert. Es wird hingegen im Jahr 2018 noch erhebliche Arbeit zu leisten sein, um den Text in eine verabschiedungsfähige Form zu bringen. Die Aussichten auf eine effektive Umsetzung des Pariser Klimaabkommens bleiben daher schwierig, zumal die nächsten Klimaverhandlungen in Katowice unter polnischer Verhandlungsführung stattfinden. Die polnische Regierung zeigt wenig klimapolitische Ambition, weswegen viele Beobachter befürchten, dass der nächste Gipfel unter erschwerten Bedingungen stattfinden wird. Es muss deshalb in den kommenden Monaten unter der Präsidentschaft Fidschis alles getan werden, um die Entscheidungen für Katowice bestmöglich vorzubereiten. Die Bonner Konferenz hat bereits festgehalten, dass eine zusätzliche Vorbereitungssitzung in 2018 nötig sein könnte.

3. Im Windschatten: Wenig Solidarität mit dem Globalen Süden

Zwar war geografisch Bonn der Austragungsort der Konferenz, der inhaltliche Gastgeber war jedoch Fidschi. Diese „pazifische“ oder „ozeanische“ COP stellte daher stark Themen ins Zentrum, die für die Entwicklungsländer im Allgemeinen und die kleinen Inselstaaten im Besonderen von hoher Relevanz sind.

Loss and Damage

Mit Fidschi als diesjähriger COP-Präsidentschaft waren die Erwartungen an Fortschritte im Bereich der Folgen des Klimawandels, an die eine Anpassung nicht mehr möglich ist (Verluste und Schäden – „loss and damage“), besonders hoch. Diese reichen von Todesfällen bei Wirbelstürmen bis hin zu dem Verlust von Siedlungsgebieten durch den Anstieg des Meeresspiegels. Fidschi steht hierbei stellvertretend für die kleinen sich entwickelnden Inselstaaten, die besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.

Das Thema Verluste und Schäden wurde im Übereinkommen von Paris neben Emissionsminderung und Anpassung an den Klimawandel als dritte Säule notwendiger Klimaaktionen anerkannt. Es wird unter dem Warschauer Internationalen Mechanismus für Verluste und Schäden (Warsaw International Mechanism for Loss and Damage, WIM) verhandelt, der Teil des Übereinkommens von Paris ist.

In Bonn wurde für den WIM ein fortlaufender Fünf-Jahres-Arbeitsplan beschlossen, der einen intensiveren Wissensaustausch anstrebt, jedoch die Frage der Finanzierung eines eventuellen Versicherungsschutzes gegen Klimaschäden unbeantwortet lässt. Während die Klimakonferenz die Bedeutung von Verlusten und Schäden hervorhob, blieben erhoffte Konkretisierungen aus, sodass es auch weiterhin jedem einzelnen Staat überlassen bleiben wird, inwiefern er sich für die Verhinderung von und den Umgang mit Verlusten und Schäden einsetzt. Im Mai 2018 wird eine Arbeitsgruppe Empfehlungen für die Begrenzung von Fluchtursachen, die in Zusammenhang mit den negativen Folgen des Klimawandels steht, erarbeiten. Darüber hinaus wird sich ein Expertendialog mit der Frage nach Unterstützung im Umgang mit Verlusten und Schäden beschäftigen. Dieser Dialog wird auch das Thema Finanzierung behandeln.

Finanzierung

Wie ambitionierter Klimaschutz weltweit finanziert werden kann ist eine seit Jahren umkämpfte Frage – und ist in Bonn mit unvermuteter Härte wieder aufgebrochen. Nicht zuletzt ist dabei die Frage entscheidend, was eigentlich als Klimafinanzierung gilt und wie sowohl über die Höhe der von Industrieländern bereitgestellten Ressourcen als auch über deren Verwendung in Entwicklungsländern berichtet werden wird. Hierzu sind erwartungsgemäß keine Entscheidungen getroffen worden.

