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Martin Morlok / Thomas Poguntke / Gregor Zons (Hrsg.): Etablierungschancen neuer Parteien

27.03.2017
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Autorenprofil
Dr. Hendrik Träger
Baden-Baden, Nomos 2016 (Schriften zum Parteienrecht und zur Parteienforschung 51)

Institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen

In den vergangenen Jahren kam es, auch vor dem Hintergrund der Eurokrise, in zahlreichen europäischen Ländern zu Neugründungen von Parteien. Einige Beispiele sind die Alternative für Deutschland, Podemos und Ciudadanos in Spanien, die 5-Sterne-Bewegung in Italien und To Potami in Griechenland. In vergleichender Perspektive wird deutlich, dass sich „die Anzahl neuer Parteien und ihr Erfolg über Zeit und Länder hinweg unterscheiden“ (5), erklären die Herausgeber in ihrem Vorwort und weisen damit auf einen interessanten, aber bisher nur wenig untersuchten Bereich der Parteienforschung hin. In neun Beiträgen – darunter zwei in englischer Sprache, die also auch dem nicht-deutschsprachigen Fachpublikum zugänglich sind – widmet sich das international und interdisziplinär zusammengesetzte Autorenteam den Etablierungschancen neuer Parteien. Dabei werden unterschiedliche Perspektiven eingenommen. Allerdings führt nicht zuletzt das Fehlen einer (über das kurze Vorwort hinausgehenden) Einleitung oder eines Schlusskapitels dazu, dass der Sammelband keine gemeinsame Linie beziehungsweise Fragestellung hat. Die Aufsätze wirken teilweise etwas lose aneinandergereiht. Hier haben die drei Herausgeber, von denen einer lediglich zum Vorwort beigetragen hat, Potenzial ungenutzt gelassen.

Im ersten Beitrag untersucht Mitherausgeber Gregor Zons die „programmatische Neuheit neuer Parteien nach der Finanz- und Eurokrise“ (9) und kommt auf der Basis einer wissenschaftlich fundierten Analyse mit Hypothesenbildung zu dem interessanten Ergebnis, dass die nach dem Ausbruch der Krise gegründeten Parteien keineswegs „den ökonomischen Bereich insgesamt stärker betonen“ (30). Allerdings seien Unterschiede zwischen den Neugründungen und Abspaltungen zu erkennen. Bei den Befunden müssten jedoch „die nicht vorhandenen Daten für eine Vielzahl der identifizierten neuen Parteien“ (31) berücksichtigt werden. Dem Verhältnis zwischen den alten und den neuen Parteien widmet sich Marc Bühlmann in einer quantitativen Analyse von vier Wettbewerbsdimensionen (Bestreitbarkeit, Verfügbarkeit, Entscheidbarkeit, Angreifbarkeit) für 21 Länder und konstatiert, „dass neue Parteien [...] vor allem dort eine Chance haben, wo etablierte Parteien deutlich Stellung beziehen müssen“ (52).

In den beiden folgenden Aufsätzen betrachten die Autoren das Thema aus der juristischen Perspektive: Zunächst plädiert Mitherausgeber Martin Morlok, der die Parteien als „auf die Wahrnehmung institutionalisierter Einflussmöglichkeiten spezialisierte Organisationen“ (60) charakterisiert, für „ein laientaugliches Recht“ (67): „Das den Spezialzweckorganisationen zugeschnittene Rechtsgewand darf nicht zu eng sitzen, darf nicht an allen Ecken und Enden zwicken, es muss Bewegungsmöglichkeiten erlauben – gerade wegen des Charakters als für alle Bürger handhabbare Organisationsform“ (68). Mit den rechtlichen Hürden für neue Parteien beschäftigt sich Sophie Schönberger und betont, dass entsprechende Hindernisse „zwar in gewissem Umfang vorhanden sind, in der Praxis aber keine allzu große Wirkung entfalten und meist hinter den tatsächlichen Schwierigkeiten der Gewinnung von Wählerstimmen weit zurückstehen“ (87). Gleichwohl regt die Rechtswissenschaftlerin an, „politisch noch ein Mal (sic!) über die Durchsetzungs-, Aufsichts- und Rechtsschutzstrukturen im Parteienrecht zu diskutieren“ (88).

Nach der juristischen Perspektive rückt Nicole Bolleyer mit „The Organizational Foundations of New Party Institutionalization“ (91) einen anderen Aspekt der Etablierungschancen von neuen Parteien in den Mittelpunkt und zeigt Folgendes: „[A] new party‘s evolution is affected by organizational dispositions linked to its origin but also by choices of its founding elite.“ (108) Einen weiteren Perspektivwechsel nimmt Olaf Jandura vor, indem er die Darstellung neuer Parteien durch die Massenmedien analysiert. Der Kommunikationswissenschaftler arbeitet unter anderem heraus, dass die Berichterstattung vom „Meinungsklima in der Bevölkerung“ (120) abhängt und dass mit zunehmender Etablierung einer Partei auch der „Trend des Negativismus“ (122) nachlässt.

Nicht direkt mit dem Aufbau neuer Parteien, sondern mit den „Determinanten des Parteiwechsels in Deutschland“ (129) beschäftigt sich Tim Spier, der dafür auf die Parteimitgliederstudie von 2009 zurückgreift. Nur eher am Rande wird auf das eigentliche Thema des Sammelbandes eingegangen; so wird beispielsweise den „wenig etablierte[n] Parteien eine Sogwirkung auf die Mitglieder der Volksparteien“ (141) attestiert. Die „‚Flucht‘ aus den etablierten in neue Parteien“ sieht Spier durchaus positiv, denn diese könne als „ein Zeichen eines funktionierenden politischen Wettbewerbs“ (142) interpretiert werden.

Mit den populistischen Parteien blickt Stijn van Kessel auf eine (nicht zuletzt aufgrund der großen medialen und akademischen Beachtung) wichtige Gruppe im Kanon der Neugründungen. Der Politikwissenschaftler konstatiert auf der Basis einer quantitativen Analyse für eine Vielzahl europäischer Staaten, dass schwierige ökonomische Bedingungen nicht automisch zum Erfolg von Rechtspopulisten führen. „[T]he popularity of these parties is directly related to the crisis-laden political environment in their countries“ (152) – hängt also erheblich von situativen Faktoren ab.

Unter der eindrücklichen Überschrift „Flucht in den Parteienstatus“ (163) untersucht Christoph Busch das Verhalten von Akteuren im rechtsextremen Spektrum: „Das Parteienprivileg beinhaltet unter anderem hohe Hürden für ein Parteiverbot. Dies scheint gerade für neonazistische Akteure der Hauptgrund zu sein, sich parteipolitisch zu organisieren“ (163). Die unterschiedlichen Strategien werden anhand von FAP („Wir übernehmen“), NPD („Wir machen mit“) und Die Rechte („Wir gründen selbst“) herausgearbeitet. Der insgesamt lesenswerte Sammelband geht auf ein im April 2015 am Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) durchgeführtes Symposium zurück.

 

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