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Partizipation wird erstritten. Die Einbindung zivilgesellschaftlicher Gruppen beim G20-Gipfel in Hamburg

09.06.2017
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Professor Dr. h. c. Christa Randzio-Plath


Auf Weg zum CIVIL20, zur Hafencity Universität. Foto: NordNordWest [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia CommonsAuf dem Weg zum Civil20, zur Hafencity Universität. Foto: NordNordWest [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

 

Globalisierung ist menschengemacht und braucht politische Gestaltung. Dazu sind die Staaten der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) bei ihrem Hamburg-Gipfel aufgefordert. Als Orientierung dient die im September 2015 von den Vereinten Nationen beschlossene Nachhaltigkeitsagenda 2030, die angesichts einer stark durch Kriege, Gewalt, Terror und Ungleichheit sowie Geschlechterungerechtigkeit gekennzeichneten Welt ein nicht selbstverständlicher Glücksmoment internationaler Verständigung war. Denn sie enthält Grundsätze, die an den Interessen der Menschen und der Umwelt ausgerichtet sind und die den Globalisierungsprozess gerechter und inklusiver machen sollen. Dazu zählen auch Offenheit, Solidarität und eine Antwort auf die Frage, wie gehandelt werden kann, ohne auf Kosten anderer zu leben. Gro Harlem Brundtland, die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin, formulierte bereits 1987 für die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (die sogenannte Brundtland-Kommission) das folgende Leitprinzip menschlichen Lebens: Nachhaltig ist eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen. [...] Die Menschheit ist einer nachhaltigen Entwicklung fähig – sie kann gewährleisten, dass die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen.“1

Die Agenda 2030 öffnet mit ihren 17 Zielen für eine weltweite wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit den Weg zu einer grundsätzlichen Transformation des Wirtschaftssystems und seiner Wachstumsfokussierung. Zu Recht betonte China als G20-Präsidentschaft die Bedeutung der Agenda 2030 auch für die G20. Diese Gruppe ist aber weder eine Weltregierung noch kann sie von ihrer Legitimation her die Vereinten Nationen (UN) ersetzen. Angesichts ihrer Macht, Größe und Kapazitäten kann sie jedoch sehr zu einem Gelingen der Umsetzung dieser Nachhaltigkeitsagenda beitragen.

Anders als bei den Millenniumszielen setzten die UN bei den Verhandlungen für die Agenda 2030 auf die globale Partizipation aller Akteure, die Gruppen waren offen für zivilgesellschaftliche Beteiligung. So gelang es insbesondere mithilfe von europäischen und Ländern des globalen Südens, das Prinzip der Unteilbarkeit der 17 Ziele durchzusetzen. Niemand darf zurückgelassen werden, lautet die Mission. Die Agenda 2030 ist damit beispielhaft für internationales zivilgesellschaftliches Engagement, es beteiligen sich nun erstmals Millionen Einzelpersonen und Tausende von zivilgesellschaftlichen Organisationen, um den Regierenden dieser Welt ihr Engagement für eine gerechtere und solidarischere Welt deutlich zu machen und die Agenda nachdrücklich mitzugestalten.


Die Gruppe der Zwanzig

Die Umsetzung der Agenda 2030 wird ein wichtiges Thema auf dem G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg sein und dabei im Kontext mit aktuellen Herausforderungen durch Terror und Bürgerkriege, aber auch globalisierte Finanzmärkte und Epidemien stehen.

Der informelle Zusammenschluss der Finanzminister*innen aus 19 Staaten plus der Europäischen Union in der G20 im Jahr 1999 sollte ursprünglich als Forum für die Kooperation und Konsultation in Fragen des internationalen Finanzsystems dienen. Auslöser war die Finanzkrise in Asien. Anlässlich der Finanzmarktkrise 2008 trafen sich auf Vorschlag von US-Präsident Barack Obama dann die Staats- und Regierungschefs der G20: Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei, die USA und die Europäische Union. An den G20-Gipfeln nehmen regelmäßig auch Vertreter*innen der folgenden internationalen Organisationen teil: Internationaler Währungsfonds (IMF), Weltbank (WB), Finanzstabilitätsrat (FSB), Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Welthandelsorganisation (WTO), Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Vereinten Nationen (UN). Darüber hinaus können auf Einladung der jeweiligen jährlichen Präsidentschaft weitere Staaten, Regionalorganisationen und internationale Organisationen hinzukommen. Die G20 repräsentiert zwei Drittel der Weltbevölkerung, 80 Prozent des Weltsozialprodukts und 70 Prozent des Welthandels.

