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Ryan Hass: Stronger. Adapting America’s China Strategy in an Age of Competitive Interdependence

02.05.2022
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Autorenprofil
Matthias Herb-Seifert
New Haven, Yale University Press 2021

Stärker. Anpassung der amerikanischen China-Strategie im Zeitalter der Interdependenz

Der Aufstieg Chinas in den zurückliegenden Jahrzehnten stelle die USA vor die Frage, wie sich das Verhältnis beider Staaten in Zukunft gestalten könnte. Ryan Hass plädiere für einen konstruktiven, positiven und selbstbewussten Umgang der USA mit China, so Rezensent Matthias Herb-Seifert. Denn die Vereinigten Staaten seien der überlegene Partner – in nahezu allen Bereichen. Durch die stärkere Einbindung in das internationale Regime könne Chinas Aufstieg zugunsten der amerikanischen Interessen gelenkt werden. Doch nach Meinung von Herb-Seifert überschätze der Autor die Stärken der USA. (ste)

Eine Rezension von Matthias Herb-Seifert

Ryan Hass richtet diesen Band hauptsächlich an politische Praktiker*innen und beginnt mit einer ernüchternden Bestandsaufnahme: „The US-China relationship has come to be defined by overheated rhetoric, simmering antagonism, and intense distrust.“ (1) Dieser Zustand kann aber weder für China noch für die USA zufriedenstellend sein, denn die damit verbundenen Unsicherheiten und Einschränkungen binden auf beiden Seiten unnötig Ressourcen.

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke, ihrer politischen und militärischen Macht weiterhin weltweit das dominierende Land. Der Aufstieg Chinas in den zurückliegenden Jahrzehnten stellt Amerika aber zwingend vor die Frage, wie das Verhältnis der beiden Staaten in Zukunft aussehen könnte. Können beide neben- und miteinander existieren oder stellen sie eine existenzielle Bedrohung füreinander dar? Hass möchte eine Strategie für die amerikanische Politik gegenüber China vorschlagen und legt hierfür als Ziel fest: „This book is designed to light a path for a more constructive approach to responding to China’s rise. […] The goal of American strategy should be to channel China’s rise in the direction of being ambitious without growing aggressive, toward either the United States or its security partners.” (3, 6) Amerika muss China als das wahrnehmen, was es tatsächlich ist: der auf allen relevanten Feldern wichtigste und mächtigste Rivale der letzten Jahrzehnte.

Hass argumentiert, dass die Vereinigten Staaten das Rennen gegen China selbstbewusst führen müssen und durchaus auch weiterhin anführen können. Amerika verfügt gegenüber China über eine Reihe von Vorteilen, so macht die Wirtschaft der Vereinigten Staaten weiterhin ein Viertel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts aus. Weiterhin ist das politische System stabil demokratisch und damit zuverlässig: „America’s political system provides a distinct advantage over China. The government enforces laws and delivers services, and it is constrained by an independent judiciary and active media that ensure government acts in the interest of the public good.” (39) Weiterhin verfügen die Vereinigten Staaten über das weltweit schlagkräftigste und am besten verteilte Militär, ein weltweites Netzwerk an Verbündeten, und sind weder von Energie- noch von Nahrungsmittelknappheit betroffen.
Diese günstigen Situation der USA vergleicht Hass mit der Chinas, das seinen Bürger*innen auf vielen Feldern deutlich weniger Angebote machen kann. So ist das politische System mittlerweile fast komplett auf Xi Jinping zugeschnitten, Grundrechte wie Meinungs-, Presse-, Religions- oder Versammlungsfreiheit werden gravierend eingeschränkt. Diese Praktiken untermauert China mit einer sehr gut abgestimmten Strategie der Öffentlichkeitsarbeit, in der das Modell der westlichen Demokratie als langsam, ineffizient und unpassend für andere Teile der Welt dargestellt wird. „So, in short, China is a highly strategic revisionist power.” (58)

Weiterhin kühlt sich das Wirtschaftswachstum Chinas bereits seit einigen Jahren merklich ab. Zentraler ist aber, dass die chinesische Wirtschaft deutlich weniger innovativ ist als die amerikanische. Das liegt unter anderem an der Attraktivität der anderen Faktoren – das Silicon Valley zum Beispiel zieht seit vielen Jahren hochqualifizierte Menschen aus der ganzen Welt an. Auch leidet China unter den Folgen der Ein-Kind-Politik und der zunehmenden Überalterung. Alle diese Faktoren sorgen dafür, , so Hass, dass der weitere Aufstieg Chinas oder gar sein Platz an der Weltspitze keinesfalls garantiert sind.