COP 23 Fidschi Bonn LOGOOffizielle Website der Konferenz: https://www.cop23.de/Eine wichtige Entscheidung zur zukünftigen internationalen Klimafinanzierungsarchitektur ist allerdings in Bonn gefallen. Der Adaptation Fund, der ursprünglich unter dem Kyoto-Protokoll eingerichtet worden ist, wird in Zukunft auch unter das Dach des Paris Klimaabkommens genommen. Der Streit darüber konnte erst in den letzten Nachtstunden der Konferenz beigelegt werden. Damit ist das Fortbestehen dieses wichtigen Fonds auch in Zukunft gesichert. Noch unklar ist allerdings, aus welchen Quellen sich der Fonds zukünftig speisen wird. Da die Erträge aus dem Clean Development Mechanism (CDM) kaum noch fließen, ist der Adaptation Fund seit Jahren auf freiwillige Einzahlungen von Industrieländern angewiesen.

In diesem Jahr hatte Deutschland bereits am ersten Tag der Konferenz je 50 Millionen Euro für den Adaptation Fund und für den Least Developed Countries Fund zugesagt, Schweden folgte mit je weiteren circa 19 Millionen für die beiden Finanzierungsmechanismen, und Belgien sagte weitere 10,25 Millionen für den Least Developed Countries Fund zu.


4. Unter Dampf: Verstärkung der Klimaschutz-Anstrengungen

Klimaschutz vor 2020

Das Verhandlungsmandat der Klimakonferenz in Durban 2011 hatte zwei Verhandlungsstränge vorgesehen: Erstens die Aushandlung eines umfassenden Abkommens für die Zeit ab 2020, das mit der Verabschiedung des Pariser Abkommens 2015 seinen Abschluss gefunden hat. Zweitens sollte auch eine Steigerung der Anstrengungen vor allem der Industriestaaten für die Zeit bis 2020 erreicht werden. Dieser Verhandlungsprozess hat jedoch bisher keine greifbaren Ergebnisse geliefert. Zwar wurde im Rahmen eines Technical Examination Process eine Reihe von Technical Expert Meetings abgehalten, die für mehrere Sektoren Minderungspotenziale und Politikoptionen untersucht haben. Dieser Prozess hat wertvolle analytische Ergebnisse geliefert, allerdings wurden konkrete Verstärkungen der Anstrengungen von Seiten der Staaten nicht sichtbar.

In Bonn stand das Thema unerwartet wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Anlass war das bisherige Nicht-Inkrafttreten des wichtigsten Bausteins der Anstrengungen vor 2020 – nämlich der zweiten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls, die den Zeitraum von 2013 bis 2020 abdeckt. Insbesondere die EU stand hier im Kreuzfeuer der Kritik, da es ihr aufgrund des polnischen Widerstands bisher nicht einmal möglich war, die zweite Verpflichtungsperiode zu ratifizieren. Zudem vermissten die Entwicklungsländer sichtbare Fortschritte in der Umsetzung der Zusage der Industrieländer, ihre finanzielle Unterstützung bis 2020 auf mindestens 100 Milliarden US-Dollar jährlich anwachsen zu lassen. Die Entwicklungsländer forderten daher, dass der „Klimaschutz vor 2020“ einen eigenen Tagesordnungspunkt haben sollte, was die Industrieländer zunächst ablehnten.

Letztendlich lenkten die Industrieländer jedoch ein und einigten sich mit den Entwicklungsländern darauf, 2018 und 2019 zwei zusätzliche Dialogprozesse (facilitative dialogues) zu globalen Emissionsminderungen und Unterstützungsleistungen durchzuführen. Zudem sollen die Staaten bis zum 1. Mai 2018 Informationen vorlegen, welche Fortschritte sie in der Steigerung ihrer Anstrengungen machen. Das UN-Klimasekretariat soll einen Synthesebericht aus diesen Informationen erstellen. Zudem werden die Vertragsstaaten des Kyoto-Protokolls aufgefordert, die zweite Verpflichtungsperiode zu ratifizieren. Nach zähen Verhandlungen hat Polen nun zugesagt, bis Ende dieses Jahres zu ratifizieren, sodass auch die EU beitreten kann.

