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Die Vereinten Nationen und der Konflikt im Jemen: die Notwendigkeit einer fein abgestimmten Diplomatie

14.10.2019
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Dr. Gregory D. Johnsen

Jemen Sondergesandte Martin Griffith SL SiriusDer VN-Sondergesandte Martin Griffith vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. © UN Photo Martin Elias

 

Der Konflikt im Jemen dauert seit mittlerweile fünf Jahren, und ein Ende ist nicht in Sicht.1 Wie die meisten scheinbar unlösbaren Konflikte der Welt landete auch der Jemen-Konflikt schließlich im VN-Sicherheitsrat, dem Konfliktbeilegungs-Forum letzter Instanz der internationalen Gemeinschaft.

Die Vereinten Nationen (VN), denen nur ein beschränktes Instrumentarium zur Verfügung steht, haben auf den Jemen-Konflikt in der gleichen Weise reagiert, wie sie auf die meisten unübersichtlichen Kriege reagieren: mit einem Sondergesandten und mit Sanktionen. Das ist die Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie zur Konfliktbeilegung. Der Sondergesandte pendelt zwischen den verschiedenen Parteien und versucht diese dazu zu überreden, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Als unausgesprochenes Druckmittel „hinter den Kulissen“ dient dabei die Drohung mit gezielten Sanktionen, welche die VN gegen fünf Personen im Jemen verhängt haben.2

Die Strategie der VN hat allerdings ein Problem: Sie ist wirkungslos. Mittlerweile ist der dritte Jemen-Sondergesandte binnen fünf Jahren im Amt, und Martin Griffiths scheint einem Erfolg auch nicht näher zu sein als seine beiden Vorgänger. Die Uneinigkeit im Sicherheitsrat – hauptsächlich zwischen den USA und Russland, aber manchmal auch zwischen traditionellen Verbündeten wie den USA und Großbritannien – hatte zur Folge, dass seit 2015 keine neuen Sanktionen verhängt worden sind.3 Und die Sanktionen, welche die VN verhängten, zeitigten eine Reihe unbeabsichtigter Wirkungen, die dazu führten, dass es sehr viel schwieriger geworden ist, den Konflikt beizulegen.

Der Jemen versinkt mittlerweile in einer humanitären Katastrophe und im politischen Chaos.4 Unabhängig von dem, was die VN tun, wird es immer unwahrscheinlicher, dass das Land jemals wieder politisch geeint werden kann. Der Sicherheitsrat sollte ehrlich Auskunft darüber geben, was er im Jemen erreichen kann und was nicht. Dazu ist es notwendig, dass er nicht nur auf die Fehler der vergangenen fünf Jahre zurückblickt, sondern auch in die Zukunft schaut, auf jene Optionen, die ihm bleiben, um im Jemen Veränderungen herbeizuführen. Dieser Aufsatz versucht, für beide Anliegen Ideen zu entwickeln.

Am 16. Februar 2018 ernannte VN-Generalsekretär António Guterres den britischen Diplomaten Martin Griffiths zu seinem neuen Sondergesandten für den Jemen.5 Zunächst waren Beobachter optimistisch, dass ein Wechsel im Amt des Gesandten die Parteien vielleicht zurück an den Verhandlungstisch brächte. Denn Griffiths’ unmittelbarer Vorgänger, der mauretanische Diplomat Ismail Ould Cheik Ahmed, hatte das zweifelhafte Kunststück fertiggebracht, dass sich zum Schluss seiner Amtszeit niemand mehr mit ihm treffen wollte. Im Mai 2017 war Ahmeds Wagenkolonne während eines Besuchs in Sana‘a beschossen worden, und die Huthis verboten ihm später die Rückkehr in die Hauptstadt, weil sie ihm Parteilichkeit vorwarfen.6 Die Tatsache, dass Griffiths britischer Staatsbürger war und dass Großbritannien die Federführung für das Jemen-Dossier bei den UN hatte, könnte, so ließ man in New York durchblicken, den Prozess beschleunigen.