Die Treffen der Gruppe sind informell, basieren auf keinerlei Konventionen oder anderen völkerrechtlich wirksamen Rechtsinstrumenten, aber dennoch markieren die Schlusserklärungen Weichenstellungen zu Fragen der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftsordnung, der Beschäftigung, der nachhaltigen Entwicklung und des Klimas. Inzwischen rotiert die Präsidentschaft, am 30. November 2016 übernahm Deutschland sie für ein Jahr.

Obwohl die übergroße Mehrheit der an der G20 teilnehmenden Staaten Demokratien sind, haben heftige Diskussionen über die demokratische Legitimation das Forum stets begleitet. Es sind Befürchtungen laut geworden, dass sich die G20 an die Stelle der Vereinten Nationen setzen würde. So hat es von Anfang an Proteste und zivilgesellschaftliche Interventionen gegeben. Bereits im G7/G8-Prozess stellte sich zunehmend die Frage nach der Legitimation dieser Treffen der Staats- und Regierungschefs: Zunächst ging es um persönliche Treffen der Mächtigen. Aber daraus sind Gespräche mit Vereinbarungscharakter geworden. Da diese Form von Club Governance keine Rechtsgrundlage hat, aber Rechtswirkungen zeitigt, kommt es immer wieder zu Kritik und Protesten, die vor allem von internationalen zivilgesellschaftlichen Gruppen organisiert werden.

Die G20-Staaten haben aus Sicht der Kritiker*innen und Gegner*innen ihrer Zusammenkünfte ernste Legitimationsprobleme, die in den Aktionen der internationalen und nationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen ihren Ausdruck finden. Der Protest gegen Krieg und Gewalt, gegen die negativen ökonomischen Folgen der Globalisierung und gegen Ungleichheit, gegen Verletzungen der Menschenrechte und des Rechtsstaates oder gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit eint zivilgesellschaftliche Netzwerke weltweit. Schließlich trägt die G20 Verantwortung, so der Vorwurf, der sie sich nicht stellt.


Die Beteiligung der Zivilgesellschaft

Die Partizipation der Zivilgesellschaft war bei der Gründung der G20 nicht vorgesehen. Forderungskataloge und Proteste, teilweise geprägt durch Gewaltausübungen, begleiteten daher die G20-Gipfel seit 2009 – vor allem große international vernetzte Nichtregierungsorganisationen wollten mit den „Mächtigen“ ins Gespräch kommen. Diese Demonstrationen waren zwar medienwirksam, führten lange aber nicht zu greifbaren Resultaten.Civil20 Empfehlungen an die G20. Foto: C20-SekretariatEmpfehlungen der Zivilgesellschaft an die G20.
Foto: C20-Sekretariat
Trotz ihrer grundsätzlichen Kritik fordert also ein Teil der organisierten internationalen Zivilgesellschaft eine Beteiligung ein. Anfangs haben sich ausgewählte nationale Regierungen um einen wirklichen Dialog bemüht, zum Beispiel über die Kontrolle der Finanzmärkte. Insbesondere Kanada, Großbritannien und Frankreich boten informelle Gespräche mit Vertretungen der eigenen nationalen Zivilgesellschaft an, um deren Stimme zu hören. Die zivilgesellschaftlichen Gruppen – national oder international – sind dabei zwar außerordentlich heterogen. Einig sind sie sich jedoch in ihrem Engagement für eine Globalisierung, die allen und nicht nur den Reichsten nützt, den Wohlstand für alle ermöglicht, ein Ende der Ungleichheit herbeiführt und die Grenzen der Natur respektiert. Eine andere Globalisierung ist ihrer Ansicht nach nicht nur möglich, sondern nötig: Diese Überzeugung gilt es zu verwirklichen, nicht durch nationale Abschottung, sondern in globaler solidarischer Partnerschaft sollen die Krisen unserer Zeit angegangen werden.

Gleichzeitig sind aber auch Gespräche nationaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organisation, NGO) mit der jeweiligen Präsidentschaft etabliert worden. Auf internationaler Ebene hat sich so eine begleitende zivilgesellschaftliche Vernetzungsarbeit zu den G20-Gipfeln herausgebildet, um die gesellschaftlichen Debatten über die aktuellen Themen der Treffen zu organisieren, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen und politische Alternativen zu entwickeln. So fand 2009 „The People’s Summit“ in den USA mit 700 Teilnehmer*innen statt, das Motto lautete „Eine andere Welt ist möglich“.

Die weltweite Kritik an der Gründung von G20, die Vorwürfe und Proteste gegen das Konzert der Mächtigen ohne internationale Legitimation, Transparenz, demokratische Partizipation und die Pflicht zur Rechenschaft haben zur Einrichtung von festen G20-Engagement-Groups geführt. Sie ermöglichen Dialoge mit Interessengruppen wie den Gewerkschaften, den Jugend- und Frauenverbänden, mit der Wissenschaft, Unternehmen, Thinktanks oder Nichtregierungsorganisationen. Die Interessengruppen organisieren sich auf der Ebene der G20-Staaten und gestalten einen internationalen Meinungsbildungsprozess – im Wege eines elektronischen Austausches oder durch Treffen – teilweise regional, teilweise auch mit Vertreter*innen der Interessengruppen aus allen G20-Staaten. Gespräche über die gemeinsamen Positionen werden teilweise mit der jeweiligen G20-Präsidentschaft, oftmals aber auch mit den jeweiligen nationalen Regierungen geführt. Häufige Ansprechpartner*innen sind die Sherpas, die als Berater*innen/Mitarbeiter*innen der jeweiligen G20-Staats- und Regierungschefs die Gipfeltreffen vorbereiten. Inputs gibt es aber auch für Fachministertreffen wie insbesondere die der Finanzminister*innen, die beispielsweise im März 2017 in Baden-Baden zusammengekommen sind.

Der G20-Gipfel in Südkorea 2010 brachte die erste offizielle Anerkennung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft. 100 Teilnehmer*innen von 70 NGOs aus 40 Ländern nahmen an einer Konferenz teil, deren Ergebnisse den Sherpas der Staats- und Regierungschefs zugeleitet wurden. Damals rieten diese den Staats- und Regierungschefs zu einem Dialog mit der G20-Zivilgesellschaft. Allerdings kam es bei den folgenden G20-Gipfeln zwar zu Gesprächen mit der jeweiligen Präsidentschaft – wie etwa in Frankreich. Aber erst in Los Cabos (Mexiko) wurde der Dialog formalisiert. In Moskau 2012 gab es dann einen Civil20-Input, obwohl angesichts der dramatischen Lage der russischen NGOs viele von ihnen ihre Teilnahme absagten. Beim Civil20 (C20) handelt es sich um einen Zusammenschluss nationaler und internationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich seit 2009 jährlich formieren, um die Arbeit der G20 inhaltlich reflektierend zu begleiten und der internationalen Zivilgesellschaft zu global relevanten Themen eine gemeinsame Stimme zu verleihen. Seit 2012/13 ist Civil20 offiziell als Beteiligungsgruppe (Engagement-Group) der G20 anerkannt. Im Vorfeld des G20-Gipfels findet jeweils ein Civil20-Gipfel statt, bei dem Organisationen der internationalen Zivilgesellschaft – nicht nur die der G20-Länder – ihre gemeinsamen Positionen präsentieren.

„C20 Civil Society Vision“ – unter dem Titel stand die Präsidentschaft Russlands 2013, das seinen Nichtregierungsorganisationen im eigenen Land kaum noch einen Handlungsspielraum einräumt. Ironischerweise ging es Russland offiziell darum, „die Rolle der Zivilgesellschaft in der internationalen Politik“ zu stärken. Aber erst die australische Präsidentschaft 2014 förderte den Dialog mit der Zivilgesellschaft proaktiv. In China und in der Türkei gab es lediglich den formalisierten Civil20-Dialog, aber aufgrund politischer Restriktionen und Repressionen keine gewohnten Aktionen und Kundgebungen der internationalen Zivilgesellschaft.

In den Erklärungen der internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen wurde damals anlässlich dieser G20-Gipfel eine Abkehr vom herkömmlichen neoliberalen Wirtschaftsmodell beschworen, eine zunehmende Ungleichheit thematisiert und die Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit im Erwerbsleben erhoben. Die Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Beteiligung in der Vorbereitung von G20-Gipfeln ist allerdings auch, wie sich gezeigt hat, vom Engagement der jeweiligen Präsidentschaft abhängig – jedenfalls bleiben die zivilgesellschaftlichen Akteure unabhängig. Das Format der internationalen Beteiligung und die Beratungsrunden sowie der abschließende Civil20-Gipfel werden finanziert, allerdings müssen die NGOs – von Ausnahmen abgesehen – ihre Reisekosten selbst finanzieren.


G20 und NGOs – kein einfacher Dialog

Unter Zivilgesellschaft verstehen die internationalen NGOs die Organisationen, die im Interesse des Gemeinwohls unter unterschiedlichen inhaltlichen Blickwinkeln die Regierenden und die G20-Prozesse beobachten (Watchdog-Funktion), ihre Vorstellungen bündeln und den Regierenden zur Berücksichtigung in ihre Meinungsbildungsprozesse einspeisen und schließlich die Ergebnisse evaluieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Definition der Regierenden ist eine andere: Sie verstehen unter dem zivilgesellschaftlichen Dialog den mit allen Non-State-Actors. Dazu zählen alle unterschiedlichen Engagement-Groups.

Die Herstellung von Transparenz und Rechenschaftspflichtigkeit stellt eine Herausforderung dar. Schließlich können und müssen die G20 wegen ihrer Wirtschaftsmacht und politischen Bedeutung für alles verantwortlich gemacht werden, was weltweit entschieden wird. Deswegen wurde die Tagesordnung der G20 nach der anfänglichen Konzentration auf Wirtschaft und Finanzen breiter aufgestellt, seit dem G20-Gipfel in Seoul zählen auch die Fragen der Entwicklung zu einem wichtigen Thema, das von der chinesischen und deutschen G20-Präsidentschaft zusätzlich aufgewertet wurde und deswegen gleichzeitig zu einem Maßstab für das Engagement der G20 in der Umsetzung der Agenda 2030 geworden ist. Schließlich war klar, dass die Krise der Finanzmärkte nicht nur Folgen für diese selbst hatte, sondern auch für die reale Wirtschaft und die soziale Lage in den Gesellschaften. So kam es ziemlich bald zu Konsultationen. Allerdings muss unterstrichen werden, dass die Unternehmen im Vergleich zur Zivilgesellschaft über einen höheren Einfluss auf die G20-Treffen verfügen. In der Regel wird ihnen direkt vor dem Gipfel eine Möglichkeit zum Gespräch mit den Staats- und Regierungschefs eingeräumt. Während des mexikanischen und russischen G20-Gipfels wurde diese Unternehmensbeteiligung besonders hervorgehoben. Noch heute beklagen die NGOs die vergleichsweise hohe Bedeutung, die die G20 dem Business20 (B20), dem offiziellen Wirtschaftsdialog, einräumt, und kritisieren, dass nicht allen Engagement-Prozessen der gleiche Stellenwert beigemessen wird.


Der Gipfel in Hamburg

An die deutsche G20-Präsidentschaft richten sich hohe Erwartungen. Wichtig ist die Bereitschaft zum Dialog – diese hat die Bundesregierung bisher gezeigt, indem sie regelmäßig Gespräche geführt und Treffen mit der Zivilgesellschaft im Vorfeld abgehalten hat. So konnten Anregungen für die Gestaltung der Tagesordnungen gegeben und Positionierungen vorgenommen werden. Grundsätzlich sind die NGOs dann besonders erfolgreich, wenn sie ihre Forderungen gemeinsam erheben und ihre Lobbytätigkeiten bei den jeweiligen Regierungen organisieren. Ein Beispiel sind die neuen „weichen“ Themen wie Gesundheit und Geschlechtergerechtigkeit. Dennoch beklagen auch deutsche NGOs die Schwierigkeit, ohne ausreichende Kenntnisse der Unterlagen Einfluss auf die G20 nehmen zu müssen.

Auch der G20-Gipfel in Hamburg provoziert Alternativkonferenzen. Eine solche Veranstaltung wird am 5. und 6. Juli 2017 auf Kampnagel – eine frühere Maschinenfabrik in Hamburg-Winterhude, die seit 1982 als Veranstaltungsort genutzt wird – stattfinden: Die kritische Stimme der Milliarden soll gehört werden in Zeiten der Ungleichheit, in denen Milliardären fast die Hälfte des Planeten Erde gehört. Deshalb werden weitere Aktionen des zivilen Ungehorsams, Pop-Konzerte und viele Demonstrationen den G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg begleiten, herausfordern und stören.

Außerdem sind VENRO, der Dachverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen, und das Forum Umwelt & Entwicklung von der Bundesregierung eingeladen, den internationalen zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozess während der deutschen G20-Präsidentschaft 2017 zu koordinieren und ein Civil20-Dialogforum auszurichten. 2017 verfolgt der Civil20 das Ziel, die internationale Zivilgesellschaft über die G20-Staaten hinaus stärker in den Prozess einzubinden. Hierfür wurde eine Steuerungsgruppe (Steering Committee) eingerichtet, die sich aus Vertreter*innen aller Kontinente zusammensetzt – sie leitet und begleitet den Civil20-Prozess. Einer der Schwerpunkte ist der Austausch mit zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen aus Argentinien und Indien, um Wissen und Erfahrungen an die nächsten Präsidentschaften weiterzugeben und damit den Civil20 langfristig zu stabilisieren und zu etablieren.

Das Ziel von Civil20 ist, eine Einbindung der internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen (auch über die beteiligten Staaten hinaus) in den G20-Prozess zu stärken und zu verstetigen. Mittels einer Online-Konsultation, an der sich Vertreterinnen aus 56 Ländern beteiligten, wurden Schwerpunktthemen für die Civil20-Arbeit festgelegt, die im Präsidentschaftsjahr 2016/17 besonders wichtig sind. Aus diesen Schwerpunktthemen entstanden sechs Arbeitsgruppen, in denen Empfehlungen und Forderungen an die G20 erarbeitet wurden.

Dazu zählen:

• eine Reform des internationalen Finanzsystems (Reform of the International Financial System)
• verantwortliche Privatinvestitionen und die Rolle des Privatsektors (Responsible Investment and Role of the Private Sector)
• die globale Gesundheit (Global Health)
• Ungleichheit, Geschlechtergerechtigkeit und Sozialschutz (Inequality, Gender and Social Protection)
• Nachhaltigkeit: Klima, Energie und Umwelt (Sustainability: Climate, Energy and the Environment)
• Landwirtschaft, Wasser und Ernährungssicherheit (Agriculture, Water and Food Security)

Die Positionen der Civil20 wurden im Rahmen des Sherpa-Meetings im März 2017 vorgestellt und sollen auf dem Civil20-Gipfel am 18./19. Juni 2017 ausführlich diskutiert und der Öffentlichkeit präsentiert werden. Dieser Gipfel, zu dem auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeladen ist, wird der Höhepunkt des Konsultations- und Beratungsprozesses der zivilgesellschaftlichen Akteure und der Abschluss des diesjährigen Civil20-Prozesses sein.


Die politische Forderung aus der Zivilgesellschaft

Ein Teil der Zivilgesellschaft vertritt die Ansicht, dass bei den Gipfeln diejenigen zusammenkommen, die für Kriege, die Verletzung der Menschenrechte, Unterdrückung etc. verantwortlich sind, weshalb ein Dialog abgelehnt wird. Protest mit oder ohne Gewalt ist für sie die zentrale Form von Einflussnahme. Alternativgipfel, bei denen die aktuellen Themen, die die Welt bewegen, diskutiert werden können, aber auch machtvolle Demonstrationen, die nicht überall an den G20-Gipfel-Orten erlaubt und nicht immer gewaltfrei sind, stellen Ventile dar. Letztere erschweren den politischen Dialog.

Ein größerer Teil der zivilgesellschaftlichen Organisationen setzt auf den Dialog mit den G20-Regierungen, um die nachhaltige wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung zu ermöglichen und beteiligt sich an den Diskussionen mit der Präsidentschaft und den anderen G20-Staaten und Nichtregierungsorganisationen.
Der Effekt der Dialoge kann fruchtbar, aber auch begrenzt sein. Es kommt auf die Themen, die Agenda der jeweiligen Präsidentschaft und die Situation der Zivilgesellschaft in dem Präsidentschaftsland an. Von daher sind keine großen Fortschritte zu erwarten. Im Gegenteil: Auch in einigen G20-Staaten muss ein immer kleiner werdender Spielraum für die NGOs konstatiert werden. Von daher erwartet die internationale NGO-Gemeinschaft ein klares Signal seitens der deutschen Präsidentschaft für demokratieförderliche Absicherungen der Rolle der Nichtregierungsorganisationen in allen G20-Staaten. Partizipation ist ein Schlüsselwort für den Erfolg der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Ohne eine rechtlich, politisch-institutionell und finanziell abgesicherte Beteiligung der NGOs wird das nicht möglich sein.

Die G20-Staaten müssen ihrer Verpflichtung Genüge leisten und in der Hamburger Erklärung am Ende des Gipfels eine vorwärtsweisende Botschaft zur Rolle der Zivilgesellschaft verabschieden. Gleichzeitig wird von ihnen auch eine Orientierung für die Umsetzung der Agenda 2030 erwartet, die auf eine neue wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit setzt.

Der Civil20-Steuerungskreis, der die NGOs aus aller Welt koordiniert, ist der Meinung, dass die Globalisierung schlecht gestaltet wird und ihre Rahmenbedingungen nicht stimmen. Sie befinde sich längst im Krisenmodus. Die Welt habe noch nie so massive Ungleichheit gesehen: Acht superreiche Männer besitzen heute so viel wie die Hälfte der Menschheit. Er fordert, dass die Agenda 2030 zentraler Handlungsrahmen für alle Aktivitäten der G20 wird. Außerdem müsse das Bekenntnis zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens Grundvoraussetzung für die weiteren Verhandlungen sein. Wenn die soziale Schere immer weiter aufgeht, dann heißt das für die armen Länder, dass Hunger und Ausgrenzung sich verfestigen und für die wohlhabenden Länder, dass Chancen- und Perspektivlosigkeit zu neuer Armut führen. Darin sieht der Steuerungskreis einen Nährboden für Populismus und eine Gefahr für die Demokratie. Von daher sollte weltweit sozial, gerecht und solidarisch gehandelt und gewirtschaftet werden. Die Agenda 2030 mit ihren nachhaltigen Entwicklungszielen müsse sowohl Leitbild als auch Leitfaden für die Weltgesellschaft und damit auch für Europa sein. Diese Herausforderung sollten auch die G20-Staaten auf ihrem Hamburg-Gipfel 2017 annehmen.


1https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/brundtland_report_563.htm

 

 

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Die Bundesregierung hat den Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) sowie das Forum Umwelt & Entwicklung beauftragt, den zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozess im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft zu koordinieren und auszurichten. Der Prozess der gemeinsamen Entwicklung von Stellungnahmen und Positionspapieren findet seinen Abschluss in der Konferenz der Civil20, die drei Wochen vor dem G20-Gipfeltreffen, am 18. und 19. Juni 2017, stattfindet. Nichtregierungsorganisationen aus neunzehn Ländern versammeln sich unter dem Motto „The World We Want“ in der Hafencity Universität in Hamburg zum Civil20-Dialogforum. Die Konferenz, zu der etwa 300 nationale und internationale Teilnehmer*innen erwartet werden, hat zum Ziel, so heißt es auf der Website von VENRO, „die Vorschläge und Aktionspläne, die während des Konsultations- und Beratungsprozesses entwickelt wurden, der Zivilgesellschaft, der Öffentlichkeit und hochrangigen politischen Entscheidungsträger*innen zu präsentieren“ – siehe http://venro.org/venro/projekt-civil20/. Die Bundeskanzlerin wird an der Veranstaltung am 19. Juni nicht nur eine Rede halten, sondern auch an einer Podiumsdiskussion über die Gestaltung der Globalisierung teilnehmen. Diese wird ab 15.50 Uhr auf der Website der Bundesregierung live übertragen werden, siehe www.g20.org. Weitere Informationen zum Projekt Civil20 unter www.civil-20.org.


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