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Jean-Christophe Merle / Alexandre Travessoni Gomes Trivisonno (Hrsg.)

Kant's Theory of Law

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015 (Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. Beiheft 143); 138 S.; softc., 37,- €; ISBN 978-3-515-11037-2
Der Sammelband geht auf einen Workshop im Rahmen des 26. Weltkongresses der International Association for Philosophy of Law and Social Philosophy in Belo Horizonte (Brasilien) von 2013 zurück (siehe auch Buch‑Nr. 48151 und 48152). Workshop und Sammelband verweisen auf die anhaltende Bedeutung der Rechtsphilosophie Kants für philosophische und rechtliche Diskurse, die die Herausgeber in der Einleitung zutreffend konstatieren: Alle Themen der angewandten Philosophie Kants weckten Debatten über das Verhältnis zwischen universellen, a priori geltenden Prinzipien und empirischen Ereignissen, auf die sie bezogen werden könnten. Im Bereich des Rechts existiere der Widerspruch zwischen den normativen Ansprüchen des universellen Rechts und der Notwendigkeit eines positiven Rechts, das seine Quelle in der realen Welt finde. Es geht also um ein zentrales Problem der Rechtsphilosophie, um das Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit und positivem Recht oder, mit anderen Worten, um Recht und Moral. Da der Mensch für Kant eine moralische Pflicht habe, aus dem Hobbes‘schen Naturzustand herauszutreten und das Verlassen des Naturzustandes nach Kant zugleich die Grundvoraussetzung jeglichen Rechtsfortschritts sei, schlussfolgern die Herausgeber, dass die Positivität des Rechts bei Kant aufgrund von moralischen Argumenten gefordert sei. In diesem Sinne setzt sich José Luis Colomer mit dem Verhältnis von Freiheit und Zwang bei Kant auseinander: So legitimiere das Prinzip der äußeren Freiheit nicht nur die Ausübung von Zwang in einer Rechtsordnung, es begründe diese vielmehr, um die Freiheit des Einzelnen zu garantieren. Demnach sei für Kant jegliche rechtliche und politische Autorität, deren Zwang nicht dem Schutz der Freiheit vor Willkür diene, illegitim. Übereinstimmend kommt Dietmar von der Pfordten in seiner gründlichen Auseinandersetzung mit Kants Schriften und mit unveröffentlichten Reflexionen sowie Vorarbeiten entgegen der vorherrschenden Lehrmeinung zu dem Ergebnis, Kant räume, im Gegensatz zu Hobbes und darin also Locke und Rousseau ähnlicher, ein Recht zum Widerstand gegen rechtswidrig handelnde Tyrannen und Despoten ein – nicht allerdings gegen eine selbstbestimmte und freiheitliche Gesetzgebung. Maria Lúcia de Paula Olivieira argumentiert darüber hinaus, Kant habe, nicht allein angesichts der preußischen Zensur, einen doppelten moralischen Standpunkt zur Französischen Revolution vertreten: Einerseits räume Kant kein Recht zum Widerstand (jedenfalls gegen die Selbstbestimmung der Bürger) ein (vgl. von der Pfordten), zudem verstoße eine im Geheimen vorbereitete Revolution gegen das Prinzip der Öffentlichkeit; andererseits sei Kant, der keinerlei Sympathien für den hingerichteten französischen Monarchen geäußert habe, der Revolution durchaus mit Enthusiasmus begegnet. Es sind (scheinbare) Widersprüche wie diese und ihre anspruchsvolle argumentative Auflösungen, die den Sammelband so lesenswert machen.
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Rubrizierung: 5.33 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Simon, Rezension zu: Jean-Christophe Merle / Alexandre Travessoni Gomes Trivisonno (Hrsg.): Kant's Theory of Law Stuttgart: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40191-kants-theory-of-law_48153, veröffentlicht am 01.12.2016. Buch-Nr.: 48153 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken