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Hans-Jörg Schmedes: Der Bundesrat in der Parteiendemokratie. Aufgabe, Struktur und Wirkung der Länderkammer im föderalen Gefüge

11.08.2019
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Autorenprofil
Dr. Michael Kolkmann
Baden-Baden, Nomos 2019

Der Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland steht nicht selten im Schatten der übrigen Verfassungsinstitutionen. Dies gilt sowohl für dessen Rolle im öffentlichen Diskurs als auch für die politikwissenschaftliche Forschung. Wenn der Bundesrat in Medien und Wissenschaft doch einmal zum Thema wird, dann häufig in dem Kontext, dass ihm seine Selbstblockade sowie die Lähmung des politischen Prozesses attestiert wird. Dabei handelt es sich beim Bundesrat um ein einzigartiges Organ (so bereits Theodor Eschenburg im Jahre 1974), mehr noch: um ein ewiges Organ, das nie komplett neu gewählt wird, sondern sich durch konsekutive Landtagswahlen mehr oder weniger regelmäßig erneuert.

Umso löblicher ist das Unterfangen des Berliner Sozialwissenschaftlers Hans-Jörg Schmedes, sich in einer schmalen, aber profunden Publikation mit der Stellung des Bundesrates im politischen System der Bundesrepublik, seinen Aufgaben und Funktionen sowie seinem inneren politischen Prozess zu befassen. Schmedes kennt die Arbeit des Bundesrates aus persönlicher Anschauung: Zwischen 2010 und 2017 war er in den Landesvertretungen von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg als Referats- beziehungsweise Leiter des Ministerbüros tätig. Der Band basiert inhaltlich auf Aufsätzen, die der Autor in den vergangenen Jahren in der Zeitschrift für Parlamentsfragen und im Jahrbuch des Föderalismus veröffentlicht hat. Dabei fokussiert er seine Untersuchung auf die 17. und 18. Wahlperiode; das Manuskript für dieses Buch wurde Ende November 2018 abgeschlossen.

Schmedes führt einleitend aus: „Die Wunschvorstellung, dass Bundesregierungen in Deutschland ‚durchregieren‘ können müssen, scheint sich gerade unter den journalistischen Beobachtern des deutschen Politikbetriebs wacker zu halten“. Wenn der Bundesrat in den Medien tatsächlich einmal zum Gegenstand werde, „wird häufig gerade die im Grundgesetz angelegte Verschränkung und Balancierung der öffentlichen Gewalten sowie die daraus resultierende Verlangsamung von Entscheidungsprozessen problematisiert“ (11). Auch in der Politikwissenschaft begegnet den Studierenden der Bundesrat häufig nur durch einzelne Kapitel in Einführungswerken zum politischen System der Bundesrepublik. Schmedes trägt mit seinem Buch dazu bei, dieser häufig gehörten Behauptung wissenschaftliche Befunde entgegenzustellen.

Zunächst stellt er Bestimmungsfaktoren des Föderalismus in Deutschland als „historische Konstante des staatlichen Gefüges“ (28) vor und verortet den Bundesrat als „vertikales Element in der horizontalen Gewaltenverschränkung“ (22) im politischen System der Bundesrepublik (Kapitel zwei bis vier). Dabei werden auch dessen Aufgaben, die Verfahrensgrundlagen sowie der Einfluss der Länderkammer beschrieben. In Kapitel fünf wird die Entscheidungsfindung innerhalb des politischen Prozesses des Bundesrates erläutert. Dass dem Bundesrat etwa im Vergleich zum Deutschen Bundestag eine weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwird, daran „dürfte die in der Außensicht hochformalisiert und undurchsichtig sowie komplex und intransparent erscheinende Arbeitsweise der Länderkammer einen großen Anteil hieran haben“ (19). Dass dies auch von Akteuren im Bundesrat so gesehen wird, illustriert der Autor anhand mehrerer Antrittsreden vergangener Bundesratspräsidenten, die gerade diese Intransparenz thematisieren und nach entsprechenden Reformen rufen. In diesem Kapitel kann Schmedes auch seine persönlichen Erfahrungen einbringen und ausführlich sowie detailliert beschreiben, welchen Weg Gesetzesvorlagen innerhalb des Bundesrates durchlaufen.

