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Hendrik W. Ohnesorge: Soft Power. The Forces of Attraction in International Relations

29.01.2021
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Autorenprofil
Prof. Dr. Rainer Lisowski
Wiesbaden, Springer International Publishing 2020

Soft Power. Die Kräfte der Anziehungskraft in den internationalen Beziehungen

Das Ziel Hendrik Ohnesorges ist es, den Begriff ‚soft power‘ transparenter zu machen, daher versucht er, ihn für die empirische Forschung zu operationalisieren, so Rezensent Rainer Lisowski. Ohnesorge untersucht, welche Ressourcen (Kultur, Werte, Persönlichkeiten und Politik) und Instrumente (Diplomatie des Landes und persönliche Diplomatie, beziehungsweise Netzwerke und Initiativen einzelner Menschen) einen Attraktor für ein anderes Land darstellen, und welche Wahrnehmungen (Anziehung, Abstoßung oder Apathie) und Ergebnisse (Unterstützung, Neutralität, Gegnerschaft) sie erzeugen.

Eine Rezension von Rainer Lisowski

„Man sollte auf alles achten, denn man kann alles deuten“, so heißt es in Hermann Hesses Buch „Das Glasperlenspiel“, in dem er die fiktive und entrückte akademische Welt Kastalien schafft. Auf den ersten Blick erscheint die Aufgabe, die sich Hendrik Ohnesorge für sein Buch „Soft Power. The Forces of Attraction in International Relations“ gesetzt hat, doppelt passend zu dem Zitat von Hesse. Der Terminus ‚soft power‘ ist zum einen so schillernd umfassend, dass man in der Tat erst einmal alles als sanfte Macht deuten könnte. Und zum anderen wirkt der Versuch, dennoch eine Klärung dieses schwammigen Begriffspaares herbeiführen zu können, wie wenig sinnvolles, akademisches Glasperlenspiel.

Diese Sichtweise täte dem Buch aber Unrecht.

Auch wenn alle paar Jahre verstärkt über das Ende der US-Dominanz auf der Welt geschrieben wird, war doch die Veröffentlichung von Paul Kennedys „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ (1987) ein besonderer Anstoß, der für eine weite Diskussion sorgte. Erst vor diesem Hintergrund entfaltete Joseph Nye seine Idee der ‚soft power‘ und argumentierte, dass die USA aufgrund ihrer kulturellen Attraktivität ihre Position als führende Macht der Erde behalten würden (39 f.), selbst wenn sie in anderen Bereichen relativ zurückfielen.

So wird ‚soft power‘ heute vor allem mit Nye in Verbindung gebracht, auch wenn er keineswegs der erste war, der diesen Begriff benutze – oder gar die dahinterstehende Idee entwarf, wie Ohnesorge akribisch recherchiert und darlegt (13 f., 46, 48 ff.).

Ein Grundproblem der sogenannten sanften Macht besteht bis heute in der Verschwommenheit dieser Phrase. Viel kann in diese Bezeichnung hineinprojiziert werden. Und genau das ist der Grund, warum Hendrik Ohnesorge in seinem Buch versucht, den Begriff für empirische Forschung zu operationalisieren. Gelungen stellt er auf Seite 89 sein Grobkonzept grafisch dar. Kurz gesagt will er untersuchen, welche Ressourcen (Kultur, Werte, Persönlichkeiten und Politik), und welche Instrumente (Diplomatie des Landes und persönliche Diplomatie, beziehungsweise Netzwerke und Initiativen einzelner Menschen) einen Attraktor für ein anderes Land darstellen, und welche Wahrnehmungen (Anziehung, Abstoßung oder Apathie) und Ergebnisse (Unterstützung, Neutralität, Gegnerschaft) sie erzeugen. (88 ff.) Zudem grenzt er ‚soft power‘ und ‚smart power‘ noch einmal sauber gegeneinander ab.

Viele Erkenntnisse sind dabei nicht unbedingt neu, wenngleich gut von ihm zusammengefasst. So dürfte es nicht überraschen, dass auch Ohnesorge keine magische Formel entdeckt, um Macht in internationalen Beziehungen einwandfrei beschreiben zu können. Auch erstaunt es nicht, dass ein Konzept wie ‚soft power‘ im Grunde genommen schon im alten Rom zu beobachten war (warum wollten die Goten sonst dorthin?). Jedem dürfte zudem klar sein, dass ‚soft power‘ selbst weder gut noch böse ist, sondern sowohl dem einen wie dem anderen dienen kann (72).

Eine Stärke des Buches liegt aber darin, dass er bestehende Literatur und Theorieansätze zu dem Phänomen akribisch zusammenträgt, verdichtet und operationalisiert. Und dass er in Folge konkrete Vorschläge macht, wie empirische Forschung analytisch vorgehen sollte, um ‚soft power‘ akkurater zu vermessen (160). Ohnesorge geht sogar noch einen Schritt weiter und schlägt im vierten Kapitel konkrete methodologische Ansätze vor, um auf der Grundlage seiner Indikatoren vor allen Dingen mit qualitativen Forschungsansätzen (tiefgründenden Fallstudien) zu arbeiten.

Am Ende fasst er die Kernergebnisse seiner Untersuchung auf Seite 204 in einer gelungenen, übersichtlichen Tabelle zusammen. In der Tat könnte eine empirische Untersuchung hier ansetzen und mit den vorgeschlagenen Indikatoren forschen.

Leider wird der Bogen grafischer Zusammenfassungen gelegentlich auch überspannt: Auf Seite 148 etwa findet sich eine Grafik, die ein Netzwerkmodell öffentlicher Diplomatie darstellen soll. Spöttisch formuliert gilt die alte Kritik an Niklas Luhmanns Systemtheorie: Alles hängt irgendwie mit allem anderen zusammen. Der Erkenntnisgewinn ist hier überschaubar.

Apropos Kritik: Dem Buch ist anzumerken, dass es auf einer Dissertation zu beruht. Manche theoretische Diskussionen werden ermüdend ausführlich geführt. Die Vorstellung des eigenen, epistemologischen Standpunktes etwa ließe sich erheblich kürzen. Einige Einschübe (zum Beispiel zu Friedrich dem Großen [126ff.]) oder zur ‚soft power‘ des Römischen Reiches [196 ff.]) wirken eher wie die nachträgliche Verarbeitung vorangegangener Hauptseminararbeiten. Insgesamt leidet das Werk unter der deutschen Krankheit des ausufernden Belegsystems: kaum eine Seite, die weniger als zehn Querverweise aufweist. Dennoch: Insgesamt überzeugt das Buch.

 

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Weiterführende Links

Joseph Nye / 2005

Public Affairs

 

Joseph Nye / 22.02.2016

Foreign Policy Association

 

Robert Winder / 2020

Soft Power. The New Great Game

Little, Brown Book Group

 

 

Mehr zum Themenfeld Das Versprechen der liberalen Verfassungsstaaten

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