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David Harvey

Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus. Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober

Berlin: Ullstein 2015; 373 S.; 22,- €; ISBN 978-3-550-08089-0
Wer sich schon einmal mit Publikationen David Harveys über kritische Geografie und globalen Kapitalismus beschäftigt hat, kennt den spezifischen Duktus dieses Autors, der einen selbstbewussten neomarxistischen Interpretationsrahmen mit einem säkularen revolutionären Humanismus verbindet. Davon ist auch sein jüngstes, zuerst 2014 in Großbritannien erschienenes Buch geprägt, das sich mit einer Situation auseinandersetzt, in der weder die traditionelle noch die radikale Linke in der Lage scheint, der Macht des Kapitals nennenswerten Widerstand entgegensetzen zu können. Harvey geht es dabei zunächst um eine Analyse der immanenten Krisendynamik des Kapitalismus und – darauf aufbauend – um eine Diskussion politischer Konsequenzen und Handlungsmöglichkeiten. Konzeptionell betont er, nicht der Kapitalismus sei Gegenstand seiner Analysen, sein Fokus richte sich auf die inneren Widersprüche des Kapitals als geschlossenes System von Akkumulation und Zirkulation. Nicht alle Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaftsformation – so jene, die heute als Formen mehrdimensionaler Diskriminierung behandelt werden – seien spezifisch mit dem Kapital verbunden. Die siebzehn Widersprüche, die im Zentrum seiner Analysen stehen, ordnet Harvey drei Typen zu. Zur Kategorie der sieben „Grundwidersprüche“ (29 ff.) zählen solche, die – wie Gebrauchswert/Tauschwert, Arbeitswert/Geld, Privat‑/Gemeineigentum, Kapital/Arbeit – zentrale, unveränderliche Funktionen des Kapitals abbilden. Davon hebt er sieben „bewegliche Widersprüche“ (111 ff.) ab, die eher gesellschaftliche Entwicklungstendenzen betreffen – wie Arbeitsteilung und Technologie, soziale und geografische Ungleichheit – und, weil vom Stand politischer Auseinandersetzungen abhängend, je nach Kräftelage progressive oder regressive Tendenzen eröffnen. Als „gefährliche Widersprüche“ (253 ff.) klassifiziert er schließlich drei Problemzonen, die nicht nur für die kapitalistische Wirtschaft relevant sind, sondern globale Bedrohungen darstellen; dazu zählen die Folgen exponentiellen Wachstums, die grenzenlose Kommerzialisierung des Natursystems und die mit der kapitalistischen Vergesellschaftung einhergehende universelle Entfremdung. Harvey hat ein umfassendes Krisenpanorama mit vielfach durchaus plausiblen kritischen Diagnosen vorgelegt – allerdings um den Preis zahlreicher Wiederholungen in den einzelnen Kapiteln. Leider bleiben die abschließend formulierten Perspektiven einer den Kapitalismus beendenden Praxis überwiegend allgemeine Postulate, die überdies inhaltlich André Gorz‘ Reflexionen zur Kritik der ökonomischen Vernunft paraphrasieren.
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Rubrizierung: 2.22.225.425.45 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: David Harvey: Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39978-siebzehn-widersprueche-und-das-ende-des-kapitalismus_47059, veröffentlicht am 04.08.2016. Buch-Nr.: 47059 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken