Paulo Casaca / Siegfried O. Wolf (Hrsg.): Terrorism Revisited. Islamism, Political Violence and State-Sponsorship
16.05.2018Paulo Casaca und Siegfried O. Wolf stellen mit ihrem Autorenteam in „Terrorism Revisited“ einen neuen Ansatz vor, um sich zeitgenössischen terroristischen Erscheinungsformen zu nähern. Dazu werden sowohl historische Entwicklungen untersucht als auch Fallstudien vorgestellt. Staatlich unterstützter Terrorismus spielt ebenso eine Rolle wie Formen der generellen politischen Gewalt, deren Sonderform der Terrorismus ist. Thematisch bewegen sich die Artikel von der iranischen Revolution über das Anwachsen des sunnitischen Terrorismus und dessen historischer Verbindung zu Pakistan über nationale Dschihadbewegungen bis hin zu den tamilischen Befreiungstigern.
Paulo Casaca beginnt zunächst („The Conceptual Discussion on Terrorism“, 3-33) mit einer historisch-semantischen Verortung des Terminus „Terrorismus“ und mahnt, wie beinahe jeder Terrorismusforscher, eine einheitliche Definition an. In Anlehnung an David Terman müsse der moderne Terrorismus als soziopsychologisches Phänomen verstanden werden. Die Verwendung euphemistischer Ausdrücke wie „radikal“, „militant“ oder „extremistisch“ bei kriminellen Handlungen im Zusammenhang mit Terrorismus sei in diesem Kontext nicht hilfreich und daher abzulehnen.
Auch in seinem zweiten Beitrag („New Terrorism“, 33-57) widmet sich Casaca der Frage nach dem Charakter des neuen Terrorismus. Während viele Autoren auf eine willkürliche Zielauswahl verweisen, kommt Casaca bei der Analyse der Aktionen von Hisbollah und al-Qaida zu dem Schluss, dass deren Zielauswahl durchaus eine dahinterliegende Rationalität erkennen lässt. Ein weiteres, häufig als charakteristisch angesehenes Merkmal, das Selbstmordattentat, wird zugunsten einer breiteren Betrachtung von Terrorgruppen verworfen. So gebe es Strategen und ausführende Akteure innerhalb derselben Gruppe. Auch hier argumentiert Casaca schlüssig, dass es einer genauen Analyse der Motivationen der jeweiligen Gruppen und Akteure bedarf und dass die normative Nutzung von Euphemismen bei der Analyse des Phänomens kontraproduktiv ist.
Im dritten Aufsatz („The Evolution and Ascension of Iran’s Terror Apparatus“, 57-83) befasst sich Mosa Zahed mit den ideologischen Grundlagen der iranischen Revolution und der Gründung der Fedajin-e Islam. Darüber hinaus wird dargestellt, wie unter Nutzung der schiitischen Geschichte eine neue Kultur des Martyriums geschaffen und im Kontext des Iran-Irak-Krieges auch taktisch eingesetzt wurde. Eine Folge dieser Politik war die Schaffung von Proxy-Armeen wie den Quds-Brigaden. Der Autor argumentiert, dass eine internationale Versöhnungs- und Beschwichtigungspolitik Iran aktuell ermutige, die staatliche Unterstützung des Terrorismus beizubehalten und die Entwicklung anderer terroristischer Organisationen auf der ganzen Welt zu ermöglichen. Dieser Schluss erscheint indes wenig nachvollziehbar, handelt es sich doch um einen Trend, der beispielsweise auch Pakistan und die Ölmonarchien betrifft.
Daniel Brett („Evolution and Rise of Contemporary Jihadism: From the Muslim Brotherhood to ISIS“, 83-109) versteht den Islamischen Staat zu Recht als ein Produkt der Moderne, das jedoch auf eine eigene Ahnenreihe islamistischer Organisationen zurückblicken kann. Er schildert, wie die ägyptische Muslimbruderschaft ihre Forderung nach einem Kalifat in Reaktion und Opposition gegen den europäischen Imperialismus entwickelte und zeigt die Kontinuität dieses Zieles sowie den damit verbundenen Kampf gegen säkulare Regierungssysteme auf der Basis des Pan-Arabismus oder des Sozialismus auf. Gerade aus diesem Widerstand, vor allem gegen den Pan-Arabismus, entwickelte sich seine Zwillingsschwester, der Pan-Islamismus, der sich mit dem Dschihadismus in seiner gewalttätigen Form äußert.
Siegfried O. Wolf („Pakistan and State-Sponsored Terrorism in South Asia“, 109-157) wendet das Konzept des Staatsterrorismus auf der Grundlage einer Reihe von Indikatoren auf Pakistan an und kommt zu dem Ergebnis, dass hier staatlich geförderter Terrorismus durch einen schweren Mangel des politisch-administrativen Systems im Allgemeinen und durch die ungesunden zivil-militärischen Beziehungen im Besonderen verursacht wird. Er betont, dass Pakistan nur gegen militante Gruppen vorgegangen ist, die als Bedrohung für das Regime angesehen wurden. Terroristische Organisationen auf pakistanischem Boden, die hauptsächlich im Ausland operieren, insbesondere in Afghanistan und/oder Indien, sind hingegen nicht zielgerichtet durch pakistanische Anti-Terror-Kampagnen verfolgt worden. Wolf sieht daher in Pakistan einen Teil des Problems des grenzüberschreitenden Terrorismus und nicht einen glaubwürdigen Partner bei der Suche nach einer umfassenden Lösung für die globalen Herausforderungen durch den internationalen Dschihadismus.
Mario Silva („Antisemitism and the Global Jihad“, 157-181) widmet sich dem wenig beschriebenen Phänomen des Antisemitismus innerhalb dschihadistischer und/oder islamistischer Gruppen. Dabei beschreibt er die Nutzung antisemitischer Narrative zur Mobilisierung der eigenen Unterstützernetzwerke sowie die Anpassung dieser Strategie, um der gewachsenen Bedeutung der sozialen Netzwerke Rechnung zu tragen. Silva argumentiert, dass es eine historische Verbindung zwischen dem Export von Antisemitismus aus Europa in den Nahen Osten und seiner Entwicklung zu der ideologischen Paranoia gibt, die den modernen radikalen Dschihadismus nährt.
Auch wenn die Bewegung der Liberation Tigers of Tamil Elaam (LTTE) im Kontext des Kampfes gegen al-Qaida und den IS in den Hintergrund geraten ist, ist sie dennoch ein wichtiges Forschungsfeld – nicht nur weil die LTTE die erste Gruppe war, die es verstand, Selbstmordattentate in großem Stil in ihre taktische Planung einzubeziehen. Djan Sauerborn („Political Violence Revisited: The Liberation Tigers of Tamil Elaam“, 181-199) untersucht vor diesem Hintergrund, wie es dem Führer der LTTE Velupillai Prabhakaran gelungen ist, öffentliche Unterstützung zu erhalten und fanatische Kader zu schaffen: Er baute seinen Status als Führer im Kampf für tamilische Unabhängigkeit aus und schaltete diejenigen tamilischen Kräfte aus, die sich für eine friedliche Lösung des Konfliktes aussprachen. Eine wichtige Säule seines Erfolges war die Schaffung der Elite-Selbstmordkader („Black Tigers“) sowie eines Märtyrerkultes, der durch die Einbeziehung interreligiöser und pseudo-sozialistischer Rituale strategisch erweitert wurde. Er unterstreicht die Avantgarde-Rolle der LTTE in Bezug auf die Innovation von Terror-Praktiken und stellt diese taktischen Kernmethoden in den Kontext einer breiteren strategischen Struktur politischer Gewalt. Schlüssig macht Sauerborn deutlich, warum die LTTE als eine der erfolgreichsten Terroreinrichtungen des 20. Jahrhunderts gilt.
Den Abschluss des Sammelbandes bildet ein weiteres Kapitel von Casaca („The War on Terror“, 199-219), in dem er, sehr zur Freude des Rezensenten, darauf verweist, dass der „Krieg gegen den Terror“ nicht nur ein semantischer Fehler – man führt keinen Krieg gegen eine Methode – war, sondern ein politischer Reflex zur Beschwichtigung der eigenen Bevölkerung. Der „Krieg gegen den Terror“ in seiner entscheidenden globalen Dimension muss als gescheitert angesehen werden, da der Dschihadismus heute stärker und bedrohlicher ist als zuvor.
Inhaltlich wie argumentativ an sein letztes Kapitel anschließend bekräftigt Casaca (Conclusions: How to Face the Present Fanatic Threat?, 219-223), dass sich Antiterrorstrategien darauf konzentrieren müssten, wie die Zielbevölkerung sie wahrnehme. Terrorismus als Methode müsse im Zusammenhang mit den politischen Strategien betrachtet werden, die sich seiner bedienten. Mehr noch als bewaffnete Streitkräfte zu mobilisieren, sei es notwendig, einen Krieg der Ideen gegen den Dschihadismus zu führen. Dazu seien die Bewältigung echter Missstände und transnationale Kooperationen das zentrale Instrument.
Der Sammelband richtet sich zwar in erster Linie an einen Personenkreis, der sich bereits mit dem Thema befasst hat, kann aber auch als Einstiegslektüre verwendet werden. Der Fokus beim Thema Staatsterrorismus auf Iran und Pakistan hätte sinnvoll noch um die Rolle Saudi Arabiens ergänzt werden können. Insgesamt handelt es sich um einen gut lesbaren und in vielen Aspekten wertvollen Beitrag zur Forschungsdiskussion.