Bestandsaufnahme und Verstärkung der Anstrengungen

Auf der Bonner Klimakonferenz sollte zudem die erste Bestandsaufnahme der globalen Anstrengungen vorbereitet werden, die durch die COP24 in Katowice durchgeführt werden soll. Nach der Bestandsaufnahme sollen die Staaten bis 2020 neue und verstärkte Beiträge ankündigen. Bislang war allerdings noch nicht geklärt, wie diese Bestandsaufnahme konkret durchgeführt werden sollte. Da das Pariser Abkommen erst ab 2020 greift, wird diese Bestandsaufnahme getrennt vom Global Stocktake verhandelt. Effektiv wird die Ausgestaltung des Prozesses in 2018 aber Präzedenzwirkung für die Ausgestaltung der Global Stocktakes haben, der ab 2023 alle fünf Jahre durchgeführt werden wird.

In Bezug auf die erste Bestandsaufnahme wurde in Bonn eine erfreuliche Einigung erzielt. Der sogenannte Talanoa-Dialog – benannt nach einem fidschianischen Begriff für einen transparenten und partizipativen Dialog – soll im Januar 2018 starten und um drei Fragen herum strukturiert werden: Wo sind wir? Wo wollen wir hin? Und wie kommen wir dahin? Zunächst werden in einer „technischen Phase“ bis Ende des Jahres in mehreren Sitzungen Informationen zu diesen drei Fragen zusammengeführt. Ein wesentlicher Punkt hierbei ist, dass nicht nur die Staaten, sondern auch sub-nationale und nicht-staatliche Akteurinnen und Akteure die Möglichkeit haben werden, Informationen in diesen Prozess einzuspeisen. Ein weiterer wesentlicher Beitrag wird der Sonderbericht des IPCC zum 1,5-Grad-Ziel sein, der im September 2018 erscheinen soll. Abschließend sollen die Vertragsstaaten in der „politischen Phase“ auf der COP24 auf Ministerebene Schlussfolgerungen ziehen. Fidschi und Polen werden dem Dialog gemeinsam vorsitzen. Hierdurch sollen Bedenken gegenüber einem mangelnden Engagement der polnischen Regierung entschärft werden.


5. Gut am Wind: Vorreiterstaaten sowie nicht-staatliche und sub-nationale Akteure

Mit einem Paukenschlag wurde in Bonn außerhalb der formalen diplomatischen Verhandlungen die Gründung einer Allianz für den Kohleausstieg verkündet: Angeführt von Großbritannien und Kanada bildeten rund 20 Staaten (sowie Bundesstaaten aus Kanada und den USA) die „Powering Past Coal Alliance“. Die Mitglieder der Allianz erklärten, aus der Kohlenutzung aussteigen zu wollen und deren Finanzierung einzuschränken. Aus der EU sind 15 Mitgliedstaaten Teil der Allianz, darunter neben Großbritannien auch Frankreich, Portugal, Dänemark, die Niederlande und Italien. Deutschland ist als einziges der „großen“ EU-Mitglieder bisher außen vor. Bis zur nächsten COP will die Allianz auf 50 Mitglieder anwachsen.

Die Bildung von Pionier-Allianzen ist ein wesentliches Instrument, um die vom Konsensprinzip geprägten globalen Verhandlungen voran zu bringen.4 Andere „Klima-Clubs“ sollten folgen, zum Bespiel zur Förderung der erneuerbaren Energien, zur Anpassung an den Klimawandel oder zur Klimafinanzierung. Denn Pionier-Allianzen, in denen sich Staaten – und sub-nationale Akteure – zusammenfinden, bringen neue Ideen voran, die gegen den Widerstand von Bremsern sonst keine Chance hätten. Wertvoll ist insbesondere eine sektor-spezifische Perspektive, die die Herausforderung der Transformation ganzer Volkswirtschaften auf die konkreten Gegebenheiten in einzelnen Sektoren herunterbricht.5 Die Powering Past Coal Alliance ist ein loses Bündnis ohne völkerrechtliche Grundlage. Für andere Allianzen, wie z. B. eine echte Dekarbonisierungs-Allianz, könnte sich jedoch das Bedürfnis nach einer festeren rechtlichen Grundierung stellen.

Beeindruckend war insgesamt das zivilgesellschaftliche „Rahmenprogramm“ der diplomatischen Verhandlungen. Sehr positiv war insbesondere das starke Auftreten des „anderen“ Amerika in Bonn. Die „We are still in“-Koalition von US-Bundesstaaten, Städten, Unternehmen und anderen Akteure, die den Zielen des Übereinkommens von Paris treu bleiben wollen, hat in Bonn eine große Präsenz entfaltet. Es war sehr deutlich, dass sich zwar der neue US-Präsident vom Übereinkommen von Paris abgewendet hat, mindestens die Hälfte des Landes jedoch nicht. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese sub-nationale Pro-Paris-Koalition in den USA den Abbau der nationalen Klimapolitik durch die Trump-Administration auch real kompensieren kann.

Die in Paris vereinbarte Global Climate Action Agenda (GCA) bildet die Plattform für die große Vielzahl an Initiativen, Allianzen und konkreten Maßnahmen. Höhepunkt auf der COP23 war die Veröffentlichung des ersten „Yearbook on Global Climate Action“. Besonders hervorzuheben ist, dass es ein Mandat gibt, diese nicht-staatlichen Aktivitäten stärker mit den technischen Überprüfungen (technical examination processes) im Rahmen der diplomatischen Verhandlungen zu verknüpfen. Anfang 2018 soll es ein Treffen geben, bei dem weitere Themen und die Einbindung von sub-nationalen Akteuren erörtert werden soll.


6. Verortungen: Klimaschutz in breiterem Kontext

Bemerkenswert war, dass der Klimaschutz zunehmend in breiterem Kontext gesehen wird. Eine Vielzahl von Side-Events diskutierte die Zusammenhänge von Klimaschutz mit Gender, Menschenrechten, eine fairen Behandlung der Beschäftigen, die von der wirtschaftlichen Umstrukturierung betroffen sind (just transition), sowie den UN-Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDGs). Nachdem in der Präambel des Pariser Abkommens zum ersten Mal in einem Klimavertrag ein starker Bezug zu diesen Themen hergestellt werden konnte, laufen nun intensive Diskussionen, wie diese Bezüge konkretisiert werden können.

Einen Erfolg hierzu gab es auch in den diplomatischen Verhandlungen: Die Konferenz verabschiedete einen Gender-Aktionsplan. Dieser Plan sieht ein Arbeitsprogramm für die kommenden zwei Jahre vor – unter anderem Workshops zu der Frage, wie gender-kompetente Klimapolitiken entwickelt werden können.


7. Mehr Wind vor Katowice?

Bonn hat das Pflichtprogramm erfüllt, um eine Einigung über das Regelwerk in Katowice möglich zu machen, allerdings wird im gesamten nächsten Jahr noch viel diplomatische Arbeit erforderlich sein. Und auch dies ist eigentlich nur der Vorläufer für die eigentliche Arbeit: die schnellstmögliche drastische Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen. Um die Einhaltung der Temperaturgrenzen des Pariser Abkommens im Bereich des Möglichen zu halten, müssen die allermeisten Staaten ihre Klimaschutz-Beiträge massiv verschärfen und dann auch umsetzen. Wie die gerade erst gescheiterten Sondierungsgespräche für eine neue deutsche Bundesregierung exemplarisch illustriert haben, gibt es aber in zahlreichen Staaten massive Widerstände, die notwendige Umstrukturierung der Volkswirtschaften einzuleiten und umzusetzen.

Internationale Politik kann nur selten Entscheidungen treffen, die nicht vorher national vorbereitet wurden. Sie kann aber die Rolle eines Schrittmachers für die nationalen Diskussionen spielen, indem sie das Thema immer wieder auf die politische Tagesordnung setzt und die nationale Politik zwingt, Rechenschaft für ihr Handeln abzulegen. Der im Pariser Abkommen angelegte fünfjährliche Zyklus von Bestandsaufnahme und nachfolgender Neuvorlage der nationalen Beiträge soll genau diese Funktion erfüllen.

Im nächsten Jahr erfolgt mit dem Talanoa-Dialog die erste dieser Bestandsaufnahmen. Der volle Kalender der Klimadiplomatie sollte dazu beitragen, den Klimaschutz in den Nachrichten und hoch auf der politischen Agenda zu halten. Bereits im Dezember 2017 ist Frankreich Gastgeber des „One Climate Summit“, einer Konferenz zur Klimafinanzierung, zu der der französische Präsident Macron einlädt. 2018 folgen dann die Veranstaltungsreihe des Talanoa-Dialogs, die Zwischenverhandlungen der UNFCCC in Bonn im Mai, potenziell eine weitere Verhandlungsrunde im Spätsommer sowie Ende 2018 die COP24 in Katowice. Im September 2018 erscheint zudem der Sonderbericht des IPCC zum 1,5-Grad-Ziel und der „Global Climate Action Summit“ findet statt, zu dem der kalifornische Gouverneur Jerry Brown einlädt, um die Dynamik sub-nationaler und nicht-staatlicher Akteure weiter zu forcieren. 2019 wird ein Klimagipfel auf Ebene der Staats- und Regierungschefs folgen, zu dem UN-Generalsekretär António Guterres nach New York einlädt.

Prozess ist im Moment der wichtigste Faktor bei der Durchsetzung klimapolitischer Notwendigkeiten. Es bleibt zu hoffen, dass diese Dauerbehandlung des Themas in den kommenden Jahren dazu beitragen wird, bis zum Stichtag in 2020 die dringend notwendige Verschärfung der nationalen Beiträge zu erreichen. In Bonn konnte man das Aufbrechen alter Interessengegensätze beobachten, die in und kurz nach Paris für eine Weile überdeckt gewesen waren. Für einen Erfolg in Katowice nächstes Jahr wird entscheidend sein, dass alle Staaten die zentrale Botschaft des Pariser Klimaabkommens wieder für sich entdecken und angesichts der kommenden Stürme auf einem begrenzten Planeten alle in einem Boot sitzen.

Der Bericht wurde verfasst von Wolfgang Obergassel, Christof Arens, Lukas Hermwille, Nicolas Kreibich, Florian Mersmann, Hermann E. Ott und Hanna Wang-Helmreich

Zur Erstveröffentlichung siehe: https://wupperinst.org/fa/redaktion/downloads/publications/COP23_First_Assessment_de.pdf

 

1Für eine Analyse der US-Situation siehe Hermann E. Ott, Lukas Hermwille, Wolfgang Obergassel (2017): Klimapolitik trotz(t) Trump. Globaler Klimaschutz nach dem Rückzug der USA. Wuppertal: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. https://epub.wupperinst.org/frontdoor/index/index/docId/6788
2Für eine detaillierte Analyse des Pariser Abkommens siehe Wolfgang Obergassel, Christof Arens, Lukas Hermwille, Nico Kreibich, Florian Mersmann, Hermann E. Ott und Hanna Wang-Helmreich (2016): Phoenix from the ashes: an analysis of the Paris Agreement to the United Nations Framework Convention on Climate Change. Part I: Environmental Law & Management, Vol. 27 (2015), No. 6, pp. 243-262. Part II: Environmental Law & Management, Vol. 28 (2016), No. 1, pp. 3-12.
3Vgl. Obergassel, Wolfgang (2017): Shaping the Paris Mechanisms Part III - An Update on Submissions on Article 6 of the Paris Agreement. Wuppertal: Wuppertal Institute for Climate, Environment and Energy. http://www.carbon-mechanisms.de/en/2017/submissions-iii/
4Hermann E. Ott: Internationale Klimaclubs: Endlich auf die Überholspur; in: Politische Ökologie 139 (2014), S. 90-95.
5Sebastian Oberthür, Lukas Hermwille, Gauri Khandekar, Wolfgang Obergassel (2017): Strengthening International Climate Governance: The Case for a Sectoral Approach. Brussels: Free University Brussels. https://www.cop21ripples.eu/resources/pb-strengthening-international-climate-governance-the-case-for-a-sectoral-approach/

 

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