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Franz-Josef Meiers: Bundeswehr am Wendepunkt. Perspektiven deutscher Außen- und Sicherheitspolitik

23.09.2017
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Autorenprofil
Sven Morgen, M. A.
Wiesbaden, Springer VS 2017

Die Debatte um die zugesicherte Erfüllung der Zwei-Prozent-Bündnisverpflichtungen Deutschlands in der NATO hat 2017 durch eine Äußerung von US-Präsident Donald Trump und den Bundestagswahlkampf an Virulenz gewonnen und den Fokus auf die Höhe des Verteidigungsetats sowie die Frage nach Aufrüstung gerichtet, ohne jedoch das eigentliche Problem zu diskutieren. Das Thema, um das es in der Debatte zuallererst gehen sollte, zeigt Franz-Josef Meiers in seiner Studie „Bundeswehr am Wendepunkt. Perspektiven deutscher Außen- und Sicherheitspolitik“ auf.

Dabei konzentriert er sich auf den Istzustand der Bundeswehr und die Frage, ob die drei Hauptprobleme der Bundeswehr – Unterpersonalisierung, Unterausstattung und Unterfinanzierung – durch die jüngsten Bemühungen der Großen Koalition, insbesondere der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, nachhaltig und substanziell beseitigt werden konnten. Als Referenzpunkt dient dabei die Debatte um Deutschlands Rolle in der Welt. Diese nahm spätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 Fahrt auf, als Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die Verteidigungsministerin den Anspruch auf mehr Verantwortungsübernahme durch Deutschland formulierten – eine Forderung, die zugleich auch von den Bündnispartnern an Deutschland herangetragen wurde.

Daraus entwickelt Meiers die zweite Frage seiner Untersuchung: Folgt Deutschland seinen selbst formulierten Ansprüchen und „übernimmt eine gestaltende Rolle im internationalen Krisenmanagement mit Rückgriff, wenn geboten, auf deutsche Streitkräfte?“ (2) Die Antwort auf diese Frage steht im Zusammenhang mit der Antwort auf die erste, denn nur wenn es gelingt, die Probleme der Bundeswehr nachhaltig zu überwinden, kann die Bundesrepublik eine gestaltende Rolle im internationalen Krisen- und Konfliktmanagement übernehmen.

Doch wie ist der Zustand der Bundeswehr aktuell zu bewerten? 2015 stellte von der Leyen fest, dass die Bundeswehr an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gekommen sei, in der Folge rief sie zu einer Neuausrichtung der Bundeswehr und einer Trendwende bei Personal, Material und Haushalt auf. Diese Bemühungen stehen im Zentrum dieses Buches. Meiers gelingt es in überzeugender Weise, die Entwicklungen und politischen Maßnahmen in diesen drei Bereichen nachzuvollziehen und hinsichtlich ihrer Effektivität zu bewerten.

Zum Thema Personal hält er fest, dass das Ziel der Verteidigungsministerin, bis 2023 mittels eines atmenden Personalkörpers auf die aktuellen und zukünftigen Aufgaben und Herausforderungen reagieren zu können, an Faktoren und Problemen scheitert, die nur mittel- oder langfristig angegangen werden können. So hat die Bundeswehr beispielweise seit Jahren mit einem ausgeprägten Fachkräftemangel (insbesondere in den technischen, informationstechnischen und sanitätsdienstlichen Bereichen) sowie einer Unwucht in der Alters- und Dienstgradstruktur zu kämpfen.

Die strukturelle Ausrichtung der Bundeswehr, die durch die Ausstattung mit entsprechendem Material unterfüttert wird, ist seit jeher von entscheidender Bedeutung und entsprechend oft Gegenstand politischer Debatten und Reformen. Seit der Wiedervereinigung hat sich das Aufgabenspektrum der Bundeswehr zwar erweitert, Stichworte sind die Auslandseinsätze jenseits des NATO-Bündnisgebietes, jedoch wurde dieses trotz diverser Reformen und Neuausrichtungen nie wirklich mit entsprechenden Strukturen und ausreichendem Material unterlegt.

Auch „die strukturelle Neuausrichtung der Bundeswehr seit 2011 [hat] ihre Zielvorgaben deutlich verfehlt, die materielle Ausstattung auf die einsatzbedingten Erfordernisse und Auftragserfüllung stringenter aus[zu]richten“ (7). Dies hat unter anderem zur Folge, dass die Bundeswehr weit davon entfernt ist, die Anforderungen der Bündnisverteidigung dauerhaft zu erfüllen, also nicht einmal das Kerngeschäft gesichert ist. Um auf diese Probleme zu reagieren, löst sich die Verteidigungsministerin vom „Konzept des Dynamischen Verfügbarkeitsmanagement, Einheiten lediglich mit bis zu 70 Prozent des Geräts auszustatten und orientiert sich an dem realen Einsatzerfordernis einer Vollausstattung“ (10).

Um diese bis 2030 zu realisieren, seien rund 1.500 Maßnahmen erforderlich, die 130 Milliarden Euro kosten würden. Der Erfüllung dieses Zieles stehen dabei jedoch ein auf vielen Ebenen defizitäres Rüstungsmanagement und fehlende (einmalige und kontinuierliche) finanzielle Investitionen entgegen – Probleme, die nur mittel- und langfristig gelöst werden können.

Die größte Herausforderung mit der höchsten politischen Sprengkraft stellt jedoch die Trendwende beim Haushalt dar, mit der die Unterfinanzierung der Bundeswehr beseitigt werden soll. Zwar hat die Große Koalition 2017 einen Anstieg des Verteidigungsetats im Gesamtvolumen von 10,206 Milliarden Euro von 34,29 Milliarden EUR in 2017 auf 39,18 Milliarden Euro in 2020 beschlossen. Damit wird jedoch nicht den Forderungen der Verteidigungsministerin entsprochen; sie fordert eine Steigerung von mindestens vier Milliarden Euro jährlich über die nächsten 15 Jahre. Wird zukünftig an den ermittelten 1.500 Maßnahmen für eine aufgabenorientierte Ausstattung der Bundeswehr festgehalten, dann sind die bislang beschlossenen Aufstockungen des Verteidigungshaushaltes nicht ausreichend, sodass notwendige Investitionen aufgeschoben werden müssen und so unweigerlich eine neue Investitionsbugwelle entstehen würde.

Insgesamt fehlt den politischen Modernisierungs- und Reformbemühungen eine langfristige und verbindliche Planungsperspektive. Diese ist verfassungsrechtlich bedingt, da die aktuell getätigten mittel- und langfristigen finanziellen Zusagen und Planungen dem Haushaltsvorbehalt zukünftiger Regierungen unterliegen und in Zukunft wieder infrage gestellt werden könnten. Das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages verhindert so die langfristige strategische Ausrichtung der Bundeswehr bei Personal und Rüstung.

Das Bundesministerium der Verteidigung sieht sich der strategischen Herausforderung gegenüber, Prioritäten setzen und Auftrag, Struktur sowie Finanzausstattung in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringen zu müssen, damit die Bundeswehr die Aufgaben, „die sie leisten muss, auch leisten kann“. Es muss in diesem Kontext die Frage gestellt werden, was Deutschland mit seiner Außen- und Sicherheitspolitik leisten will und leisten soll.

Zwar sei die Bundesregierung seit dem Krisenjahr 2014 „sehr wohl bereit, eine größere diplomatische Rolle im Krisen- und Konfliktmanagement in und außerhalb Europas zu übernehmen“ (31), die militärische Dimension nehme jedoch nur eine sehr kleine Rolle ein. Dabei ziehe es Deutschland vor, „die rote Linie zu hochintensiven Kampfeinsätzen am Boden nicht zu überschreiten“ (20). Die Anwendung militärischer Macht sei klar den politischen Verhandlungen zur Konfliktlösung untergeordnet. „Und wenn, wie derzeit im Irak und in Syrien, ‚noch militärische Mittel notwendig sind’, wird der deutsche Beitrag in ‚homöopathischen’ Dosen verabreicht.“ (31)

Deutschland übernimmt in der internationalen Krisen- und Konfliktbearbeitung Verantwortung durch Auslandseinsätze der Bundeswehr, die einen eindeutig humanitären Charakter und einen klar umrissenen und begrenzten Einsatzzweck (Stabilisierungs-, Unterstützungs- und Ausbildungsmissionen) haben (vgl. 31). Nach Meiers findet eine aktivere Rolle Deutschlands in der Welt dort ihre Grenze, „wo die Kultur der Zurückhaltung eine Beteiligung Deutschlands an bündnisgemeinsamen Kampf- bzw. Kriegseinsätzen kategorisch ausschließt“ (33).

Der Autor zeigt in kurzer und prägnanter Weise die aktuellen Grenzen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik mit Beteiligung militärischer Mittel auf. Den effektiven Einsatz der Bundeswehr im internationalen Krisen- und Konfliktmanagement verhindern zum einem die immer noch akuten Probleme der Bundeswehr und zum anderen die gesellschaftlich gewollte Zurückhaltung gegenüber dem Einsatz der Streitkräfte.

Der Band kann auch als Zusammenfassung der Amtszeit von Verteidigungsministerin von der Leyen in der dritten Großen Koalition verstanden werden, in der es ihr nicht gelungen ist, Lösungen für die Probleme der Bundeswehr nachhaltig zu implementieren und den Stellenwert der Bundeswehr als relevantes und fallweise nützliches Instrument der deutschen Außenpolitik der Gesellschaft zu vermitteln.

 

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Siehe auch den Beitrag von Peter Eitel, in dem er sich mit dem Weißbuch 2016 der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr beschäftigt: http://bit.ly/2hou07m

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