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Die Agenda 2030 in Deutschland. Nachhaltigkeit auf allen Ebenen

14.05.2020
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Sabine Steppat, Dipl.-Politologin

Erschienen am 10. Juli 2017, zuletzt aktualisiert am 14. Mai 2020.

Alles hängt mit allem zusammen – Fußball mit den Nachhaltigkeitszielen. Foto: Sabine SteppatAm 25. September 2015 verabschiedeten 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Damit wurden zum 1. Januar 2016 die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) ersetzt. Im Mittelpunkt der neuen Entwicklungsagenda stehen die Ziele für nachhaltige Entwicklung, die Sustainable Development Goals (SDGs), die aus einem Katalog von 17 Ober- und 169 Unterzielen bestehen. Die SDGs basieren auf den universellen Menschenrechten und decken nicht nur die soziale, ökologische und ökonomische Dimension nachhaltiger Entwicklung ab, sondern auch die Bereiche Frieden und internationale Zusammenarbeit. Damit reichen sie weit über die MDGs hinaus, wie Jens Martens in seinem Beitrag ausführt. Denn viele der SDGs hält er für ambitionierter und differenzierter als es die MDGs waren. Es sei bemerkenswert, dass etwa die Reduzierung von Ungleichheit („innerhalb und zwischen den Ländern“) als eigenständiges Ziel in die Agenda 2030 aufgenommen worden sei. Bereits mit dem Titel Transformation unserer Welt signalisierten die Regierungen, dass sie mit diesem Dokument grundlegende Veränderungen in Politik und Gesellschaft anstoßen wollen. Allerdings sei die Agenda 2030 keineswegs aus einem Guss, sondern stelle einen in sich zum Teil widersprüchlichen Kompromiss zwischen den Mitgliedern der Vereinten Nationen dar. Ihr Erfolg hänge von der Umsetzung auf nationaler Ebene ab. Das bedeute, dass die Regierungen die allgemeinen Zielvorgaben in politische Handlungsstrategien und konkrete Zeitpläne zu übersetzen haben. Auch Deutschland habe die globalen Ziele und Zielvorgaben an die hiesige Situation anzupassen und die entsprechenden Indikatoren zur Fortschrittsmessung auszuwählen. Den Rahmen bilde die nationale Nachhaltigkeitsstrategie, ihre überarbeitete Version – in der konkrete Nachhaltigkeitsziele und 63 sogenannte Schlüsselindikatoren definiert werden – habe das Bundeskabinett im Januar 2017 beschlossen.

Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, gelte es außerdem, diese auch zu messen, wie Claudia Schwegmann ausführt. Indikatoren und Daten spielen also eine wichtige Rolle. Die Autorin berichtet über die Open Knowledge Foundation Deutschland – ein gemeinnütziger Verein, der sich nach eigenen Angaben für offenes Wissen, offene Daten, Transparenz und Beteiligung einsetzt. Dieser hat ein Online-Tool zum Monitoring der SDGs entwickelt: 2030-Watch. Dargestellt werden über 80 Indikatoren, um die Umsetzung der SDGs in Deutschland und anderen OECD-Ländern zu messen. Dabei sei es wichtig, schreibt Schwegmann, dass sich alle gesellschaftlichen Akteure in die Diskussion einbringen. Um ein wirksames Monitoring durchführen zu können, seien gute Daten unerlässlich, was sich bisher als schwierig erweise. Die Verfügbarkeit von Daten vor allem auf internationaler Ebene gestalte sich lückenhaft, daher sollte in die Arbeit statistischer Ämter investiert werden. So lasse sich Transparenz erzielen. 2030-Watch befindet sich derzeit in der Pilotphase.

Dass die Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer Ziele nicht ausschließlich dem Bund, sondern auch den Bundesländern obliegt, zeigt Uwe Kerkow. Diese verfügten in wichtigen Bereichen nachhaltiger Entwicklung über Rechtsetzungs- beziehungsweise Durchsetzungskompetenzen. Auch wegen ihrer lokalen Expertise und ihrer größeren Nähe zu den Bürger*innen sei ihr Beitrag unverzichtbar. Die Politikbereiche Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit offenbarten im Vergleich ein erhebliches Maß an thematischer Konvergenz. Zum Teil seien die daraus resultierenden Handlungsfelder sogar deckungsgleich – etwa im Beschaffungswesen. Die Bundesländer hätten entsprechende Nachhaltigkeitsstrategien oder vergleichbare Dokumente initiiert, sodass die Umsetzung der Agenda-2030-Ziele auf Länderebene erhebliche Fortschritte mache. Jedoch fehle noch eine ganzheitliche Ausrichtung bezüglich ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit. Kerkow regt an, dass die Landtage auf dem Weg zu einer ökologisch und sozial nachhaltigen Gesellschaft stärker einbezogen und nach dem Vorbild des Parlamentarischen Beirates Nachhaltigkeit auf Bundesebene auch in den Länderparlamenten Beratungsgremien eingerichtet werden sollten.

Dass die Agenda 2030 auch ein gesellschaftspolitischer Auftrag für die kommunale Ebene darstellt, wurde während des Bonn-Symposiums 2016 deutlich, worüber Rebekka Hannes berichtet. Das SDG 11, das sogenannte Städte-Ziel, setze die Maßgabe, Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig zu gestalten. Überhaupt seien die Entwicklungsziele vor allem auf der lokalen Ebene relevant, wie Paul Ladd in seinem Symposiumsvortrag ausführt: „‚Development is local. It does not happen at the level of the UN or the nation state’“. Die Kommunen seien besonders geeignet, die Agenda umzusetzen, weil sie die SDGs lokalisieren, spezifizieren und damit erleb- und erfahrbar machten. Kommunen wirkten nicht nur in den unterschiedlichen Dimensionen von Nachhaltigkeit bewusstseinsbildend, sondern leisteten auch Lobbyarbeit für kommunale Interessen auf Bundesebene. Indem sie auf strukturelle Hürden in der Umsetzung hinwiesen, auf die die Städte meist keinen direkten Einfluss hätten, trügen sie außerdem zum Monitoring der Umsetzung bei. Zudem habe sich die Lokalpolitik den Ungleichheiten und anderen Herausforderungen in ihren Kommunen zu stellen und die Bürger*innen einzubeziehen, heißt es in dem Konferenzbericht weiter.

Eine grundlegende Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit kann nur gelingen, wenn die Gesellschaft mit vereinten Kräften darauf hinarbeitet, schreibt Rebekka Hannes in ihrem Bericht über das Bonn Symposium 2017. Partnerschaften zwischen verschiedenen Akteuren innerhalb von Städten und Regionen sowie Partnerschaften und Netzwerke zwischen Städten spielen dabei eine tragende Rolle. Gibt es gute Beispiele für Partnerschaften in und zwischen Kommunen in unterschiedlichen Weltregionen? Welche Faktoren führen zum Erfolg lokaler Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung.

2019 gingen Millionen Menschen weltweit für den Klimaschutz und eine nachhaltige Lebensweise auf die Straßen. Dennoch gebe es vielerorts auch Bedenken und Widerstände. Menschen und Organisationen zu überzeugen bleibe daher eine Schlüsselaufgabe bei der lokalen und regionalen Verankerung der SDGs, schreibt Mischa Hansel. Mit welchen Argumenten und Initiativen kann das gelingen und welche Beteiligungsformen sind erforderlich? Antworten wurden während des Bonn Symposiums 2019 gesucht. Die Agenda 2030 bietet eine Chance für eine Revitalisierung der Demokratie, lautet ein Ergebnis der Veranstaltung.

Um die Nachhaltigkeitsziele umzusetzen, ist wiederum eine intensive Zusammenarbeit der Vertreter*innen aller staatlichen Ebenen mit denen zivilgesellschaftlicher Organisationen notwendig. In einer Zusammenstellung findet sich eine kleine Auswahl an Stellungnahmen deutscher Nichtregierungsorganisationen. Darin werden mehr Nachhaltigkeit in zentralen Politikfeldern und auch institutionelle Veränderungen gefordert.

Hamburg trägt eine Verantwortung dafür, dass die konkrete Vision der Agenda 2030 für eine gerechte und menschenwürdige Zukunft erfüllt wird, schreibt Hans-Joachim Menzel, Sprecher des Zukunftsrats Hamburg. Diese verpflichtet Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, den von den Vereinten Nationen festgestellten Transformationsbedarf zu erkennen, zu kommunizieren und zu erfüllen. Für Hamburg identifiziert der Autor 37 Unterziele als besonders relevant und prüft ihre Umsetzung.

Die Tatsache, dass die Reduzierung von Ungleichheiten explizit in den Katalog der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung aufgenommen worden ist, stellt nach Meinung von Wolfgang Obenland eine der größten qualitativen Neuerungen der Agenda gegenüber vorherigen Entwicklungsstrategien der Vereinten Nationen dar. Die Aufnahme nicht nur von klar definierten Vorhaben für Länder des globalen Südens, sondern auch für solche am oberen Ende der Einkommensverteilung, wie etwa Deutschland, liefere die politische Grundlage für die angestrebte „Universalität“ der Agenda.

Das Hochrangige Politische Forum (HLPF), das zentrale Element der UN-Nachhaltigkeitsarchitektur, befördere die nationale Umsetzung der Agenda 2030, so Veronika Ertl und Martina Kaiser. Es koordiniere unter anderem die freiwilligen nationalen Berichterstattungen der Mitgliedstaaten zum Stand der Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele. Vier Jahre nach der Verabschiedung der Agenda 2030 sei bei der UN-Generalversammlung das HLPF-Format überprüft worden. Trotz eines überwiegend positiven Fazits dieses Gremiums seien zahlreiche Verbesserungsvorschläge präsentiert worden.

In Deutschland sei eine öffentliche Diskussion über einen breiten Ansatz von Nachhaltigkeit erforderlich, schreibt Sabina Wölkner. Reformen für wirtschaftliche Modernisierung, Klimaschutz und Innovation hält sie für überfällig, damit mehr Menschen in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können. Es gelte, ökologische Tragfähigkeit mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit zusammenzudenken. Ohne entschiedenes Handeln werde kein Land bis 2030 die SDGs erreichen, daher fordert die Autorin mehr Mut zur Nachhaltigkeit.

Inwieweit eine nachhaltige Entwicklung langfristig, auch über 2030 hinaus, gesichert werden kann, wird in einem Sammelband erörtert. Die Autor*innen vermitteln Denkanstöße und beziehen dabei den Weltraum mit seinen unterschiedlichen Implikationen in ihre Gedanken ein.

Die finanzielle Lage habe sich in vielen Ländern verschlechtert, in der Folge sei der Handlungsspielraum der Regierungen erheblich eingeschränkt und somit auch ihre Möglichkeit, die in der Agenda 2030 definierten Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zu verwirklichen. Doch Jens Martens sieht Alternativen: Die Herausforderung bestehe darin, eine umwelt- und klimagerechte Wirtschaftspolitik mit Lösungsansätzen zur SDG-kompatiblen Prävention sowie Bewältigung von Finanzkrisen und dem Primat der Menschenrechte zu verbinden. Das Ziel müsse ein menschenrechtsbasierter globaler Green New Deal sein.

Die globale Corona-Pandemie habe nicht nur gravierende Auswirkungen auf die Gesundheitssituation in vielen Ländern der Welt, sondern werde laut Bodo Ellmers und Jens Martens auch den Welthandel, die Finanzmärkte und die Verwirklichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) beeinflussen. Es sei zu befürchten, dass die Menschen in vielen Ländern des Globalen Südens die Ausläufer der Krise noch stärker zu spüren bekommen als die in den reicheren Industrieländern. Um zu verhindern, dass die Coronakrise zu einer globalen Entwicklungskrise wird, dürfe Solidarität nicht an Ländergrenzen enden.

Weitere Beiträge zu diesem Themenbereich werden folgen.

 

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Quellen

Vereinte Nationen
Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Ergebnisdokument des Gipfeltreffens der Vereinten Nationen zur Verabschiedung der Post-2015-Entwicklungsagenda
New York

 

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Der Zukunftsvertrag für die Welt. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

 

Vereinte Nationen, Abteilung für nachhaltige Entwicklung (UN-DESA)
Sustainable development knowledge platform
Informationsportal
New York

 

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Internationale Ziele. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

 

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Kompass für alle Politikfelder. Der deutsche Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030

 

Die Bundesregierung (2017):
Neue Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie
Berlin

Global Policy Forum Europe
Informationsportal zur Agenda 2030 und zu den SDGs

 


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