Anschließend erfolgt die Einordnung dieser Entscheidungsfindung in die „politische Koordination im Bund-Länder-Gefüge“ (45, Kapitel sechs). Der Vermittlungsausschuss als „Forum zur Kompromissfindung mit hoher Gestaltungskraft“ (56) steht im Mittelpunkt des siebten Kapitels. Dem Vorwurf der Blockade hält Schmedes die empirischen Befunde entgegen: Nur ein Gesetzesvorhaben von insgesamt 544 ist in der 17. Wahlperiode am Ende tatsächlich gescheitert, das entspricht einem prozentualen Wert von 0,2 Prozent. In der 18. Wahlperiode sind vier von insgesamt 555 Gesetzesvorhaben gescheitert, das entspricht einem Wert von 0,72 Prozent und liegt damit immer noch unterhalb von einem Prozentpunkt. In Kapitel acht präsentiert der Autor seine empirischen Befunde aus den beiden vergangenen Wahlperioden. Dabei betont er vor allem die Rolle der „inkongruenten Mehrheiten von Bundestag und Bundesrat“ (62), also das immer wieder zu beobachtende Phänomen, dass es im Bundesrat eine parteipolitisch anders gelagerte Mehrheit als im Deutschen Bundestag gibt. Lediglich bis zum Antritt der sozialliberalen Koalition im Jahre 1969 konnte sich die Bundesregierung auf eine gleiche Mehrheit im Bundesrat verlassen. Seitdem mussten Regierungen mit inkongruenten Mehrheiten zurechtkommen. Hilfreich sind in diesem Kontext die einzelnen detaillierten Tabellen und Schaubilder, die den Leser*innen für die vergangenen beiden Wahlperioden eine rasche Orientierung über die jeweils konkreten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ermöglichen.

Der Band besticht durch das problemorientierte Aufgreifen zentraler Bestimmungsfaktoren des Aushandlungsprozesses des Bundesrates mit anderen politischen Akteuren. Mit Fritz Scharpf beschreibt er die bundesdeutsche „Politikverflechtungsfalle“, mit Gerhard Lehmbruch den „Strukturbruch“ mit dem „Aufeinandertreffen der auf Konkurrenz beruhenden Handlungslogik des Parteiensystems und der kooperativen Handlungslogik des föderalen Systems“ (17).
Dabei bezieht Schmedes auch informale Aspekte mit ein, zum Beispiel mit Blick auf die politische Koordination zwischen der Bundeskanzlerin beziehungsweise dem Bundeskanzleramt und der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Dieser Abstimmung scheint im politischen Prozess eine zentrale Rolle zuzukommen, entsprechende Verhandlungen erfolgen jedoch häufig abseits der öffentlichen Wahrnehmung.

Das Ergebnis seiner Untersuchung schickt Schmedes seinen Ausführungen voraus, nämlich „dass das politische System Deutschlands in beiden Wahlperioden von seinem institutionellen Geflecht profitierte, das zahlreiche konsensdemokratische Praktiken hervorgebracht hat, durch deren Zusammenwirken auch in Zeiten unklarer oder gegenläufiger Mehrheiten sichergestellt wird, dass unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden sowie vielfältige Erfahrungen und Fachwissen in die Gesetzgebung einfließen“. Schmedes gelangt daher zu dem Fazit, dass sich nur schwerlich von einer „Blockade durch die Länderkammer“ (21) sprechen lassen kann.

Da sich der Autor dem Untersuchungsgegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven nähert, kommt es im Verlauf der Argumentation zwangsläufig zu Doppelungen und Wiederholungen, die aber die zentralen Punkte seiner Argumentation nur verstärken. Hilfreich wäre im Anschluss an dieses Buch eine ausführlichere Untersuchung darüber, was der Abstieg der Volksparteien und das Aufkommen mehrerer kleinerer (beziehungsweise nicht mehr ganz so kleiner) Parteien für die Handlungsfähigkeit des Bundesrates, insbesondere mit Blick auf die Einigungs- und Kompromissfähigkeit innerhalb der Institution, heißt. Schmedes schneidet dieses Thema gelegentlich an (etwa auf den Seiten 15 f.), eine weiter ausholende Untersuchung würde sicher interessante Ergebnisse zeitigen.

Der Band von Hans-Jörg Schmedes empfiehlt sich schlussendlich für alle, die auf breiter politikwissenschaftlicher Literaturbasis mehr über die Arbeitsweise des Bundesrates sowie dessen Rolle in der bundesdeutschen Konsensusdemokratie erfahren wollen und sich nicht auf die obligatorischen Kapitel in den Einführungswerken in das politische System der Bundesrepublik verlassen möchten.

 

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Informationen

Zur Website:
Der Bundesrat

 

Horst Pötzsch
Bundesrat
Dossier „Deutsche Demokratie“,
Bundeszentrale für politische Bildung, 15.12.2009


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