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Pippa Norris / Ronald Inglehart: Cultural Backlash. Trump, Brexit, and Authoritarian Populism

16.12.2019
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Autorenprofil
Vincent Wolff, M.P.P.
Cambridge University Press 2019

Kultureller Rückschlag. Trump, Brexit und autoritärer Populismus

„It is the triumph of fear over hope” (8), konstatieren die US-amerikanischen Politikwissenschaftler Pippa Norris und Ronald Inglehart hinsichtlich der jüngsten Erfolge durch autoritäre Populisten in zahlreichen Ländern weltweit. Dabei verstehen die Autoren Populismus als rhetorischen Stil, der politische Prioritäten reflektiert. Konkret gehe es darum, wer in einem Staatsgefüge Macht ausüben solle. Populisten nehmen dabei an, dass legitime Macht zuerst beim Volk und nicht bei den Eliten liege. Dies führe zu einer schwammigen Grenzziehung von politischen Entscheidungsträgern hinsichtlich der Interessen des Staates und persönlichen Interessen – und den ihnen nahestehenden Personen und Familienmitgliedern. Dieser bei Populisten zwangsläufige Prozess der Verquickung von privaten und staatlichen Interessen untergrabe schrittweise die Demokratie. Es brauche also keinen Staatsstreich, sondern lediglich eine graduelle Erosion der demokratischen Strukturen durch populistische Führer. Dabei haben die Autoren vor allem den gegenwärtigen US-Präsidenten Donald Trump im Blick.

Das Grundargument der Autoren ist dabei nicht neu. Es fußt auf der Annahme, dass westliche Länder kulturspezifische Konflikte zwischen Generationen austragen. Jede westliche Gesellschaft werde sozial immer fortschrittlicher und dagegen bilde sich Widerstand in den älteren Bevölkerungsschichten. Dies erkläre den Wahlerfolg von Donald Trump ebenso wie den Brexit. Diese „heißen Kulturkriege“ (17) würden über die nächsten Jahre Politik und Gesellschaft weiter spalten, so die Prognose der beiden Forscher. Zweifelsohne ist dies ein starkes Argument, nur wie passen das Wahlverhalten der jüngsten Wählergruppen in Deutschland und Frankreich ins Bild? Diese Gruppen wählen häufiger rechte Parteien als ihre Großeltern – hier scheint sich der Konflikt anders auszudrücken. Auf diese Problematik wird leider nicht eingegangen.

Diese Grundthese wird dagegen statistisch ausführlich USA-spezifisch behandelt. Jedes Unterthema wird lange und ausführlich mit großen Datensätzen abgehandelt. Diese Statistiken ermöglichen tiefe demografische Einsichten. Dazu zählt die Beobachtung, dass zwar die Politisierung der Jugend zunehme, nicht aber die Wahlbereitschaft des jüngsten Wahlsegments. In diesem Sinne zeigen Norris und Inglehart viele Facetten der US-amerikanischen Politik auf. Zudem machen der Autor und die Autorin spannende Korrelationen aus, wie den negativen Zusammengang von Wohlstand sowie Autoritarismus und Populismus, der allerdings von Generationenfragen überlagert wird – Alter schlägt wirtschaftliche Situation. Zudem stellen die beiden Politikwissenschaftler fest, dass nicht Einwanderung, sondern ethnische Differenzen diese Einstellungen stärke. Auch hierbei wird dies durch das Alter der befragten Person verstärkt. Daraus ziehen die Autoren einen wichtigen Schluss: Der demografische Wandel in westlichen Ländern führe mittelfristig zu einer Verstärkung dieser Einstellungen.

Es überlagern sich unterschiedliche Generationenkonflikte, die allerdings nur teilweise auf andere Staaten und politische Systeme übertragbar sind. Gerade die US-amerikanische Generation des Zweiten Weltkriegs nimmt schlicht eine andere Rolle in der Öffentlichkeit ein als dies bei vergleichbaren Gruppen in Europa der Fall ist. Dennoch werden wichtige unterschiedliche Wertmuster und gesellschaftliche Einstellungen aufgezeigt, die sich in aktuellen Konflikten widerspiegeln.

Was muss also getan werden? Norris und Inglehart rufen zu bürgerschaftlichem Widerstand und Wählermobilisierung auf, werben für eine Senkung der wirtschaftlichen Ungleichheiten und darum, kulturelle Ängste ernst zu nehmen. All dies scheint den Kern des zuvor identifizierten Problems nur ansatzweise zu treffen. Die Ideenlosigkeit des politischen Lagers zeugt von der aktuellen politischen Schwäche.

Das Buch hätte das Potenzial zu einem Standardwerk, jedoch schaden ihm zahlreiche faktische Fehler. Sie behindern das grundsätzliche Anliegen, zentrale globale Entwicklungen länderübergreifend festzustellen. Der Fokus der Autoren liegt fraglos auf den USA, und andere Länder werden oftmals als Belege dafür verwandt, dass sich das Phänomen Trump auch außerhalb der USA zeigt. Das mangelnde Wissen über die politischen Strukturen in europäischen Ländern wird dabei offenbar. So schreiben Norris und Inglehart, das Erstarken der AfD habe es 2017 in Deutschland unmöglich gemacht, eine Große Koalition zu formen. Zudem bezeichnen sie den französischen Präsidenten als „Emmanuelle (sic!) Macron“ (17) und Recep Tayyip Erdoğan als ungarischen Präsidenten. Außerdem behaupten sie wahrheitswidrig, der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn habe vor dem EU-Austrittsreferendum für den Verbleib in der Europäischen Union geworben – wobei das genaue Gegenteil richtig ist. Zudem wird das Ergebnis des Brexit-Referendums unrichtigerweise als „extrem eng“ (368) bezeichnet und die Erfolglosigkeit der Labour-Partei auf „Querschüsse von Hinterbänklern“ (375) zurückgeführt, anstatt auf die politische Unfähigkeit und den Antisemitismus des Parteichefs. All diese Fehler, Unklarheiten und groben Missverständnisse senken den qualitativen Wert des Buches erheblich. Zudem ist das Werk mit seinen über 500 Seiten extrem dicht und datenschwer.

Fraglos muss man Pippa Norris und Ronald Inglehart zu ihrem Vorgehen beglückwünschen, dieses Projekt angegangen zu haben.

 

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