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Ingo Bode

Die Organisation der Solidarität. Normative Interessenorganisationen der französischen Linken als Auslaufmodell mit Zukunft

Opladen: Westdeutscher Verlag 1997 (Studien zur Sozialwissenschaft 181); 366 S.; brosch., 78,- DM; ISBN 3-531-13016-1
Soziologische Diss. Duisburg; Erstgutachter: H.-G. Brose. - "Solidarität" gehört zweifellos zu jenen Grundkategorien der Gesellschaftstheorie, die in neueren sozialwissenschaftlich-zeitdiagnostischen Analysen wenigstens implizit eine wichtige Rolle spielen. So gewinnen die vielfältigen Thesen über gegenwärtige Tendenzen zur individualisierten Risikogesellschaft ihre politische Brisanz aus der damit verknüpften Befürchtung einer zunehmenden Erosion solidarischer Einstellungen, die schließlich den sozialen Zusammenhalt demokratisch verfaßter Wohlfahrtsgesellschaften gefährden würde. Wenn die unter dem "Diktat" der Globalisierung stehenden Modernisierungsprozesse traditionelle soziale Milieus, entsprechende politische Kulturen und Kollektivakteure (Parteien, Gewerkschaften, karitative Organisationen) gleichermaßen schwächen, dann ist es eine theoretisch wie praktisch bedeutsame Frage, ob und in welchen Formen Organisationen Solidarität aufgreifen und stützen können. Bode setzt sich mit diesem Problem anhand von qualitativen Fallstudien über vier normative Interessenorganisationen im französischen Gesundheitswesen auseinander. Dieser Organisationstypus, der aufgrund der eigenen - i. w. S. "linken" - Programmatik nicht nur zweckrational Mitgliederinteressen verfolgen, sondern auch politische Gestaltungsansprüche erheben will, bildet gleichsam den Probierstein des leitenden Forschungsinteresses: Worin bestehen die organisationalen Voraussetzungen und Grenzen der über weltanschaulich geprägte Interessenorganisationen erfolgenden "Verknüpfung von individuellen Nutzenkalkülen und politischem Gemeinsinn" (16)? Der gut strukturierten und systematische Quervergleiche erlaubenden Darstellung der empirischen Fallstudien (141 ff.) sind drei Theoriekapitel vorgeschaltet. Nach einer Erörterung des französischen Verbandswesens (31 ff.) setzt sich Bode zunächst mit den Dimensionen der Solidarität im kollektiven Handeln auseinander (51 ff.) (angesichts der notorischen Schwierigkeiten, die der Solidaritätsbegriff bereitet, wählt er hier eine pragmatische "middle-range-Lösung" [62]) und entwickelt anschließend - in idealtypischer Abhebung von Interessenverbänden und politischen Vereinigungen - die Funktionslogik normativer Interessenorganisationen (97 ff.). Das verhalten optimistische Resümee unterstreicht zwar die erheblichen Reproduktionsprobleme dieses Organisationstyps (unter Steuerungs- wie unter Ressourcengesichtspunkten), hebt aber ebenso dessen hohe funktionale Bedeutung für eine an zivilgesellschaftlichen Maßstäben orientierte soziale Integration hervor, der staatliche Institutionen in der "Erlebnisgesellschaft" längst nicht mehr gewachsen sind. Inhaltsübersicht: 1. Verbandswesen und Zivilgesellschaft in Frankreich: 1.1 Der dominante Staat und die Weltanschauung der Verbände; 1.2 Die zweite Bühne der politischen Linken; 1.3 Krise der Interessenvermittlung, Krise der Zivilgesellschaft. 2. Solidarität und kollektives Handeln: 2.1 Wege zum solidarischen Handeln; 2.2 Solidarität und Altruismus; 2.3 Kollektives Handeln und plurale Solidarität: der Fall der französischen Linken. 3. Normative Interessenorganisationen: 3.1 Verbände zwischen Freiheit und Organisation; 3.2 Idealtypen freiwilliger Mitgliederorganisationen; 3.3 Normative Interessenorganisationen als möglicher Realtypus. 4. Normative Interessenorganisationen im französischen Gesundheitswesen: Vier Fallbeispiele: 4.1 Freie Ärzte für soziale Medizin; 4.2 Klassenkampf im Krankenhaus; 4.3 Behinderte mit Visionen; 4.4 Politische Gemeinwirtschaft. 5. Die Organisation der Solidarität: Ein Résumé: 5.1 Leistungspotentiale normativer Interessenorganisationen; 5.2 Reproduktionsprobleme; 5.3 Krise und sozialer Wandel; 5.4 Ein Auslaufmodell mit Zukunft?
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.61 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Ingo Bode: Die Organisation der Solidarität. Opladen: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/4620-die-organisation-der-solidaritaet_6514, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 6514 Rezension drucken