Gleichwohl verfolgt China durchaus erkennbare Ziele: „China’s leaders consistently state that they seek to restore China as a great global power economically, technologically, militarily and politically by mid-century, in effect returning the nation to its self-perceived historical position in the international community.” (53) Wie soll Amerika nun auf diese Herausforderung reagieren? Hass argumentiert, den Begriff „competitive interdependence“ gleichzeitig als Beschreibung und Zielvorgabe zu nutzen. Damit wird klar, dass beide Länder in intensivem Wettbewerb auf allen Feldern stehen, gleichzeitig wird aber auch die gegenseitige Abhängigkeit betont – schließlich werden jährlich Waren und Dienstleistungen in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar ausgetauscht. Hass schlägt ein zweigleisiges Vorgehen vor. Einerseits sollen sich die Vereinigten Staaten auf ihre genannten Stärken konzentrieren und diese weiterhin ausbauen. Damit steigt automatisch die Attraktivität und Leistungsfähigkeit des Landes und eine Position der Stärke gegenüber China kann erhalten bleiben. Andererseits soll Amerika versuchen, China in konkrete Problemlösungsstrategien für verschiedene internationale Herausforderungen miteinzubeziehen. Hass nennt unter anderem den Kampf gegen COVID-19 und den Klimawandel. Durch die stärkere Einbindung in internationale Regime, so Hass, kann Chinas Aufstieg zugunsten amerikanischer Interessen gelenkt werden.

Hass bekleidete verschiedene einflussreiche Positionen in der amerikanischen Politik, unter anderem war er Direktor für China, Taiwan und die Mongolei im Nationalen Sicherheitsrat und beriet in dieser Funktion Präsident Barack Obama. Daher ist es überraschend, dass seine Annahmen und Vorschläge teilweise unrealistisch bis „blauäugig“ sind. So schreibt er beispielsweise, dass die Vereinigten Staaten nicht auf jeden chinesischen Vorstoß reagieren sollten, sondern sich aus einer großmütigen Perspektive heraus ausschließlich auf höchste nationale Sicherheitsziele fokussieren sollten. Weiterhin sollten die Vereinigten Staaten Chinas Beiträge auf internationaler Ebene nicht nur tolerieren, sondern sogar willkommen heißen. Diese Vorschläge für ein fast freundschaftliches Vorgehen stehen in starkem Kontrast zu dem Selbstbewusstsein, mit dem China in jüngster Vergangenheit aufgetreten ist. Ein Amerika, das Aktivitäten wie die neuen Seidenstraßen freundlich interessiert zur Kenntnis nimmt, würde wahrscheinlich auch in China nicht mehr zwingend ernstgenommen.

Weiterhin trifft Hass die Annahme: „The strategy is guided by a judgment that it would serve American interests for China to take on a greater share of responsibility for addressing global problems.” (95) Ob China auch der Meinung ist, dass es zur Lösung globaler Probleme beitragen sollte, bleibt an dieser Stelle offen.

Der zweite Schwachpunkt des Buches ist eine teilweise unvollständige Darstellung der amerikanischen Stärken. Hass weist zwar auf viele innenpolitische „Baustellen“ hin, bleibt aber bei seiner positiven Bewertung. Bei all seinem – berechtigten – Lob für das amerikanische System blendet er aber einige Aspekte völlig aus: so hat die spalterische Rhetorik von Ex-Präsident Doanld Trump und vieler anderer Republikaner in den vergangenen vier Jahren zu einer massiven Spaltung des Landes beigetragen. Die gesellschaftlichen Gräben haben sich an vielen Stellen vertieft, wie nicht zuletzt der entsetzliche Sturm auf das Kapitol Anfang Januar 2021 zeigt. Weiterhin hat die religiöse Rechte substanziell an Einfluss gewonnen, auch hier stehen sich teilweise unversöhnliche Welt- und Gesellschaftsbilder gegenüber. Zieht man diese Faktoren mit in Betracht, sind die Vereinigten Staaten vielleicht gar kein so attraktives Gesellschafts- und Politikmodell wie von Hass dargestellt.

Insgesamt bietet das Buch eine Fülle an Fakten und Hintergrundinformationen, nicht zuletzt aus Hass‘ früheren Tätigkeiten heraus. Seine grundlegende strategische Stoßrichtung „Wettbewerb statt offener Konflikt“ ist selbstverständlich zu begrüßen und der Band bietet an vielen Stellen diskussionswürdige Anstöße. Aufgrund der genannten Schwächen ist aber wahrscheinlich eher Nina Palmer zuzustimmen, wenn sie in ihrer exzellenten Rezension für Foreign Policy schreibt: „Ryan Hass’s book […] is the hottest take on American attitudes toward Beijing of 2011. Unfortunately, it was published in 2021.”

 

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Externe Veröffentlichungen

ZDF Info / 14.03.2022

ZDF

Elisabeth Suh, Leonie Reicheneder / 22.12.2021

Chinas nukleares Wettrüsten

Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
 

Didi Kirsten Tatlow, Andreas Noll / 20.11.2021

Deutschlandfunk 

 

Barbara Lippert, Volker Perthes (Hrsg.) / 05.02.2020

Stiftung Wissenschaft und Politik

 

 

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