Leider ist dies nicht geschehen. Griffiths’ erster Versuch im September 2018, die Kriegsparteien zusammenzubringen, scheiterte, als die Huthis sich weigerten, Sana‘a zu verlassen.7 Wie vorherzusehen war, machte jede Seite die andere für den Fehlstart verantwortlich, aber letztlich lag die Verantwortung bei Griffiths, der aus irgendeinem Grund ein solches Szenario nicht vorhergesehen hatte. Einige Monate später, im Dezember 2018, gelang es Griffiths, Vertreter der Huthis an Bord eines Flugzeugs nach Schweden zu bringen, wo sie sich zu Gesprächen mit Vertretern der jemenitischen Regierung trafen, aber er war so wild entschlossen, endlich Fortschritte zu erzielen und irgendeine Übereinkunft vorweisen zu können, dass er eine Reihe vager Vereinbarungen durchpeitschte, die mehr schadeten als nutzten. Insbesondere das Hudaida-Abkommen war so mehrdeutig, dass beide Seiten in den Text hineinlesen konnten, was sie wollten.8 Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Vereinbarungen acht Monate nach der Unterzeichnung noch immer ihrer Umsetzung harren. Der einseitige Abzug der Huthis im Mai 2019 scheint wenig mehr als eine Hinhaltetaktik gewesen zu sein, unter deren Deckmantel einige Huthis den Hafen an andere Huthis in anderen Uniformen übergaben.9

Ein Teil der Schwierigkeiten, mit denen Griffiths und seine beiden Vorgänger zu kämpfen hatten, rührt daher, dass sie bei ihrer Vermittlertätigkeit an das gleiche mangelhafte Dokument gebunden waren: Resolution 2216 des UN-Sicherheitsrats. Die im April 2015 – kaum drei Wochen nach dem Kriegseintritt der Militärkoalition unter Führung der Saudis – verabschiedete Resolution drückte die Besorgnis über den „Vorstoß [der Huthis] auf Aden“ aus und forderte diese auf, sich aus Sana‘a zurückzuziehen und sämtliche erbeuteten Waffen abzugeben.

In den vier Jahren, die seit der Verabschiedung von Resolution 2216 vergangen sind, hat sich die Situation vor Ort jedoch erheblich verändert. Ungeachtet der Warnung der VN marschierten die Huthis in Aden ein, nur um wenige Monate später zurückgeschlagen zu werden. Die Friedensgespräche in Kuwait brachten keinen Durchbruch.10 Und die Huthis haben sich von einer Stammesmiliz in einen de-facto-Staat im Nordjemen verwandelt. Aber trotz all dieser Veränderungen ist Resolution 2216 in ihrer ursprünglichen Form in Kraft geblieben.

Diese Feststellung ist wichtig, weil Resolution 2216, die einseitige Zugeständnisse von den Huthis verlangt, maßgeblich Anteil daran hat, dass die Militärkoalition unter Führung Saudi-Arabiens ungeachtet ihrer Schwächen und der wenig zielgenauen Bombenangriffe der Überzeugung war, völkerrechtlich und in Bezug auf die VN-Unterstützung am längeren Hebel zu sitzen.11 Die Huthis sind durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen, und Resolution 2216 ist für sie im Grunde eine Aufforderung zur Kapitulation.

Die Huthis sehen das selbstverständlich anders. Ihres Erachtens haben sie in diesem Krieg die Oberhand. Sie kontrollieren das wichtige Territorium, und die Saudis und Emiratis sind trotz jahrelanger Luftangriffe nicht in der Lage gewesen, sie zu vertreiben. Der Außenminister der Huthis sagte denn auch Ende 2018: „Wir gehen davon aus, dass dieser Krieg sehr lange dauern wird. Es ist ein Krieg, bei dem es darum geht, dem anderen die Knochen zu brechen – sie brechen uns, oder wir brechen sie.“12

Tatsächlich ist das von Saudi-Arabien angeführte Militärbündnis einem militärischen Sieg heute nicht näher als zu dem Zeitpunkt, zu dem es die Operation Decisive Storm im März 2015 begann. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die beiden Hauptpartner in der Koalition, sehen sich weitgehend den gleichen militärischen Optionen wie damals gegenüber. Sie können sich vollständig zurückziehen und so den Huthis den Sieg überlassen. Sie können den Einsatz deutlich erhöhen und eine Bodenoffensive mit dem Ziel beginnen, die Huthis in die Knie zu zwingen – aber diese wäre mit sehr hohen Verlusten verbunden und wahrscheinlich nicht erfolgreich. Oder sie können einfach mit den Luftangriffen fortfahren und auf einen anderen Ausgang hoffen. Und so wenig verlockend die letzte Option auch ist und so gering ihre Erfolgsaussichten sind, ist sie für die Militärkoalition unter Führung Saudi-Arabiens noch immer attraktiver als die beiden anderen.

Hier liegt auch der tiefe Grund dafür, dass der Jemen-Konflikt so schwer zu lösen ist: beide Seiten sehen sich jeweils in der stärkeren Position. Keinem der drei Sondergesandten für den Jemen ist es gelungen, diese harte Nuss zu knacken und den Krieg auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Und es ist auch nicht zu erwarten, dass zukünftige Gesandte vollbringen werden, woran die früheren gescheitert sind, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sowohl die Militärkoalition unter Führung Saudi-Arabiens als auch die Huthis die Fortsetzung des Krieges für vorteilhafter erachten als einen Friedensschluss.
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Anmerkungen

1 Ruwanthika Gunaratne und Gregory D. Johnsen: „When Did the War in Yemen Begin?, Lawfare Blog, 28. Juni 2018.
2 Narrative Summaries, 2140 Sanctions Committee Yemen, UN Security Council. https://www.un.org/securitycouncil/sanctions/2140/materials/summaries.
3 Dies sind Sanktionen, die vom 2140-Ausschuss gegen Einzelpersonen verhängt worden sind. Auch gegen Mitglieder von Al-Qaida und ISIS im Jemen wurden Sanktionen verhängt. Siehe auch Julian Borger, „UN agrees Yemen ceasefire resolution after fraught talks and US veto threat“, The Guardian, 21. Dezember 2018.
4 „Humanitarian crisis in Yemen remains the worst in the world, warns the UN“, UN News, 14. Februar 2019. https://news.un.org/en/story/2019/02/1032811
5 „Secretary-General Appoints Martin Griffiths of United Kingdom as his Special Envoy to Yemen“, UN Press Release, 16. Februar 2018, https://www.un.org/press/en/2018/sga1789.doc.htm.
6 Vgl. „U.N. wants investigation into attack on Yemen envoy’s convoy“, Reuters, 25. Mai 2017 sowie „Houthis ban U.N. special envoy from Yemen for alleged bias“, Reuters, 5. Juni 2017.
7 Stephanie Nebehay, „Yemen peace talks collapse in Geneva after Houthi no-show“, Reuters, 8. September 2018.
8 „Full Text of the Hudaydah Agreement“, Office of the Special Envoy, 13. Dezember 2018.
9 Bethan McKernan und Patrick Wintour: „Hope for ‚Turning Point‘ in Yemen after Houthis Hodeidah Withdrawal“, The Guardian, 15. Mai 2019.
10 Rod Norland: „Talks to End War in Yemen are Suspended“, New York Times, 6. August 2016.
11 Rick Gladstone: „Saudi Airstrike Said to Hit Yemeni Hospital as War Enters Year 5“, New York Times, 26. März 2019.
12 Robert Worth: How the War in Yemen Became a Bloody Stalemate“, New York Times Magazine, 31. Oktober 2018.

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Die deutsche Übersetzung des englischsprachigen Originalbeitrags ist erstmals erschienen in SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Band 3, Heft 3: 287-292, https://doi.org/10.1515/sirius-2019-3009 (online erschienen: 07.09.2019)

 

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Jemen
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Aus der Annotierten Bibliografie


Max Hilaire

Waging Peace. The United Nations Security Council and Transnational Armed Conflicts

Berlin: Logos Verlag 2015; 320 S.; 39,- €; ISBN 978-3-8325-4000-5
Seit dem Ende des Kalten Krieges, so Max Hilaire, Politikwissenschaftler an der Morgan State University in Baltimore, habe das internationale System eine dramatische Transformation durchlaufen: Aktuelle Konflikte seien unberechenbarer – „arguably more fluid“ (3) – als Konflikte während des Kalten Krieges. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen habe auf diese „neuen“ Gefahren für den internationalen Frieden in weiter und kreativer Interpretation seiner Kompetenzen ...weiterlesen

 

Tanja Brühl / Elvira Rosert

Die UNO und Global Governance

Wiesbaden: Springer VS 2014 (Grundwissen Politik 52); 417 S.; 29,99 €; ISBN 978-3-658-00142-1
Welche Bedeutung kommt den Vereinten Nationen (VN) bei der Lösung gegenwärtiger und zukünftiger globaler Probleme zu? An die Weltorganisation werden in Verbindung mit der Idee von Global Governance hohe Erwartungen gerichtet, denen oft eine durchwachsene Leistungsbilanz gegenübersteht. Tanja Brühl und Elvira Rosert beschäftigen sich mit der Rolle der Vereinten Nationen in den Prozessen von Global Governance, indem diese einerseits als Akteur im Prozess der globalen Regelfindung betrachtet und andererseits neue Formen von Governance in den VN selbst ausgemacht werden. Die Weltorganisation müsse demnach als ein Governance‑Akteur unter vielen gesehen werden, der horizontale Netzwerkbeziehungen zu anderen Organisationen unterhält und sich dabei selbst auch für andere,...weiterlesen
 

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