Skip to main content
Peter Hallama / Stephan Stach (Hrsg.)

Gegengeschichte. Zweiter Weltkrieg und Holocaust im ostmitteleuropäischen Dissens

Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2015 (Schriftenreihe der Societas Jablonoviana 3); 294 S.; hardc., 29,- €; ISBN 978-3-86583-933-6
Die Annahme, dass erst nach dem Ende des Staatssozialismus in Mittel‑ und Osteuropa die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts eingesetzt habe, sei ein weitverbreitetes Vorurteil, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung klarstellen. Bei der Erforschung kommunistischer Geschichtspolitik gebe es die Neigung, „die ideologischen Ziele der Machthaber mit der sozialen Realität gleichzusetzen“ (10). Dies sei ein Fehler, kritisieren Peter Hallama und Stephan Stach. Denn schon weit vor dem Fall des Eisernen Vorhangs habe es kritische zeitgeschichtliche Debatten in diesen Ländern gegeben – über sowjetische und nationalsozialistische Verbrechen. „Akteure des Dissenses“ hätten durch solche Tabubrüche eine „Gegengeschichte“ (10) geschrieben. In welcher Weise Oppositionelle im ehemaligen Ostblock eigene Geschichtsbilder entwickelten, ist Gegenstand des Sammelbandes, der auf einem gleichnamigen Projekt der Leipziger Societas Jablonoviana (Jablonowskische Gesellschaft der Wissenschaften) und des Historischen Instituts der Universität Warschau beruht. Als „Geschichte auf Kleinstformat“ (29) beschreibt Silke Plate in ihrem Beitrag das Phänomen der „Untergrundbriefmarken“ (30), die zur Unterstützung der oppositionellen Bewegung in Polen verkauft wurden. Diese Nachahmungen der offiziellen Postwertzeichen sollten zudem das staatliche Informationsmonopol brechen und visualisiert politische Botschaften etwa der Solidarno?? verbreiten. Mit dieser Form unabhängiger Gegenmedien sei das kommunistische Regime als „‚Fremdherrschaft‘“ (55) angeprangert worden, so Plate. Mit der Frage, ob die US‑Armee, die zu Kriegsende ins südwestliche Böhmen einmarschierte, rückblickend in der kommunistischen Tschechoslowakei als Besetzter oder Befreier dargestellt wurde, beschäftigt sich Adam Dobeš. Der Titel einer 1951 erschienenen Schrift sei für die offizielle Darstellung programmatisch gewesen: „Die schändliche Rolle der amerikanischen Besatzer in Westböhmen 1945“ (136). Von US‑Soldaten begangene Exzesse und Übergriffe seien in solchen Veröffentlichungen stark übertrieben dargestellt und verallgemeinert worden, so Dobeš, um ein brutales Besatzerregime zu beschreiben. Dem entgegengestellt habe sich eine alternative Erinnerungskultur der Opposition. Gerade zu Zeiten der Niederschlagung des Prager Frühlings hätten Teile der Bevölkerung auf ein Eingreifen der USA gehofft und besonders in Westböhmen sei dabei die Erinnerung an „die Befreiung durch die Amerikaner“ (141) noch einmal lebendig geworden.
{WDE}
Rubrizierung: 2.232.3122.3142.612.642.35 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Peter Hallama / Stephan Stach (Hrsg.): Gegengeschichte. Leipzig: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40027-gegengeschichte_47779, veröffentlicht am 25.08.2016. Buch-Nr.: 47779 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken