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Ulrike Wunderle

Experten im Kalten Krieg. Kriegserfahrungen und Friedenskonzeptionen US-amerikanischer Kernphysiker 1920-1963

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015 (Krieg in der Geschichte 84); 436 S.; 44,90 €; ISBN 978-3-506-76640-3
Politikwiss. Diss. Tübingen; Begutachtung: A. Doering‑Manteuffel, G. Schild. – Wenn Forscher ihre Arbeit in den Dienst des Krieges stellen, können sie „den Staat als Finanzquelle für Forschungsprojekte beanspruchen, die in Friedenszeiten nicht denk‑ oder finanzierbar“ (11) wären. Nach dem Zweiten Weltkrieg oblag es in den USA im Bereich der Atomforschung denn auch wissenschaftlichen Experten zu klären, welchen Beitrag ihre Arbeit zur nationalen Sicherheit leistete und welche staatlichen Mittel dafür nötig waren. Dieses einflussreiche Agieren „der amerikanischen Physikerelite“ (13) als Regierungsberater und Delegierte auf internationaler Ebene ist Gegenstand der Dissertation von Ulrike Wunderle. Sie fragt, „wie sich das Denken und Handeln der wissenschaftlichen Expertenelite […] analytisch fassen lässt und wie ihre Rolle als Akteur des Kalten Kriegs […] zu bewerten“ (13) sei. Sie bezeichnet die Verschränkung von Wissenschaft und Kriegspolitik dabei als „Enthemmung der Wissenschaftler im Umgang mit sich selbst“ (12). Die Autorin räumt aber ein, dass diese Akteure auch an internationalen Dialogen über Frieden und Abrüstung beteiligt waren und kooperativ‑integrative Ansätze vorantrieben. Bereits der Abwurf von Atombomben über japanischen Städten habe einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über die „Zukunft der menschlichen Zivilisation“ (194) ausgelöst. Die zivilgesellschaftliche Abrüstungsbewegung habe hier ihren Ausgangspunkt gefunden und die Politik die Bedeutung einer „emotionalen Kontrolle nuklearer Ängste“ (194) erkannt. Die Wissenschaftler, die im Rahmen des Manhattan‑Projekts führend die Erforschung und die Bereitstellung von Atomwaffen betrieben hatten, nahmen laut Wunderle als Interpreten des Atomzeitalters in der Debatte über die friedliche und kriegerische Nutzung von Atomenergie eine richtungsweisende Rolle ein. Dies zeigte sich beispielhaft 1955 bei der „Atoms‑for‑Peace‑Konferenz“ (312) in Genf, die geprägt gewesen sei von allgemeinem „Forschungsoptimismus“ und „Atomeuphorie“ (314). Die Amerikaner hätten sich von der Konferenz vor allem einen Einblick in den Forschungsstand des sowjetischen Atomprogramms erhofft und erhalten, Genf habe aber auch zu einer Annäherung und Kooperation auf wissenschaftlicher Ebene zwischen Ost und West geführt. Wunderle konstatiert, dass die bis in die Gegenwart wirksamen „Denktraditionen kooperativer Konfliktregulierung“ (390) innerhalb der Wissenschaft deutlich von der Generation, die durch den Ost‑West‑Konflikt geprägt wurde, geformt worden sind.
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Rubrizierung: 4.424.412.642.61 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Ulrike Wunderle: Experten im Kalten Krieg. Paderborn: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40116-experten-im-kalten-krieg_47587, veröffentlicht am 13.10.2016. Buch-Nr.: 47587 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken