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Christian Koenig / Ludger Kühnhardt (Hrsg.): Governance and Regulation in the European Union. A Reader

04.01.2018
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Autorenprofil
Dr. Max Lüggert
Baden-Baden, Nomos Verlag 2017

Die Europäische Union bildet für viele politische Diskussionen einen Angelpunkt, wobei sie derzeit oft mit allgemeinen Fragen nach der Identität oder der Souveränität verknüpft wird. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die EU das Leben der Bürgerinnen und Bürger durch ein breites Bündel an Regulierungen beeinflusst. Das Zentrum für Europäische Integrationsforschung an der Universität Bonn erforscht das regulatorische Wirken der EU schon seit Längerem und bietet in diesem Zusammenhang auch einen postgradualen Studiengang an. Unter der Herausgeberschaft von Christian Koenig und Ludger Kühnhardt ist nun ein Lesebuch mit den Forschungsergebnissen erschienen.

Zu Beginn zeigt Kühnhardt die Bedeutung Deutschlands in der EU auf. Er weist auf die prinzipielle Unverzichtbarkeit hin, die die EU für Deutschland hat; im Gegenzug schildert er aber auch, dass sich gerade in jüngerer Zeit, in der Phase der „Berliner Republik“, Deutschland und die EU ein Stück weit entfremdet haben, was anhand einiger deutscher Alleingänge deutlich wird.

Außerdem kritisiert er, dass in den gerade zurückliegenden Krisen viele Probleme eher intergouvernemental und technokratisch gelöst wurden. Dieses Vorgehen könne zu Legitimitätsproblemen, vielleicht sogar zu einer erneuten Diskussion über eine europäische Verfassung führen. An diese programmatische Einleitung schließt sich eine Vielzahl an sachbezogenen Artikeln an, von denen an dieser Stelle nur eine Auswahl präsentiert werden kann.

Volker Nitsch und Harald Badinger untersuchen die Zusammensetzung des Personals der Europäischen Zentralbank (EZB) nach Nationalitäten und fragen, ob daraus mögliche Effekte auf die Geldpolitik der EZB abgeleitet werden können. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass im obersten Entscheidungsgremium – dem Zentralbankrat – die Nationalität der Mitglieder keinen deutlich spürbaren Einfluss hat. Bei der Betrachtung der übrigen Mitarbeiter der EZB, wie beispielsweise der Abteilungsleiter, lassen sich durchaus national geprägte Unterschiede erkennen, die einen gewissen Einfluss auf die Ausbildung der Geldpolitik der Zentralbank haben.

Auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, mit dem sich Stefan Fröhlich befasst, steht die EU genau wie ihre Mitgliedstaaten vor besonderen Herausforderungen. Fröhlich bemerkt einleitend, dass sich in den vergangenen Jahren im transatlantischen Verhältnis zwischen der EU und den Vereinigten Staaten zwar einige Probleme ergeben haben. Aber dennoch sind beide Seiten weiterhin aufeinander angewiesen und müssen zusammenarbeiten. Denn sowohl Russland als auch China haben sich im Hinblick auf die Gestaltung der internationalen Ordnung in den zurückliegenden Jahren zu ernstzunehmenden Konkurrenten entwickelt. Genau diese Entwicklung kann jedoch für die EU zu einem Problem werden, da in den Beziehungen zu Russland und zu China mehrere Elemente der Spannung vorhanden sind und sich derzeit nicht absehen lässt, ob es der Union gelingen kann, eine eigene einheitliche Position zu entwickeln. Fröhlich weist jedoch ebenfalls darauf hin, welche vielfältigen Möglichkeiten die EU weiterhin hat, um ihren internationalen Einfluss beizubehalten und auszubauen.

Richard Crowe beleuchtet einen eher strukturellen Aspekt, indem er darauf hinweist, dass der Europäische Rat in den zurückliegenden Jahren zu einem wichtigen Entscheidungszentrum der EU geworden ist – eine Entwicklung, die Crowe für zweischneidig hält: Einerseits bringt dieses Gremium oftmals auch weitreichende Entscheidungen relativ zügig auf den Weg. Andererseits darf der Europäische Rat selbst nicht legislativ tätig werden, sondern nur allgemeine Impulse für die Entwicklung der EU setzen. Diese Bestimmung steht im Widerspruch zu der Praxis, dass die Schlusserklärungen der Ratsgipfel mit der Zeit immer länger und detaillierter geworden sind. Für besonders problematisch hält der Autor, dass der Europäische Rat grundsätzlich geheim tagt, wodurch Rechenschaft und Transparenz auf der Strecke bleiben.

Schließlich sei noch auf den Beitrag von Kristina Schreiber eingegangen, die sich einem ganz konkreten Beispiel für Regulierung widmet, nämlich den europäischen Regeln im Eisenbahnsektor. Sie schildert, wie die EU auch in diesem Bereich ihr Projekt zur Marktliberalisierung vorantreiben möchte. Dabei bedient sie sich der Instrumente, die sie auch bei der Liberalisierung in anderen Sektoren einsetzt: die Entbündelung von Eigentum an Infrastruktur und Betrieb beziehungsweise die Nutzung derselben sowie die Sicherung von Zugangsrechten bei angemessenen Nutzungsgebühren. Schreiber kommt zu dem Schluss, dass die Liberalisierung des Eisenbahnsektors noch unvollständig ist, was allerdings auch den speziellen Eigenschaften dieses Sektors geschuldet ist.

Schon die hier vorgestellte Auswahl verdeutlicht, dass der Sammelband ein besonders breites thematisches Spektrum abdeckt. Angesichts des vielseitigen Einflusses der EU auf Politik und Regulierung ist diese thematische Breite durchaus angemessen. Sie geht teilweise auf Kosten der Kohärenz, denn die Beiträge stehen mehr oder weniger allein für sich und sind, außer durch eine grobe Unterteilung in thematische Cluster, nicht miteinander verbunden. Für ein Lesebuch ist dies jedoch auch nicht unbedingt notwendig.

Jedenfalls richtet sich die Publikation eher an Personen aus dem akademischen Bereich als an ein breites Publikum. Für Lehrende und Studierende ist der Sammelband jedoch eine empfehlenswerte Quelle, die als Ausgangspunkt für weitere Recherchen dienen kann.

 

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Aus der Annotierten Bibliografie

Ludger Kühnhardt

Europa: Innere Verfassung und Wende zur Welt. Standortbestimmung der Europäischen Union

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2010 (Schriften des Zentrum für Europäische Integrationsforschung 72); 356 S.; 59,- €; ISBN 978-3-8329-5497-0
Mit dem Ziel einer Standortbestimmung der Europäischen Union versammelt Kühnhardt in diesem Band eigene Aufsätze aus den Jahren 2005 bis 2010, die, wenngleich auf die großen Entwicklungslinien der EU zielend, dennoch eine klare Richtung für die weitere Entwicklung der EU anzeigen sollen. In der Ratifizierungskrise des Lissabon‑Vertrags z. B. sieht Kühnhardt eine Vertrauenskrise, damit aber auch eine Chance zur Stärkung der Bürgerbeteiligung. Gleichzeitig hält er dieses Krisenmoment für den...weiterlesen


Ludger Kühnhardt

European Union - The Second Founding. The Changing Rationale of European Integration

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2008 (Schriften des Zentrum für Europäische Integrationsforschung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 67); 670 S.; geb., 129,- €; ISBN 978-3-8329-3502-3
Mit einer prägnanten These leitet Kühnhardt, Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung, seine voluminöse Studie ein: Die EU befinde sich seit Anfang des 21. Jahrhunderts nicht nur in der Phase der „zweiten Gründung“ (16 f.), sie habe auch ihr zentrales Begründungsprinzip verändert. Während traditionell der Ausgleich der Interessen des (west-)europäischen Staatensystems im Vordergrund gestanden habe, sei die EU nunmehr ein Projekt zur Behauptung europäischer Anliegen...weiterlesen


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Die Krise der Europäischen Union

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