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Abschreckung einst und heute. Von der Schwierigkeit, glaubwürdig zu sein

15.03.2018
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Prof. Dr. James A. Thomson

Berlin leaving jkb wikimediaAus den Erfahrungen, die im Kalten Krieg gesammelt wurden, lässt sich nur bedingt für die Gegenwart lernen. Foto: Sektorengrenze in Berlin (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_leaving.jpg /https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)

 

Einleitung

Abschreckung war das Kernstück westlicher Verteidigungspolitik während des Kalten Krieges. Mit ihr verband sich die Vorstellung, dass es sinnvoll und möglich ist, sich gegen einen militärisch hochgerüsteten Gegner behaupten zu können, ohne Streitkräfte aufstellen zu müssen, die diesem gleichwertig sind oder die gar in der Lage wären, dessen Territorium zu erobern.

Abschreckung ist einerseits eine defensive Form des Umgangs mit militärischen Bedrohungen und zielt auf Moderation und Kriegsverhinderung, andererseits kann sie nur dann wirksam sein, wenn sie auch extreme militärische Bedrohungen beinhaltet – wie den Einsatz von Kernwaffen. Mit deren Entwicklung hatte sich für viele nach dem Zweiten Weltkrieg die Hoffnung verbunden, dass Kriegsverhinderung durch Abschreckung nicht nur möglich, sondern auch geboten sei.

Diesem Gedanken hatte 1946 als Erster der US-amerikanische Strategieexperte Bernard Brodie Ausdruck gegeben, als er schrieb: „Bisher war es die Hauptaufgabe von Militärapparaten, Kriege zu gewinnen. Nunmehr ist es deren Aufgabe, diese zu verhindern.“ Vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg und angesichts des anfänglichen Monopols der USA bei Kernwaffen war daher die Idee verlockend, Kriegsverhinderung durch nukleare Abschreckung zu erreichen.

Diese einfache Gleichung war aber nur für eine kurze Zeit gültig. Da die Sowjetunion und in der Folge noch andere Staaten in den Besitz von Kernwaffen gelangten und angesichts der Dynamik der militärischen Lage in Mitteleuropa sowie der quälenden Debatten innerhalb der westlichen Allianz über die Glaubwürdigkeit (aber auch die moralische Zulässigkeit) einer erweiterten Abschreckung, wurde die Abschreckungsdebatte mit Problemen konfrontiert, die nie vollständig gelöst werden konnten und die erst mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes aus dem Blickfeld verschwanden.

In der heutigen Zeit beginnen wir, mit Blick auf Russland, China und den Iran erneut über Abschreckung nachzudenken. Dabei stellen sich teilweise alte, aber auch neue Probleme. Im Folgenden werden zunächst die Abschreckungsdebatten der Zeit des Kalten Krieges noch einmal in Erinnerung gerufen, um dann die neuen Herausforderungen und Probleme einer Abschreckungspolitik aufzugreifen.

Abschreckung in Zeiten des Kalten Krieges

Für die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten diente Abschreckung zu Beginn des Kalten Kriegs im Wesentlichen dem Ziel, ihrer Drohung Glaubwürdigkeit zu verleihen, auf nicht-atomare Angriffe der UdSSR mit einem Atomangriff reagieren zu können. Bei dieser Drohung lag der Schwerpunkt der Abschreckung auf Strafe (deterrence by punishment): auf dem Versprechen, der UdSSR einen Schaden zuzufügen, der weit größer wäre als jeglicher etwaige Nutzen, den die sowjetische Führung ihres Erachtens aus einem Angriff ziehen könnte. Daneben gab es das Konzept der Abschreckung durch Vereitelung oder der Verneinung militärischer Erfolge von Aggression (deterrence by denial).

Zwar war während des Kalten Kriegs die Sowjetunion das Hauptziel von Abschreckung durch Bestrafung, doch das Konzept wurde auch auf andere potenzielle Gegner und geografische Räume ausgeweitet, beispielsweise zum Schutz Japans und Südkoreas nicht nur vor der Sowjetunion, sondern auch vor China und Nordkorea.

Die US-amerikanische Abschreckungsdoktrin durchlief dabei verschiedene Phasen. In den Fünfzigerjahren verfolgten die Vereinigten Staaten eine Strategie der „massiven Vergeltung“, die auf der Drohung beruhte, auf einen Angriff der Sowjetunion mit Gegenangriffen auf deren Städte zu reagieren und zwar mit den zur damaligen Zeit entwickelten Wasserstoffbomben. Die Vereinigten Staaten stationierten in Europa auch taktische Atomwaffen, die gegen jegliche Form einer sowjetischen Invasion eingesetzt werden konnten; damit sollte die Unterlegenheit der NATO bei konventionellen Streitkräften ausgeglichen werden. Im Hintergrund stand dabei die Drohung massiver Vergeltung für den Fall, dass die NATO-Streitkräfte nicht in der Lage wären, die Sowjetunion und deren Alliierte aus dem Warschauer Pakt abzuwehren.

In den späten Fünfzigerjahren zeichnete sich ab, dass die UdSSR bald über Kapazitäten für einen Angriff mit Nuklearwaffen auf US-amerikanisches Staatsgebiet verfügen würden: zuerst mit Langstreckenbombern, dann mit Interkontinentalraketen und anschließend mit U-Boot-gestützten ballistischen Raketen, wobei die U-Boote in internationalen Gewässern vor der US-Küste patrouillieren konnten. Damit waren die Vereinigten Staaten ihrerseits Atomangriffen ausgesetzt und es stellte sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der US-amerikanischen Drohungen. Wie konnte erwartet werden, dass die Regierung sowjetische Städte attackiert, wenn US-amerikanische Städte ihrerseits massiven atomaren Vergeltungsschlägen ausgesetzt würden?

Zudem erhob sich eine moralische Frage: Durfte Abschreckung auf der Drohung beruhen, unbewaffnete, unschuldige Zivilisten zu töten? In den frühen Sechzigerjahren begann die Kennedy-Regierung, eine alternative Strategie zu entwickeln. In den darauffolgenden drei Jahrzehnten setzten die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten diese Anstrengungen fort, wobei implizit davon ausgegangen wurde, dass eine neue Strategie mehr oder weniger die gleichen Elemente beinhalten könnte und sich gelegentlich nur die Terminologie änderte. Wichtig war, dass es um begrenzte atomare Reaktions- und Verteidigungsoptionen ging.
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Erschienen in: SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Band 2, Heft 1, Seiten 32–41: https://www.degruyter.com/view/j/sirius.2018.2.issue-1/sirius-2018-0004/sirius-2018-0004.xml?format=INT

 

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