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Johanna Tiedtke-Braschos

Bauen als Politikum. Der Umgang der Politik mit Bauprojekten im Deutschland des 20. Jahrhunderts

Marburg: Tectum Verlag 2015; XIV, 463 S.; hardc., 39,95 €; ISBN 978-3-8288-3509-2
Diss. Bonn; Begutachtung: M. Schneider. – Wie beeinflusst die Politik das Bauen und welchen Einfluss hat das Bauen auf die Politik? Dass Architektur von Politikern gezielt eingesetzt wird, „‚um zu verführen, zu beeindrucken und einzuschüchtern‘“ (3), zeigt Johanna Tiedtke‑Braschos in verschiedenen Epochen und Systemen von Demokratie und Diktatur – mit einem besonderen Fokus auf Deutschland im 20. Jahrhundert. Eine starke Verknüpfung von Politik und Bauen sei in der Zeit der Weimarer Republik deutlich geworden, in der die Politik über das Bauen eine neue demokratische Gesellschaft habe etablieren wollen. Wiederum sei für Hitler und Stalin das Bauen ein wesentliches Element ihrer totalitären Ideologie gewesen. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs habe das Bauen als ein Instrument einerseits des Wiederaufbaus in Deutschland fungiert, andererseits auch der Systemkonkurrenz im Kalten Krieg gedient. Nicht nur das Bauen in seiner architektonischen Qualität, sondern bereits die bloße Quantität der baulichen Produktion sei politisch funktionalisiert worden, als Beispiel führt die Autorin die Wohnungsbaupolitik an. Der Abriss des Berliner Schlosses in der DDR sowie nach der Wiedervereinigung des Palastes der Republik belegten außerdem, dass auch Zerstörungen von gebautem Raum politisch motiviert sein können. Tiedtke‑Braschos untersucht ferner, wie ‚gebaute Politik‘ und die hinter den Bauprojekten verfolgten Interessen, Ideologien und Systemstrukturen in der Gegenwart aussehen, was sie etwa am Beispiel der Diskussion aktueller Bauprojekte wie Stuttgart 21 oder des Flughafens Berlin‑Brandenburg verdeutlicht. Dabei fragt sie, „was gutes Bauen aus Sicht der Demokratie bedeutet, und [...] ob nicht ein bestimmter Umgang mit dem Bauen seinerseits wiederum Einfluss auf die Qualität der Demokratie haben kann“ (409). Für wenig demokratiefreundlich hält sie es, wenn sich Politiker_innen lediglich auf Expert_innen berufen, „um ihre eigenen Vorstellungen vom baulichen Gemeinwohl als wissenschaftlich abgesicherte Wahrheiten gegenüber der ‚unaufgeklärten Volksmeinung‘ durchsetzen zu können“ (415). Vielmehr gelte es, Pläne nicht nur in die Landschaft einzupassen, sondern vor allem gemeinsam mit den Menschen zu erarbeiten. Folglich empfiehlt sie, Wege hin zu einer „demokratischen Baukultur“ (410) zu entwickeln. Eine gemeinwohlorientierte Baukultur in der Demokratie erfordere „einen intensiven öffentlichen Diskurs, aufgeklärte Partizipation und [...] die Übernahme der Verantwortung durch eine handlungsfähige und nachhaltig operierende Politik“ (407).
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Rubrizierung: 2.3432.352.3152.3142.3132.3122.25 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Johanna Tiedtke-Braschos: Bauen als Politikum. Marburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40073-bauen-als-politikum_47260, veröffentlicht am 15.09.2016. Buch-Nr.: 47260 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken